Entsorgung radioaktiven Bauschutts aus schleswig-holsteinischen Atomkraftwerken
Der Atomausstieg und der Rückbau bzw. Abriss der Atomanlagen ist eine positive Entwicklung. Die großen Probleme des Betriebs von Atomkraftwerken nehmen ab. Es entstehen jedoch andersartige Schwierigkeiten mit der Entsorgung und Ablagerung radioaktiven Materials aus dem Abriss. Zur Bewältigung dieser Probleme beabsichtigt das schleswig-holsteinische Umweltministerium, mit Atomkraftbetreibern, Kommunen, Abfallentsorgern und andern Beteiligten noch in diesem Jahr für das Abrissmaterial ein Entsorgungskonzept zu erarbeiten, das in den folgenden Jahren umgesetzt werden soll.
Auch wenn erst um 2025 die Ablagerung radioaktiven Materials geschehen soll, werden doch schon in diesem Jahr die Weichen für das Verfahren gestellt. Es ist nicht auszuschließen, dass auch die Lübecker Deponie Niemark zur Ablagerung ausgewählt wird. Wer an der gesellschaftlichen Debatte über die Frage, wo der radioaktive Bauschutt bleiben soll, teilnehmen will, sollte in diesen Tagen und Wochen damit beginnen, sich öffentlich zu äußern und dann in Bürgerbeteiligungsverfahren Eingaben machen.
Denn Gesundheitsgefährdungen für die Bevölkerung sind nicht auszuschließen. Die Entsorgung des zur Ablagerung freigegebenen radioaktiven Bauschutts aus Atomkraftwerken auf Hausmülldeponien bedeutet eine Verteilung schwach radioaktiven Materials im Land außerhalb der atomrechtlichen Kontrollbestimmungen. Die zivilisationsbedingte Radioaktivität wird – zusätzlich zur allgemein vorkommenden natürlichen Radioaktivität – in den Regionen erhöht. Die vorhandene Hintergrundstrahlung wird weiter ‚aufkonzentriert‘.
Die Strahlenschutzverordnung definiert auch keinen eindeutigen gesundheitlich verträglichen Grenzwert für freigegebenes schwach radioaktives Material zur Lagerung auf herkömmlichen Mülldeponien, sondern gibt eine „effektive Dosis im Bereich von zehn Mikrosievert im Kalenderjahr“ für Einzelpersonen der Bevölkerung an. Mit der Formulierung „im Bereich von“ ist ein Spielraum der Ungewissheit gegeben. Die Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung wurden 2011 gelockert und werden in Details sogar vom Bundesamt für Strahlenschutz kritisiert.
Die Ausdrücke „schwach“ und „sehr schwach radioaktives Material“ lassen an eine geringe oder keine Gesundheitsgefährdung denken. Aber nach statistischer Wahrscheinlichkeit wird es aufgrund der Freigaberegelung zu Erkrankungen und auch zu Todesfällen kommen, schreibt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland in seiner Studie von 2013 zu den Defiziten der Freigabe radioaktiver Stoffe. Und nicht nur Krebserkrankungen sind dabei eine Gefahr. Die Ärztevereinigung IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) stellt 2014 fest: „Niedrige Strahlendosen können auch zu benignen Tumoren, kardiovaskulären, zerebrovaskulären, respiratorischen, gastrointestinalen, endokrinologischen Erkrankungen, Intelligenzminderung und Katarakten führen.“
Wer schädliche Stoffe in die Umwelt einbringt, muss das Minimierungsgebot beachten. Die atomrechtlich unkontrollierte Verteilung radioaktiven Bauschutts auf konventionelle Deponien in Schleswig-Holstein, zu denen auch Niemark gehört, ist gesundheitlich im höchsten Grad problematisch, selbst wenn sie zulässig ist. Auch der Grüne Umweltminister Schleswig-Holsteins will hinsichtlich der Vorsorge „über die Anforderungen aus der Strahlenschutzverordnung hinausgehen“, teilte er im Juni 2015 dem Städteverband mit.
Deshalb haben europäische Länder wie z.B. Frankreich schon jetzt für sehr schwach radioaktives Material gesonderte Deponien, deren Sicherheitsanforderungen nicht so hoch sind wie für atomare Endlager, aber höher als für konventionelle Mülldeponien. So eine Handhabung des schwach strahlenden Materials wird auch von der Bundestagsfraktion der Grünen in ihrer gutachterlichen Stellungnahme von 2012/13 bevorzugt: „Mit dem in Frankreich gewählten Umgang mit bei der Stilllegung anfallenden Stoffen geringer Radioaktivität werden mögliche Strahlenbelastungen für Personen aus der Bevölkerung sicherer verhindert. Eine unkontrollierte Ausbreitung von Radionukliden im konventionellen Bereich wird vermieden und in Bezug auf Akzeptanz bei der Bevölkerung ist dieser Weg zielführender.“
An eine solche Deponie für radioaktives Abrissmaterial aus Atomkraftwerken sind einige Mindestanforderungen an Sicherheit zu stellen, z.B. eine mehrere zehn Meter mächtige homogene Tonschicht mit geringster Durchlässigkeit im Untergrund, eine undurchlässige Folie als Basisabdichtung und Oberflächenabdeckung mit garantierter Langzeithaltbarkeit, eine aktive Nachsorge mit Rückhalte-Überwachung für mehrere (mindestens drei) Jahrhunderte sowie eine rückholbare Ablagerung. Andere, ggfls. sicherere Arten der Entsorgung radioaktiven Bauschutts sind ebenfalls zu prüfen.