Neujahrsempfang der Marli GmbH – Rückblick und Vorausschau

Die Neujahrsempfänge der Marli Werkstätten Gemeinnützige Einrichtungen für behinderte Menschen bieten regelmäßig in verschiedenster Hinsicht Gelegenheit, sich mit der Einrichtung „auseinander zu setzen“: Immer interessant, Rückblick zu halten und vor die Vorausschau in politischer Hinsicht zu betrachten.
Foto (RB): Axel Willenberg, Robert Antretter, Peter Eggert und Reinhold Hiller
Auch dieses Mal kritisierte Geschäftsführer Axel Willenberg die politischen Repräsentanten, die Bekenntnisse abgeben, es aber versäumen, Verordnungen und Richtlinien zu verändern, damit den Reden auch Taten folgen können.
Bevor er dies jedoch im Einzelnen nach der Anmoderation und Begrüßung ausführte,
sprach der Erste Stellvertretende Stadtpräsident Lübecks Reinhold Hiller das Grußwort für die Hansestadt. Er freute sich ganz besonders darüber, hier zahlreiche Kolleginnen und Kollegen aus der Politik zu sehen, sei es aber im Vorfeld der anstehenden Kommunalwahl wohl programmatisches Ziel aller Parteien, Fragen der „Lebenshilfe“ aufzugreifen. „Ich würde es aber begrüßen, wenn alle diese auch sonst viel mehr in ihre Politik einfließen lassen würden“, so Reinhold Hiller.
Großen Dank sprach er Peter Eggert, dem ehrenamtlichen 1. Vorsitzenden der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Lübeck und Umgebung e. V., die Hauptträger der Werkstätten ist, und Axel Willenberg für deren auch in 2007 geleistete Arbeit im Dienste der Menschen in den „Werkstätten“ aus: „Wenn Sie dies weiter so leisten, wird auch 2008 alles gelingen!“ Ganz besonders freute er sich auf den Festvortrag Robert Antretters, Bundestagsabgeordneter a. D. und Ehrenmitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Dieser Name stand auch schon im vergangenen Jahr auf dem „Programm“. Wer sich an diesen Tag aus gleichem Anlass erinnert, weiß, dass der Festredner auf Grund der heftigen Winterverhältnisse die Reise aus dem süddeutschen Raum hierher hatte abbrechen müssen.
Axel Willenberg griff in gewohnter Weise die Dinge um Rückblick und Vorausschau in kompetenter Weise auf. So sprach er die Kommunalisierung hinsichtlich der Zuständigkeit für alle Tätigkeitsfelder im Rahmen der Eingliederungshilfe seit 1. Januar 2007 an. Danach ist die Hansestadt Lübeck nicht mehr nur für ambulante Angebote zuständig, sondern hat auch die Finanzierung für den teilstationären und stationären Bereich übernommen. Damit ist „in Sachen Werkstätten und Wohnen jetzt hauptsächlich die Hansestadt zuständig“, so der Geschäftsführer. Trotz vom Land überlassener, dabei wohl unvollständiger Unterlagen sei in vielen Abstimmungsgesprächen aber eine gemeinsame Basis gefunden worden: „Die sachlichen Auseinandersetzungen bleiben und wir werden bei weitem nicht immer einer Meinung sein. Wir können uns aber in einer guten Atmosphäre begegnen, was in einer sich verändernden Förderlandschaft außerordentlich wichtig ist!“ Auf die „Entwicklung Marli“ bezogen sieht er eine weiterhin expansive Entwicklung: „Diese aber ist das Ergebnis einer unverändert starken an uns herangetragenen Nachfrage!“
Die Werkstätten haben nach wie vor starken Zulauf: Inzwischen werden über 630 Menschen mit Behinderungen hier betreut. Und wie es aussieht, ist das Wachstum dieser Werkstätten noch nicht am Ende. Guter Nachfrage erfreut sich auch die neue eröffnete Tagesförderstätte, so dass die Förderung von 9 auf 18 Plätze verhandelt werden soll. Die Warteliste für einen stationären Wohnplatz ist nach wie vor lang. Entlastung soll ein Pflegeheim bringen, das 2009 eröffnet werden soll. 180 Menschen werden derzeit von hier stationäre betreut, und ständig wächst auch die Zahl der Menschen, die ambulant im eigenen Wohnraum unterstützt werden. Derzeit sind es 80 an der Zahl. Die Frühförderung für entwicklungsverzögerte und behinderte Kleinkinder erlebt eine noch nicht da gewesene Nachfrage: Über 400 Kinder im Alter bis zu sechs Jahren werden von hier durch eine mobile interdisziplinäre Frühförderung betreut. Am Anfang steht eine Sozialpädagogische Familienhilfe. Hierfür wurde endlich die Zulassung als Jugendhilfeträger zugesprochen. Im Zusammenhang mit der Entwicklung eines weiteren Zentrums im Hochschulstadtteil, wo das Pflegeheim und eine Werkstatt mit 48 Plätzen entstehen sollen, forderte Axel Willenberg, eine Erweitung 540 anerkannter Gesamtplätze. Denn betreut werden bereits über 630 Menschen. Die „leidige“ Frage der Finanzierung birgt natürlich das größte Problem in sich: 680.000 Euro wird die Einrichtung des geplanten Gebäudes kosten. Die Possehlstiftung hat bereits den Anfang mit einer Zusage von immerhin 130.000 Euro gemacht. Ziel ist es verständlicherweise, über Spenden die Inanspruchnahme von Fremdkapital so gering wie möglich zu halten.
Peter Eggert sieht optimistisch in die Zukunft. Der 1. Vorsitzende der „Lebenshilfe Lübeck“ sprach unter anderem die erfolgreiche Eröffnung des Marli-Bistros in direkter Nachbarschaft zum Haupthaus an: „Auch mit der Öffnung an Sonntagen haben wir eine wichtige Tür aufgestoßen: Nach einem Testlauf von nur sechs Sonntagen übertraf die Resonanz alle unsere Erwartungen. Damit konnten wir die 2. Phase, nämlich dieses Zusatzangebot mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Marli GmbH – jeweils unterstützt durch mindestens ein Lebenshilfe-Mitglied – aufrecht zu halten.“ Nicht zuletzt dient dieses Bistro auch eine dauerhafte „Öffentlichkeitsarbeit“, die durch das Zugehen auf die Gäste getragen wird. Eine der nächsten „Unworte“: Inklusion? Peter Eggert sprach es an. Dabei geht es um Einforderung von „Das Leben von Menschen mit Behinderungen zu normalisieren und sie so weit wie möglich in die Gesellschaft zu integrieren“ – „statt Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben“. Seiner Meinung nach werden in letzter Konsequenz die bisherigen Konzepte um Wohnen und Arbeiten nicht nur in Frage gestellt, sondern – das ist seine große Befürchtung – als Auslaufmodell betrachtet. „Inklusion für uns im Grunde ein alter Hut“, so Peter Eggert. „Denn wir handeln seit vielen Jahren bereits danach!“
Robert Antretter schließlich, der auch Inhaber und Leiter des Instituts für Politikberatung und Publizistik in Backnang ist, trat nun seine Festrede an, die er zwischenzeitlich um weitere Erfahrungen und Erkenntnisse aktualisiert haben dürfte:
Er stellt voran, dass die Behindertenhilfe gegenwärtig nicht im Blickpunkt der Sozialpolitik steht. „Die große Koalition beschäftigt sich derzeit mit andere Themen wie Mindestlöhne, Rente mit 67 oder Nachbesserungen bei Hartz IV“, so ehemalige Bundestagsabgeordnete. „Das gilt auch für die Gesetzgebung. Zwar wird sich die Reform der sozialen Pflegeversicherung auf behinderte Menschen auswirken. Doch die insbesondere für Menschen mit geistiger Behinderung so wichtige Frage, wie sich Leistungen der Eingliederungshilfe mit Pflegeleistungen verknüpfen lassen, wird im eingebrachten Entwurf eines Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes nicht aufgegriffen.“
Lediglich eine aktuelle Gesetzesänderung und Einführung eines „Persönlichen Budgets“ ist wirklich auf behinderte Menschen zugeschnitten: Hiernach sind seit dem 1. Januar 2008 alle Rehabilitationsträger von Trägern der Sozialhilfe bis gesetzliche Rentenversicherung verpflichtet, ihre Leistungen im Regelfall als Geldleistung zu gewähren, wenn der behinderte Mensch dies beantragt. Mit diesem „Paradigmentwechsel“ wird versucht, den Betroffenen, die oft zeitlebens auf Förderung und Betreuung angewiesen sind, nicht länger als zu versorgende „Objekte der Fürsorge“ zu betrachten, sondern sie zu „Subjekten der Teilhabe“ zu machen, die ihr Leben selbstbestimmt in die Hand nehmen.
Der Festredner erkannte in seinen weiteren Ausführungen dazu ausdrücklich das Verdienst der „Lebenshilfe“ an, mit dieser Zielsetzung immer wieder an die jeweiligen Bundesregierungen herangetreten zu sein: „Diese Zielsetzung zieht sich wie ein Roter Faden durch die Geschichte der Lebenshilfe!“ Genauso wie die Lebenshilfe in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts darum gekämpft hat, die Entmündigung von Menschen mit geistiger Behinderung abzuschaffen. Ob allerdings die Praxis betreffend des Persönlichen Budgets wirklich die Anerkennung findet, die diesem vorausgeht, versieht Robert Antretter mit einem Fragezeichen.
Vor Ort müssen auf jeden Fall Beraterinnen und Berater auf viele Fragen eine kompetente Antwort finden: Wie bemisst sich das Persönliche Budget? Welche Leistungen werden benötigt und welche Beträge müssen aufgewendet werden, wenn Leistungen unterschiedlicher Leistungserbringer „eingekauft“ werden möchten? Reicht das Geld, um den individuellen Bedarf zu decken? Wie steht es um die Qualität der Leistung? „Der Gesetzgeber muss klarstellen, dass die so genannte Budget – Assistenz, d. h. die erforderlich Hilfe bei der Verwaltung des Persönlichen Budgets und beim Einkauf von Leistungen zusätzlich finanziert wird!“ Der Gesetzgeber müsse garantieren, dass mit dem Persönlichen Budget dieser individuelle Bedarf gedeckt werden kann. Solange er aber an der gesetzlichen Regelung festhält, dass das Persönliche Budget nicht höher bemessen sein darf als die Sachleistung, besteht die Gefahr, dass es von einzelnen Sozialhilfeträgern dazu missbraucht wird, Kosten einzusparen.
„Die Zukunft des Persönlichen Budget ist unter diesen Voraussetzungen ungewiss“, schloss Robert Anstetter seinen Vortrag. „Aber wir – die Lebenshilfe – kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass immer mehr Menschen mit geistiger Behinderung ihre Leistung als Persönliches Budget beantragen.“









