Wissenschaft

Ausstellung im Buddenbrookhaus: „Der Untertan revisited. Vom Kaiserreich zum geteilten Deutschland“

BBrHUntertan
Das Lübecker Buddenbrookhaus widmet dem Roman „Der Untertan“ von Heinrich Mann und dem gleichnamigen Film von Wolfgang Staudte mit „Der Untertan revisited. Vom Kaiserreich zum geteilten Deutschland“ erstmalig eine große Ausstellung. Diese wurde kürzlich eröffnet und wird noch bis zum 4. November 2007 gezeigt.Heinrich Mann vollendete seinen Kaiserreich-Roman „Der Untertan“ 1914; erscheinen konnte er erst vier Jahre später, als das Schicksal des Kaiserreichs durch den Ausgang des Ersten Weltkriegs besiegelt war. Als „Bibel des wilhelminischen Zeitalters“ bezeichnete Kurt Tucholsky das Buch, mit dem Heinrich Mann zur mahnenden Autorität in der jungen Republik avancierte. Der Roman ist eine Mentalitätsgeschichte des Kaiserreichs, eine „Geschichte der öffentlichen Seele unter Wilhelm II.“, wie es Heinrich Mann noch auf der ersten Seite seines Manuskripts schrieb. Er porträtierte den Untertanengeist, verkörpert durch Diederich Heßling, einer zwischen demonstrativ nach außen gekehrter Härte und individueller Verletzlichkeit, zwischen machbewusster Autorität und devoter Kriecherei schwankenden Persönlichkeit. Heßling buckelt nach oben und tritt nach unten.

Bei allem Zeitkolorit verstaubte das Psychogramm des Untertans im Laufe der Jahrzehnte nicht, Heßling wurde zum Prototyp des deutschen Spießers, die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert hielt die Analyse aktuell: „Natürlich ist der Untertan Wilhelms des Zweiten nur ein schwaches Vorbild, eine frühe Form des nationalsozialistischen Untertanen von heute. An sich hat der nationalsozialistische Spießer latent bereits seit hundert Jahren in manchem Deutschen gesteckt“, schrieb Heinrich Mann später. So las man den Roman auch in der jungen DDR, wo im Herbst 1945 als eines der ersten Bücher im Aufbau-Verlag „Der Untertan“ erschien.

1951 schuf Wolfgang Staudte für die DEFA eine Verfilmung und schrieb damit ein Kapitel deutscher Filmgeschichte im Widerstreit: In Ostdeutschland wurde der Film gefeiert, in Westdeutschland Opfer der später für verfassungswidrig erklärten Filmzensur. Anstoß erregen vor allem Staudtes politische Aktualisierung an einigen Stellen. Staudte interessierte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zwar auch für den kaisertreuen Diederich Heßling, aber vielmehr noch für den psychologischen Ursprung des Faschismus. Noch radikaler als Heinrich Mann ging es ihm um die Analyse der Mechanismen von Macht und Unterwerfung, von gesellschaftlichen und individuellen Hierarchien und deren ästhetische Übersetzungen in den Film. Die zweite Filmpremiere, in gekürzter Fassung gut fünf Jahre später im Westen, wurde zu einem politischen und publizistischen Ereignis. Mit dem Ende der heißen Phase des Kalten Krieges findet eine zunehmende Integration von Buch und Film in den gesamtdeutschen Kulturkanon statt.

Roman und Film sind nicht nur Zeitzeugnisse geschichtlicher Epochen und entwerfen ebenso in ihrer Rezeptionsgeschichte ein zeitgenössisches Panorama, sie thematisieren auch in ihrer je eigenen Ästhetik zeitlose Fragen, nach dem Verhältnis von Individuum und Institution, von Bürger und Staat. Die Ausstellung nimmt diese verschiedenen Aspekte in den Blick. Sie lädt damit nicht nur anhand von zahlreichen Originaldokumenten zu einer kulturgeschichtlichen Zeitreise durch das vergangene
Jahrhundert ein, sondern wirft Fragen auf, die vor dem Hintergrund abnehmenden Interesses an demokratischer Teilnahme drängender sind denn je. „Der Untertan“ bleibt ein dauerhaftes Zeugnis aufklärerischer Kultur.

Die Ausstellungsstationen

1. Heinrich Manns „Herbarium des deutschen Mannes“
2. Kaiserzeitambiente. Öffentliche und private Repräsentationskultur
3. Zwischen den Zeiten, zwischen den Kontinenten.
4. Klein Hollywood in Deutschland – „Der Untertan“ in Babelsberg
5. Nestbeschmutzer und Weltverbesserer
6. Die Keimzelle des Papierimperiums von Diederich Heßling
7. Kino: Macht und Satire – Die Bildersprache des Films
8. „Der Untertan“ im „Kalten Krieg“. Zwischen Zensur und Propaganda
9. Die neuen Untertanen wohnen nebenan!?

Für die gestalterische Umsetzung der Ausstellung zeichnet das Studio Andreas Heller, Hamburg, verantwortlich. Bereichert wurden vor allem die inszenatorischen Teile durch Leihgaben aus dem Lübecker St. Annen-Museum und dem Industriemuseum Geschichtswerkstatt Herrenwyk. Zur Ausstellung hat das Buddenbrookhaus ein umfangreiches Rahmenprogramm vorbereitet. Lehrer sind eingeladen, sich bei einer Fortbildung Anregung für die Umsetzung des Themas im Unterricht geben zu lassen. Für Schülerinnen und Schüler hält der Shop im Buddenbrookhaus ein besonderes Angebot bereit: Für die Dauer der Ausstellung erhalten sie die Untertan-DVD aus dem Hause Icestorm Entertainment zum reduzierten Preis von 5,90 ¤.

Katalog zur Ausstellung
Michael Grisko
„Der Untertan“ – Revisted. Vom Kaiserreich zum geteilten Deutschland
112 Seiten, 156 Fotos, 16 Seiten in Farbe
Paperback, 21 x 27 cm
Preis: 15,90 ¤

Shop-Angebot für Schüler
Während der Ausstellung ist die DVD „Der Untertan“ von Wolfgang Staudte (1951) für Schüler und Schülerinnen zum reduzierten Preis von 5,90 ¤ im Museumsshop erhältlich.

Buddenbrookhaus, Mengstraße 4, 23552 Lübeck
Museums-Hotline: 01805 92 92 00
Montag bis Sonntag, 10-18 Uhr
Eintritt: 7, ermäßigt 3,50 EUR

Förderer:
Von Keller-Stiftung, Lübeck
Reinhold-Jarchow-Stiftung, Lübeck
Heinrich-Mann-Gesellschaft, Lübeck
Possehl-Stiftung, Lübeck
Förderverein Buddenbrookhaus e.V., Lübeck
Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
Deutsches Rundfunkarchiv
DEFA Stiftung
SWB
Kulturpartner: NDR Kultur

Informationen zu Buch und Film, zur Ausstellung und zum Rahmenprogramm gibt es unter
www.untertan2007.de .