Politik & Wirtschaft

Im Herbst an der Nordseeküste „stranden“ gehen

Strandgut-Otto
Ein Ast sandgeschliffen, dazu Federn, vom Wind getragen. Matt schlägt die See an. Das Glück, so heißt es, ist eine Fundsache – das sind Gedanken von Günter Grass. Fundstücke aus dem Meer – nix wie raus zum „stranden“ wenn der Herbstwind über die Nordseeküste fegt.

Lesen Sie, was Maike Otto und Manfred Schlüter und daraus machen.

Foto: Maike Otto „Tafelmeer“
Der Sommer verabschiedet sich langsam und die Tage werden kürzer. An der Nordseeküste beginnt die Zeit der Herbsttürme. Wenn es über das weite, flache Land weht, windgebeugte Bäume sich noch weiter zum Boden neigen und der Sturm an Fensterläden rüttelt, scheint nichts verlockender, als eine dampfende Tasse Tee im warmen Wohnzimmer. Das ist genau der richtige Zeitpunkt, um zum „stranden“ ans Meer aufzubrechen. Raus aus der Behaglichkeit und rein in die Windjacken – wer bei einer steifen Brise nach der Flut im warmen Wohnzimmer bleibt, verpasst ganz besondere Schätze, die Geschichte über das Meer tragen und versteckt im Flutsaum zwischen Seetang von anderen Leben und vergangenen Zeiten erzählen.

Manfred Schlüter zieht an einem Stück Tau, das aus dem Spülsaum im Wesselburener Koog ragt – und hat schnell ein ganzes Gewirr von Tauwerk in der Hand. Der erste Schatz des „strandens“, wie die Strandgut-Suche an der Nordsee Schleswig-Holstein heißt, wird zur Seite gelegt und weiter geht’s gegen den Wind, den Blick unbeeindruckt von der Weite immer auf die Wasserlinie der letzten Flut gerichtet, an der nun im Spülsaum das Strandgut zu finden ist.

Orange leuchtet ein einzelner Arbeitshandschuh aus dem Tang hervor, irgendwo verloren gegangen auf hoher See. Ein silbernes Tütchen mit kyrillischer Schrift hat sich in einem angespülten Ast voller Seepocken verfangen – „Emergency Drinking Water“ und „Russian Maritime Shipping Register“ steht in Englisch darunter.

Ein leichter Schauder läuft beim Blick auf die weite Nordsee den Rücken hinunter – hoffentlich musste die Trinkwasser-Notration da draußen nicht zum Einsatz kommen. Man beginnt zu begreifen, warum der frische Nordseewind im Herbst so viele Menschen an die Küste treibt: Wer „stranden“ geht weiß nie, was er findet und welche Geschichten sich um das Strandgut ranken.

Einige Schritte weiter hat Manfred Schlüter ein Stück Treibholz entdeckt, vom Meer zu einer eigentümlichen Gestalt geformt und vom Salzwasser ausgelaugt. Danach sucht er – nach „Hölzern mit Wunden.“ In seiner Werkstatt in der alten Schule in Hillgroven, einem kleinen Dörfchen bei Wesselburen in Dithmarschen, arbeitet der Maler, Schriftsteller und Objektebauer seine Fundstücke in Skulpturen und Objekte um. „Ganz anders als beim Malen oder Schreiben bestimmt bei den Fundstücken aus dem Meer das Material, wohin die Reise geht“, sagt Schlüter.

Wenn das Strandgut dann in seiner Werkstatt oder „Rumpelkammer“ unter dem Dach der alten Schule steht, widmet er sich schauend dem Fundstück – eine Art meditativer Prozess, bis es irgendwann zu einem Objekt wird. Das kann seine Zeit dauern, so wie bei dem großen, massiven Holzstück mit den dicken eisernen Muttern – vielleicht ein Teil eines alten Sperrwerks – das seit dem Stranden bereits vier Jahre hier oben steht. Und einige Stücke sind nach ihrer langen Reise durchs Meer so perfekt, dass Schlüter sie einfach so lässt, wie sie sind – so wie das genarbte Stück Holz mit dem Schriftzug „Cardiff“, das die Nordsee bei Katingsiel an Land gespuckt hat. „Ich suche nicht. Ich finde“, beschreibt der Künstler sein Vorgehen ganz im Geiste Picassos.

Maike Otto aus dem benachbarten Hellschen ist ebenfalls regelmäßig im Sturm unterwegs. Für ihre Bilder sucht sie nach Holzstücken mit schöner Maserung und nach verborgenen Schätzen. „Im Herbst wird der Strand zu einem Zauberstrand“, erzählt die Dithmarscherin. „Hier werden Fischernetze, Bojen, Treibholz und Arbeitshandschuhe angespült – sogar die Notlampe eines Schiffes habe ich schon gefunden.“

Auch allerlei Kurioses ist dabei – eine ganze Container-Ladung schicker Lederschuhe und hübscher Körbe wurde hier schon angespült. Aber nicht alle Fundstücke bieten sich zum Weiterverarbeiten an: „Einen gefundenen Korb habe ich am Strand zurückgelassen – der stank viel zu doll nach Fisch“, lacht sie. Wenn die Sommergäste längst wieder nach Hause zurückgekehrt sind, wehen die Herbsttürme ihre Spuren an den Strand. Karl-Henning „Hinne“ Hinz, Schäfer aus Hillgroven, findet dann regelmäßig Flaschenposten von Urlaubern, die seine Tochter beantwortet. „Drei Stück waren es allein in der letzten Woche“, erzählt er, „eine davon sogar von einer Engländerin.“

Wer einmal zum „stranden“ gegangen ist, den zieht es an stürmischen Herbsttagen immer wieder raus an den Strand. Wenn man dann mit einem ganzen Beutel voller Fundstücke und frisch durchgepustet von herrlich-salziger Nordseeluft nach Hause kommt, schickt man seine Gedanken beim Anblick der Schätze auf eine Reise über das Meer – und wärmt sich an einer dampfenden Tasse Tee.

Die Objekte von Manfred Schlüter können nach vorheriger Anmeldung unter Tel. 04833-2117 oder ms@manfred-schlueter.com besichtigt werden. Im Frühjahr 2008 sind Schlüters Werke außerdem in der Ausstellung „Der Schreiber und sein Zeichner – Boy Lornsen und Manfred Schlüter“ in Brunsbüttel zu sehen. Weitere Informationen unter www.manfred-schlueter.com.

Bilder von Maike Otto sind unter vorheriger Anmeldung auf dem Rosenhof in Hellschen, Tel. 04833-429868, info@der-rosenhof.de zu sehen. Bis zum 30. November 2007 können in der Ausstellung „Gestrandet“ Acryl- und Aquarellbilder sowie Collagen von Maike Otto zusammen mit Fotografien und Gedichten von Kirsten Kohlhaw im Hotel Berlin in Heide angeschaut werden.

Das Gedicht von Günter Grass ist der Anthologie „Nordsee ist Wortsee“ von Nicolas Nowack, erschienen im Wachholtz Verlag, entnommen.

Info: Überall an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins lässt sich Strandgut finden – am besten nach den ersten Herbststürmen direkt nach der Flut. Aber bitte beachten: Wer Strandgut findet, der darf es behalten – so hieß es Jahrhunderte lang. Diese Regelung ersetzt heute das BGB-Fundrecht. Werden Waren – wie zum Beispiel Container – Ladungen – angespült, so muss der Finder sie zur nächsten Zollstelle bringen und dort sumarisch anmelden, so die Oberfinanzdirektion Hamburg. Und was sagt uns das…?

Quelle: sh-na