Vorbildfunktion für In- und Ausland: 25. Jubiläum der FSC-Zertifizierung des Stadtwalds in Lübeck
Foto: HL · Konzept der naturnahen Waldwirtschaft stärkt den Wald gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels.
1998 – Gerhard Schröder wird Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschlands, das Unternehmen Google hat sich gegründet und der 1. FC Kaiserslautern gewinnt die Deutsche Fußballbundesliga der Herren. In diesem Jahr war die Welt noch eine andere – in vielerlei Hinsicht: der Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland war mit 923 Mio. Tonnen CO₂ noch 27,5 Prozent höher als beispielsweise 2023 (672 Mio. Tonnen CO₂). Umso neuartiger und revolutionärer war die bereits 1994 getroffene Entscheidung, die Lübecker Forstwirtschaft fortan nachhaltig und naturnah zu betreiben. Eine Herangehensweise, die neue Standards setzte und somit auch den Grundstein für Zertifizierungsmodelle wie FSC (den Forest Stewardship Council) in Deutschland legte. 1998 wurde die Hansestadt Lübeck mit dem FSC Siegel zertifiziert und feiert heute das 25-jährige Jubiläum der Zertifizierung.
Seit einem Vierteljahrhundert setzt Lübeck mit dem FSC Siegel ein Zeichen, das über die besonders naturnahe Waldbewirtschaftung hinausgeht, für die ihr Wald bekannt ist. Das Siegel steht nämlich nicht nur für naturnahes Wirtschaften, sondern auch für faire Arbeitsbedingungen, Arbeitssicherheit und die Stärkung sozialer Verantwortung – Prinzipien, die in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnen.
„Trotz gesunkenen Treibhausgasausstoßes in Deutschland im Vergleich zu den Vorjahren ist die Klimakrise heute präsenter denn je und viele Wälder haben mit Hitze, Trockenheit und Extremwetterlagen zu kämpfen. Der Lübecker Stadtwald erweist sich dabei als robust und hilft darüber hinaus, das Stadtgebiet bei Hitzewetterlagen abzukühlen“, erklärt Ludger Hinsen, Senator für Umwelt, Sicherheit und Ordnung der Hansestadt Lübeck. „Wir freuen uns sehr, heute das 25. Jubiläum der FSC-Zertifizierung zu feiern – wir sind dankbar für die damalige Weitsicht, von der wir heute effektiv profitieren.“
Je größer und dichter ein Wald ist, umso größer ist die beschattete und dadurch kühlere Fläche, die dies zum Teil auch an die umliegenden Flächen weitergeben kann. Gerade ein Stadtwald hat weit mehr als nur wirtschaftliche Zwecke zu erfüllen, er hilft das Stadtinnenklima zu regulieren und bietet gleichzeitig Platz für Erholung. Dabei ist gerade in der jetzigen Zeit entscheidend, dass der Wald als solches in einer Weise bewirtschaftet wird, dass er auch für kommende Generationen bestehen bleibt. Seit 30 Jahren hält man in der Hansestadt Lübeck an diesem Konzept fest. Für einen Wald ist das kein langer Zeitraum und dennoch zeigt sich, dass sich der Wald verändert. Gerade in Kommunalwäldern wird sich vermehrt an diesem Konzept orientiert und einige Aspekte haben sich übergreifend in der Forstwirtschaft etabliert.
Von Pionier:innen und neuen Wegen
Die FSC-Prinzipien standen bereits vor 25 Jahren für verantwortungsvolle Waldwirtschaft, die den Wald nicht übernutzt, die biologische Vielfalt fördert und die gegenüber interessierten Bürgern:innen sowie Organisationen transparent handelt. Kahlschläge bei der regulären Holzernte sind untersagt und Pestizide dürfen nur eingesetzt werden, wenn dies gesetzlich gefordert wird. FSC setzt sich für die Mehrung natürlicher Mischwälder, die Schonung des Waldbodens, für den Schutz seltener Arten und Ökosysteme ein. Damit sind FSC-zertifizierte Wälder stabiler in einem sich wandelnden Klima und können als Ökosystem mehr CO2 langfristig binden. Für die Menschen im Wald sichert FSC faire Entlohnung und mehr Bürger:innenbeteiligung im Wald. Ein Standard der seinerzeit neu und selten war und es heute mit dem großen Begriff der Nachhaltigkeit überall sein sollte. Gemeinsam zeigen die Wälder im Norden, dass eine FSC-Zertifizierung ökologische und soziale Ziele mit regionaler Wertschöpfung erfolgreich miteinander verbindet.
In Lübeck setzt die Stadtverwaltung seit vielen Jahren auf FSC-Zertifizierung. Neben der ökologischen Verantwortung legt die Hansestadt besonderen Wert darauf, wer in und mit dem Wald arbeitet – dies sind nämlich ausschließlich die Mitarbeiter:innen des Stadtwaldes der Hansestadt.
Lübecker Konzept der naturnahen Waldnutzung als Grundlage für Zertifizierungsstandards
Vor 30 Jahren, 1994, wurde in Lübeck der Entschluss gefasst, die städtischen Wälder nicht mehr rein kommerziell und nach der zu dem Zeitpunkt gängigen klassischen forstlichen Praxis zu bewirtschaften. Nach Beschluss der Bürgerschaft im darauffolgenden Jahr wurde ein neuer und anderer Weg eingeschlagen. Das vom ehemaligen Forstamtsleiter Dr. Lutz Fähser mit Unterstützung von Waldökolog:innen selbst entwickelte Konzept der „naturnahen Waldnutzung“, mithin auch bekannt als das „Lübecker Konzept“, setzte auch schon vor der Zertifizierung zu jener Zeit neue Maßstäbe. Entgegen der Skepsis der Fachwelt, ob so ein Wald überhaupt weiterhin wirtschaftlich genutzt werden kann, stärkten die Umweltverbände Greenpeace, WWF, Robin Wood und der NABU der Entscheidung den Rücken.
Nicht zuletzt durch dieses Konzept und den Einsatz der Umweltverbände entwickelte sich ein Zertifizierungssystem und mündete 1997 in der Naturland-Zertifizierung, in der die Hansestadt Lübeck als erstes Wald-Mitglied zertifiziert wurde. Diese Entwicklungen waren auch für FSC Deutschland relevant – der Naturland-Standard, bezogen auf waldbauliche Fragen, sollte die wesentliche Grundlage für den ersten FSC Standard in Deutschland bilden. In Lübeck gibt es daher gleich zwei Jubiläen zu feiern.
