Lübecker FDP-Fraktion: Giftgas-Gefahren vor unseren Stränden nicht länger verharmlosen

Endlich auch unter Wasser die Augen öffnen: Seit Mitte Januar liegt ein Antrag der FDP-Fraktion vor, der sich auf den neuesten Hinweis auf Giftgas direkt vor Travemünde bezieht und dessen umgehende Ortung und Beseitigung fordert.
Foto: Dr. Michaela Blunk greift ein Thema auf, dass mit Sicherheit allen Verantwortlichen bekannt ist. Unglaublich, welches Risiko da „gefahren“ und u. U. als böses Erbe hinterlassen wird.Die brisante Information stammt von dem Meeresbiologen und unabhängigen Munitionsexperten Stefan Nehring, der sich bereits 2006 nach dem abgeschmetterten einschlägigen FDP-Antrag empört über die laxe Haltung der Verwaltung bei der liberalen Fraktion gemeldet hatte.
Trotz der gesammelten Fakten war die bisherige Reaktion in Lübeck erneut von einer unglaublichen Gleichgültigkeit und Überheblichkeit geprägt: Senator Geißler wiederholte im Deutschlandfunk fast wörtlich seine leichtfertige Antwort aus dem Jahr 2006. Selbst bei oberflächlichem Hinsehen hätte der Senator bemerken müssen, dass unser Antrag von 2006 „nur“ konventionelle Munition behandelte. Heute geht es aber um militärische Kampfstoffe (Giftgasmunition) direkt vor Travemünde.
1961 wurde in 15 Stahlgasflaschen etwa 1 Tonne hoch gefährlicher militärischer Kampfstoffe (u.a. 520 l flüssiges Chlor und 10 l Phosgen) auf Anordnung der Stadt Lübeck und mit Zustimmung des Bundesgesundheitsamtes versenkt. Wenn das flüssige Chlor aus einer Flasche austritt, bildet sich Chlorgas – 40 l Chlor ergeben 20.000l Chlorgas!
Vermutlich handelte es sich um Weltkriegshinterlassenschaften aus dem Stadtgebiet. Sehr wahrscheinlich sind die dickwandigen Stahlgasflaschen noch nicht durchgerostet – wie man es auch von ähnlich dicken Granaten aus der Ostsee kennt. Es ist auch relativ wahrscheinlich, dass die Gasflaschen heute noch an ihrem Versenkungsort liegen. Sie könnten aber aufgefischt, oder nach 47 Jahren langsam an den Strand gespült werden. Sollte dann nur ein winziges Loch entstehen, würde sich eine kleine aber hoch gefährliche Giftgaswolke bilden – mit gefährlichen Folgen für Personen im Umkreis von über 300 m. Chlorgas wirkt unmittelbar auf Haut, Augen und Atemorgane. Eine hohe Konzentration wirkt tödlich. Phosgen wirkt als Inhalationsgift und ist ein Lungen schädigender, sehr giftiger Kampfstoff. Erste Symptome treten erst 3-12 Stunden nach der ersten Einwirkung auf.
Die schleswig-holsteinische Landesregierung behauptet bis heute, dass nie Giftgas in den Küstengewässern versenkt worden sei. Da die Kampfstoffe nicht in Munitionskörper verfüllt waren, gilt auch der „neue“ Fall vor Lübeck nach wie vor offiziell als einfache Chemikalienversenkung. Das ist eine absichtliche Falschdeklarierung, denn Kampfstoffe gelten immer als chemische Waffen und bei Chlorgas und Phosgen handelt es sich definitiv um chemische Kampfstoffe. Typisch für die Behörden ist auch, dass die Versenkungsstelle offiziell auf keiner Seekarte eingezeichnet ist.
Für Lübeck – nicht nur als Tourismusregion – ist das weitere Verbleiben der Kampfstoffe
direkt vor unseren Stränden nicht zu akzeptieren, weil sich die Gefährdung durch angespülte Kampfstoffbehälter nicht restlos ausschließen lässt. In einem ersten Schritt muss das Giftgas vor Travemünde umgehend geortet, geborgen und entsorgt werden. Als zweiter Schritt muss beim Hamburger Senat angefragt werden, was er eigentlich mit dem Datenmaterial über Munitionsunfälle gemacht hat, das ihm S-H seit Jahrzehnten zur Einrichtung einer zentralen Unfallstatistik zugeleitet hat. Eine Statistik gibt es in Hamburg nach eigener Aussage jedenfalls nicht.
Es ist drittens hohe Zeit, die eigenen Akten in Lübeck gründlich durchzusehen und das zunehmend schneller wachsende Risiko nicht länger zu verdrängen. Mittelfristiges Ziel muss eine durchdachte, schrittweise und mit allen Betroffenen abzustimmende Vorgehensweise zur Beseitigung der Gefahrenquellen in der Lübecker Bucht und der gesamten Ostsee und Nordsee sein.
Selbst wenn sich gegen unsere Erwartung in der Bürgerschaft keine Mehrheit für unseren Antrag finden sollte, erwarten wir von der Verwaltung, dass sie auf eigene Faust aktiv wird. Negative Folgen für den Tourismus und hohe Kosten für Ortungen, Bergungen und Entsorgungen zählen nicht mehr. Auch die neuen Investoren auf dem Priwall haben sicher ein großes Interesse daran, dass diese Gefahrenquelle beseitigt wird.
Autorin: Dr. Michaela Blunk









