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Eutiner Festspiele: Wer erinnert sich an Waltraud Koch? Hier ein Gespräch mit ihr

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Als „Festspiel-Institution“ wurde sie bezeichnet und als „Urgestein auf dem Grünen Hügel“: Waltraud Koch, die 41 Jahre lang im Chor sang, länger als alle anderen vor (und vermutlich auch nach) ihr. Ein Rekord! Jedoch ein schwerer Schicksalsschlag beendete vor 10 Jahren diese ganz spezielle Eutiner Karriere.Die gebürtige Kielerin (dort ausgebombt im 2. Weltkrieg) wuchs in Eutin auf (ihr Großvater war einst das „K“ bei „LMK“, dem Kaufhaus „Löffler, Menke & Koch“). 1956, sie war gerade 18 geworden und verfügte über eine schöne Altstimme und hohe Musikalität, machte Waltraud Koch erstmals bei den Festspielen mit. Nach dem Abitur am Weber-Gymnasium zog es die sprachbegabte junge Frau jedoch in die Ferne: England, Frankreich, später Spanien, wo sie ihren Mann kennen lernte. Doch in jedem Sommer flammte ihre Leidenschaft für die Eutiner Freilichtoper auf. Sie fehlte nie, in keinem einzigen Jahr zwischen 1956 und 1997! Bei den ersten Proben durfte sie zwar noch „schwänzen“, weil sie die iberische Halbinsel nicht für die gesamte Proben- und Aufführungszeit verlassen konnte, aber wenn’s ernst wurde, spätestens zu den Endproben, war sie stets in der alten Heimat.

Ihr Lebensweg führte sie nach sechs spanischen Jahren wieder zurück nach Deutschland. Die Sprachkenntnisse zahlten sich aus. In der renommierten Hamburger Konzertagentur Dr. Rudolf Goette war Waltraud Koch von 1971-98 für die Künstlervermittlung zuständig: Telefonate, Verträge in vielen Sprachen, Tourneeplanung und Betreuung der Künstler, meist international gefeierte Stars. Mit Martha Argerich, der weltberühmtem Klaviervirtuosin, steht sie noch heute in freundschaftlichem Kontakt. Doch als Ausgleich zum anstrengenden Agenturmanagement zog es die begabte Laiensängerin immer wieder auf die Bühne, auch im damaligen Wohnort Hamburg, erst noch als Statistin in der Staatsoper, bald schon als Mitglied im Sonderchor (zwar nicht 41 Jahre lang, wie in Eutin, aber immerhin 14 Jahre im renommierten Haus in der Dammtorstraße). Das war Waltraud Kochs aufregendes Leben: beruflich hinter den Kulissen großer Bühnen, privat auf den Brettern, die auch ihre Welt bedeuteten!

Nach dem Festspielsommer 1997 dann der Schicksalsschlag: Die Parkinsonkrankheit machte der einst agilen, lebenslustigen Waltraud Koch schon bald so zu schaffen, dass sie Beruf und Hobby schweren Herzens an den Nagel hängen musste.
Mit bewundernswerter Gelassenheit und ansteckendem, ja, fröhlichem Optimismus lebt Waltraud Koch heute ganz allein in Eutin, nur von einem Pflegedienst betreut.

„Es gibt Schlimmeres als diese Krankheit, und vor allen Dingen habe ich glücklicherweise keine Schmerzen!“, erzählt sie jetzt Rainer Wulff. Er erlebte bereits als Kind (und damaliger Eutiner Voß-Schüler) Waltraud Koch auf der Schlossgartenbühne. Jahre später interviewte er sie als Rundfunkredakteur für den NDR. Wulff (inzwischen Pensionär) ist Mitarbeiter der Festspiele und besuchte die langjährige Chorsängerin in ihrer Wohnung:

Wulff: Frau Koch, woran erinnern Sie sich, wenn Sie an die Anfangszeit der Eutiner Festspiele denken?

Koch: 1951 ging’s ja los hier. Die Begeisterung war enorm. Es war etwas Einmaliges für alle, für ganz Eutin: große Oper in einer Kleinstadt! Ich ging natürlich auch in die Vorstellungen. Wie wohl alle! Aber selbst mitmachen durfte ich noch nicht, obwohl ich schon in einem Eutiner Chor sang. Erst als ich 18 geworden war, erlaubten meine Eltern mir, im Festspielchor mitzusingen. Freischütz, Zauberflöte, Hänsel und Gretel, das waren 1956 meine ersten Opern, gleich alle drei Produktionen: Wenn schon, denn schon!

Wulff: Wie sah es denn auf dem Festspielgelände damals aus?

Koch: Zwar spielten wir an derselben Stelle wie heute, allerdings gab es nur eine unbequeme Holztribüne ohne Rückenlehnen. Das Orchester saß nicht in einem Graben, sondern direkt vorm „Kinderberg“, so wurde der kleine grüne Hügel genannt, weil die Kinder hier im Winter Schlitten fuhren. Bis Mitte der 50-er Jahre kamen die Orchestermitglieder aus Eutin und Umgebung, oft Berufsmusiker, die als Flüchtlinge im Krieg bzw. in den Nachkriegsjahren hier Fuß gefasst hatten. Viele fanden dann wieder Engagements in größeren Städten und standen Eutin nicht mehr zur Verfügung. Und deswegen engagierte man vor 50 Jahren die Hamburger Symphoniker, die ja noch heute jeden Sommer dabei sind.

Wulff: Wie waren denn damals die Arbeitsbedingungen?

Koch: Es war noch alles sehr primitiv. Die Scheinwerfer waren in den Bäumen versteckt, und da oben hockten auch die Beleuchter. Und hinter der Bühne gab’s für die Mitwirkenden nur ein durchlöchertes Zelt. Da regnete es auch schon mal durch. Männlein und Weiblein wurden beim Umziehen durch aufgehängte Decken getrennt. Aber meistens haben wir uns schon zu Hause umgezogen und sind dann in unseren Bühnenkostümen durch die Stadt und den Schlossgarten zur Oper gegangen. Da wurden wir nur noch geschminkt. Der Inspizient fuhr übrigens mit dem Fahrrad hin und her, weil die Entfernungen hinter der Bühne zu groß waren und es noch keine Funkkontakte gab.

Wulff: Mussten sie Ihre Kostüme denn auch selber waschen und bügeln?

Koch: Wohl schon. Ich weiß das nicht mehr so genau. Wenn, dann hat das sicher meine Mutter gemacht! (lacht)

Wulff: Gab es damals schon ein kleines Honorar für den Chor?

Koch: Nein, daran war nicht zu denken. Wir bekamen bei der Generalprobe und der Premiere eine Bockwurst mit Brötchen und ein Getränk. Umsonst. Bei allen anderen Vorstellungen mussten wir die Verpflegung mitbringen oder aus eigener Tasche bezahlen. Erst später gab es ein wenig Geld für uns. Das war ja auch ein sehr großer Chor, weit über hundert waren wir, in den ersten Jahren noch Laien, alles Eutiner. Da machte es die Masse, und es klang auch gut. Manche sind dadurch sogar motiviert worden, Gesang zu studieren. Allerdings wurden es bald immer weniger Eutiner. Vor allem bei den Männern hatten wir Probleme. Es gab nie genug Tenöre! Darum kamen Mitte der 60-er Jahre Profichoristen aus ganz Deutschland dazu, die irgendwann auch die Mehrheit hatten, – bis heute.

Wulff: Gab es denn auch Kontakte mit den Solisten, den zum Teil ja berühmten Sängern?

Koch: Ja, bereits während der Probenzeiten entwickelten sich private Kontakte. Man ist schließlich schon vor der Premiere wochenlang zusammen. Wir sind dann zwischendurch mal zum Strand gefahren, z.B. mit der inzwischen weltberühmten Hanna Schwarz. Auch Hans Sotin, später ein großer Star auf allen Opernbühnen weltweit, war dabei und Hans-Dieter Bader von der Staatsoper in Hannover. Man hat sich richtig angefreundet. Und abends saßen wir nach den Vorstellungen noch in der Kantine, die es auch bald gab, manchmal bis es hell wurde! So etwas gibt’s heute wohl kaum noch. Aber heute ist ja auch die Verantwortung, die auf den Mitwirkenden lastet, größer geworden. Da muss man wohl sehr diszipliniert sein. Aber die Solisten waren damals am nächsten Abend trotzdem gut…und unser Chor auch!

Wulff: Haben Sie heute noch Kontakte zu den früheren Sängern?

Koch: Zu Chormitgliedern natürlich, zumindest zu Eutinern. Aber auch noch zu zwei Solisten. Der eine ist Franz Grundheber, der bei uns Escamillo in „Carmen“ sang, auch noch Marcel in „La Bohème“ und den Belcore im „Liebestrank“. Er war ja immer wieder hier, viele Jahre. Er ist in meinem Alter, war damals schon an der Hamburger Staatsoper. Wir telefonieren heute noch miteinander! Und ich habe noch Kontakt mit Richard Paul Fink, der bei uns 1989 und 1990 der Don Carlos in Verdis „Macht des Schicksals“ war, ein amerikanischer Bariton, der jetzt zu den ganz großen Wagnersängern gehört. Er singt inzwischen an der Met und oft auch in Berlin. Er hat mir übrigens erzählt, dass er sehr gerne mal wieder nach Eutin zurückkehren und hier singen würde. Er hat nur die besten Erinnerungen!

Wulff: Es gab hier auch mal einen kleinen „Opernskandal“. Kritiker hatten geschrieben, in Eutin werde „zu viel kulinarische Behaglichkeit“ geboten, „zu wenig geistige Anstöße“. Und dann kam 1971 eine „Bohème“,- erinnern Sie sich noch daran?

Koch (lacht): Ja, in der Regie unseres Intendanten Ulrich Wenk von der Hamburger Staatsoper. Diese Bohème war für die damalige Zeit recht modern, und so was kannte man in Eutin ja gar nicht. Wir mussten unsere private Garderobe mitbringen, weil man die damals aktuelle Mode im Fundus nicht hatte. Statt Pariser Quartier Latin eine Party auf einem norddeutschen Campingplatz. Musette (in Hosen!) fuhr mit einem kleinen roten Fiat vor, und das Publikum meinte wohl: „Wenn sie schon so spät ins Geschehen eingreift (sie tritt ja erst im 2. Akt auf), dann ist sie wohl so in Eile, dass sie mit dem Auto vorfahren muss….(lacht). Aber das war dann doch zu viel für die Eutiner!

Wulff: Jeder, der in Eutin mal dabei war, redet im Nachhinein sogleich übers Wetter. Sie nicht!

Koch: Weil es doch selbstverständlich ist, dass es auch im Sommer mal regnet. Uns hat das nichts ausgemacht, und das Publikum war dann immer besonders enthusiastisch bei der Sache. Wir hatten für solche Fälle immer Gummistiefel in allen Farben in der Garderobe, – jeweils passend zum Kostüm, was wohl heute nicht mehr denkbar wäre.

Wulff: Trotz Ihrer Krankheit, die Ihre Bewegung so stark einschränkt, sind Sie noch immer den Festspielen nicht nur treu verbunden, sondern als inzwischen zahlender Gast auch dabei. Ist das eine „Liebe fürs Leben“, gewissermaßen „lebenslänglich“?

Koch: Ja, ich bin sogar ganz nahe dran! Die Rollstuhlplätze vor der ersten Reihe garantieren den besten Blick auf die Bühne. Im vorigen Jahr hat mir vor allem der Troubadour gefallen, eine sehr schöne Aufführung mit tollen Stimmen, – natürlich ganz ohne Regen! Und auch jetzt bin ich bestimmt wieder dabei…selbstverständlich „nur“ im Publikum!