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Politik & Wirtschaft

Kultur ist der Kitt der Gesellschaft

„Kultur“? Das „passiert“ doch im Theater und in Museen. „Kulturelle Bildung“ kann man in der Schule ja am Nachmittag anbieten, wenn die Orthographiestunden absolviert, die Vokabeln gepaukt und die Grundrechenarten geübt sind.

So oder so ähnlich stellen sich das die meisten wohl vor und damit wird klar, wie unklar das Begriffspaar „Kultur und Bildung“ für viele ist. Deshalb ist es gut, dass diese Debatte prominent am Donnerstagvormittag geführt und nicht am Ende der Plenartagung weg genuschelt wird. Worüber also ist zu reden?

Brauchen wir kulturelle Bildung? Brauchen wir überhaupt Kultur? Zu was ist das gut und vor allem, was kostet das? Können wir uns das angesichts angespannter Haushaltslagen überhaupt leisten?Die Frage ist falsch gestellt. Wir müssen es uns leisten! Weil Kultur unsere Gesellschaft kennzeichnet, weil kulturelles Erbe uns mit den Generationen vor uns und den Nationen neben uns verbindet, weil Kultur den Einzelnen in einen bewussten und damit selbst verantworteten Gesamtzusammenhang stellt, der von der Vergangenheit über die Gegenwart reicht und für die Zukunft gestaltet werden muss.

Kultur ist die Selbstvergewisserung der Gemeinschaft und der Kitt der Gesellschaft. Kultur ist also mehr als das, was im Theater aufgeführt wird und in Museen zu besichtigen ist. Kultur machen nicht KünstlerInnen, sondern wir alle.

Und um Kultur zu leben und weiter zu entwickeln, braucht es Bildung – die Befähigung des Einzelnen am kulturellen gesellschaftlichen Prozess teilzuhaben und ihn auch aktiv zu gestalten.

Klar schaden da auch Orthographie, Vokabeln und Grundrechenarten nichts, aber kulturelle Bildung ist mehr als technische Fertigkeit und ein Kanon von Geschichtsdaten und literarischen Werken.

Kulturelle Bildung „passiert“ auch nicht nur in der „Bildungseinrichtung“ Schule, sondern ein ganzes Leben lang. Kulturelle Bildung ist Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe, mit unserer Vergangenheit, mit Kunst(produkten) als Ausdrucksform anderer und unserer gegenwärtigen Gesellschaften. Kulturelle Bildung meint auch „Aus“-bildung zu eigener Kunstfertigkeit und Kreativität.

Ohne diese Bildung ist weder gleichrangige Teilhabe noch Gestaltung und Weiterentwicklung möglich. Erst Bildung ist der Schlüssel zur Emanzipation und erst sie eröffnet die Chancen auf Entwicklung und Fortschritt.

Dabei greift kulturelle Bildung bewusst über den eigenen zeitlichen und räumlichen Kontext hinaus. Stellt uns in eine Reihe von Gewesenem und Zukünftigem, fordert auch die interkulturelle und internationale Auseinandersetzung.

„Kultur und Bildung“ gehören also zusammen. Sie bedingen sich gegenseitig. Um es mit den Worten des Kieler Philosophieprofessors Ralf Konersmann zusagen: „Kultur und Bildung bedürfen einander, damit Bildung entstehen und Kultur sich erneuern kann.“ Und weiter: „Eine lebendige Kultur braucht Bildung, um nicht zu erstarren. Lebendige Bildung wiederum braucht Kultur, um vom Pflock des Augenblicks loszukommen und Perspektiven zu entwerfen, die über den Tag hinausweisen.

Nun, was heißt das für die Politik? Im „Jahr der kulturellen Bildung“ bringt diese Landesregierung erstmals den Mut auf, über den ministeriellen Tellerrand einzelner Häuser zu schauen und zu erkennen, dass Kultur und Bildung und soziale Teilhabe nicht nur zusammen gehören, sondern auch zusammen spielen müssen. Gemeinsame Angebote, die Verbindung von Fördertöpfen und Haushaltsressourcen, das Zusammenspiel der unterschiedlichen AkteurInnen.

Dies alles soll in diesem Jahr angestoßen und auf den Weg gebracht werden. Dabei kann es aus meiner Sicht nicht nur darum gehen, so genannte „Leuchtturmprojekte“ zu entwickeln, sondern es muss eine nachhaltige Vernetzung gelingen, die über dieses Jahr hinausreicht.

Kita, Schule und Volkshochschule als wesentliche Orte „organisierter“ Bildung sollen sich noch mehr als bisher schon öffnen für Musikschulen, frei schaffende KünstlerInnen, die LAG Soziokultur und die Angebote der „Dickschiffe“ wie öffentliche Theater, Bibliotheken und Museen.

Die „Kulturschulen“ können beispielhaft Projekte und Kooperationen entwickeln, die ins ganze Land hinaus strahlen sollen und insbesondere in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein den ländlichen Raum bereichern.

Aber es muss auch weitergehen. Warum kann der Musikunterricht in Schulen nicht von LehrerInnen der Musikschulen erteilt werden, warum nicht Kunstkurse von aktiven KünstlerInnen? Warum soll dies nur am Nachmittag in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften oder gar als nettes Angebot zur Überbrückung der Zeit bis zum Ende der offenen Ganztagsschule geschehen?

Ich fände es attraktiv, diese Gedanken angesichts fehlender Lehrerkapazitäten, angesichts von kultureller und kreativer Kompetenzen bei den genannten AkteurInnen und auch angesichts von absehbar länger werdenden Schultagen im Ganztagsrhythmus weiter zu entwickeln. Schulen profitieren ebenso von frischen Ideen wie freie Träger, denen für ihre Instrumenten-, Mal- oder Theaterkurse die SchülerInnen wegen der Ganztagsschule verloren gehen.

Dazu muss die begonnene Zusammenarbeit der Ministerien weitergehen, müssen eingefahrene Wege verlassen und mit Mut und Kreativität interdisziplinär gedacht und gehandelt werden über den Tag und das „Jahr der kulturellen Bildung“ hinaus.

Nur wenn aus dem „Markt der Möglichkeiten“, den das Kulturministerium organisiert, Orte des Handelns werden, kann nicht nur Schule – um ein Lieblingsbuch der Kollegin Erdmann zu zitieren – sondern auch kulturelle Bildung gelingen.