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Politik & Wirtschaft

Präses der Landessynode in Preetz: „Kirche muss politisches Mandat bei Zukunftsthemen stärker wahrnehmen“

Über das Prinzip „Buen Vivir“ und die Frage nach dem „guten Leben“ diskutierten der Präses der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), Dr. Andreas Tietze, und der Botschafter der Republik Ecuador, Jorge Jurado, auf Einladung des Kirchenkreises Plön-Segeberg in Preetz.
In seinem Impulsreferat verwies Präses Dr. Tietze auf die Entwicklung der Vorstellung vom „guten Leben“ im europäischen Kontext. „Das Brutto-Inlandsprodukt (BIP) war bisher Gradmesser dessen, was gutes Leben ausmacht. Das BIP bildet aber die gesellschaftliche Wirklichkeit nur unzureichend ab. Umweltfragen, Bildungschancen und Verteilungsgerechtigkeit werden nicht berücksichtigt, sind aber Kerngrößen bei der Frage nach der zukünftigen Entwicklung der Gesellschaft.“

Dr. Andreas Tietze betonte bei der Veranstaltung die gesellschaftliche Rolle der Kirchen: „Kirche ist Resonanzkörper für die Fragen, die uns als Gesellschaft unbedingt angehen. Bei den Zukunft entscheidenden Themen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung haben wir ein klares politisches Mandat und müssen dies noch stärker als bisher wahrnehmen. Kirche kann mit ihrem Erfahrungspotential bei der Entwicklung zur Gemeinwesenökonomie und einer solidarischen Wirtschaft eine echte Vorreiterrolle einnehmen.“

Der Botschafter der Republik Ecuador, Jorge Jurado, erläuterte in seinem Vortrag, dass das Prinzip „Buen Vivir – Gutes Leben“ Eingang in die konkrete politische Planung der Regierung Ecuadors gefunden habe. Das Prinzip, das von ihm mit „Leben in Würde“ übersetzt wurde, beinhalte die Wahrung der Menschenrechte wie die Rechte der Natur und ziele auf die Überwindung des auf Ausbeutung der Ressourcen zielenden Wirtschaftens.

Jorge Jurado: „Erklärtes politisches Ziel ist es, die Ungleichheit zu überwinden.“ Durch Senkung der Staatsschulden und eine gezielte Steigerung der Investitionen in Gesundheit, Bildung und Infrastruktur habe die Regierung von Staatspräsident Rafael Correa Schritte zur Umsetzung des Verfassungsziels eingeleitet. Die Übertragbarkeit des Prinzips „Buen Vivir“, das sich auf indigene Welt- und Wertvorstellungen berufe, sei nicht auf den europäischen Kontext übertragbar, so
Jorge Jurado. Es könne aber zumindest ein wichtiger Impuls bei den globalen Zukunftsfragen sein.

Jurado erwähnte in diesem Zusammenhang das Scheitern der Initiative zur Rettung des Nationalparks Yasuní durch einen internationalen Treuhandfond (Yasuní ITT Initiative). In dem von der UNESCO 1989 zum Biosphärenreservat ausgerufenen Regenwaldgebietes werden seit Ende 2013 umfangreiche Ölvorkommen abgebaut. Die Regierung Correa hatte die Entscheidung zum Schutz des Nationalparks von der Ausgleichszahlung durch die internationale Staatengemeinschaft abhängig gemacht.
Das Prinzip „Buen Vivir“ – das Recht auf gutes Leben und die Rechte der Natur – hat in den lateinamerikanischen Republiken Ecuador (2008) und Bolivien (2009) mittlerweile Verfassungsrang erhalten. „Buen Vivir“, die spanische Übersetzung des Begriffs „Sumak Kawsay“, beruft sich auf indigene Traditionen und Wertvorstellungen im Andenraum.

Es stellt das menschliche Zusammenleben nach ökologischen und sozialen Normen ins Zentrum. Gutes Leben bedeutet in diesem Kontext mehr als wirtschaftliches Wachstum und materieller Wohlstand. Das Konzept stellt einen Bruch mit der allgegenwärtigen Verwertungs-, Einheits- und Wachstumslogik dar.
Die Veranstaltung fand auf Initiative des Kirchenkreises Plön-Segeberg, der Ökumenischen Arbeitsstelle sowie des Ökumeneausschusses im Haus der Diakonie in Preetz statt.