Pakistan: „Sie können machen, was sie wollen“
Pakistan: „Sie können machen, was sie wollen“ – Am 28. Januar sprach ein Anti-Terrorismus-Gericht in Pakistan mehr als 100 Personen frei, die verdächtigt worden waren, sich an Ausschreitungen gegen Christen im März 2013 in Lahore beteiligt zu haben. Dabei wurden über 100 Häuser von einem wütenden Mob geplündert und niedergebrannt. Auslöser für die Gewalt war der Vorwurf der Blasphemie gegen einen einheimischen Christen.
Vorwurf der Blasphemie löst Massenaufruhr aus
Nach einer Diskussion über religiöse Themen hatte der Muslim Shahid Imran seinen christlichen Freund Sawan Masih beschuldigt, den islamischen Propheten beleidigt zu haben. Medienberichten zufolge wurde der Vorwurf über die Lautsprecher einer Moschee verbreitet. Daraufhin rotteten sich mehr als 2.000 Männer zusammen und zogen zur christlichen Joseph-Siedlung, wo Sawan Masih wohnte. Sie vertrieben die Christen, plünderten ihren Besitz und brannten alles nieder. Sawan Masih wurde von der Polizei verhaftet und wegen Blasphemie zum Tod und zu einer Geldstrafe von 200.000 Rupien (entspricht etwa 1.800 Euro) verurteilt. Seitdem befindet er sich im Gefängnis. Gegen das Urteil legte er beim obersten Gerichtshof von Lahore Berufung ein. Unmittelbar nach den Ausschreitungen erklärte der Ministerpräsident der Provinz Punjab, Mian Shahbaz Sharif, bei einem Besuch der Joseph-Siedlung, Christen hätten die gleichen Rechte wie Muslime und sollten vom Staat beschützt werden. Dessen ungeachtet wurden nun alle Angeklagten freigesprochen – offiziell aus Mangel an Beweisen.
„Wir erfahren keine Gerechtigkeit“
Pakistanische Kirchenleiter äußerten ihre Enttäuschung über das Gerichtsurteil. „Es ist wirklich erschütternd“, sagte Cecil Shane Chaudhry, der Geschäftsführer der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden innerhalb der katholischen Kirche. „Das bedeutet, dass das Gericht trotz Videoaufnahmen und Fotos von tausenden randalierenden Menschen, die den Privatbesitz von Christen zerstörten, niemanden für schuldig befunden hat. Also können Mobs machen, was sie wollen.“ Samson Salamat, Sprecher der Gruppe Rawadari Tehreek, die sich für mehr Toleranz einsetzt, fügte hinzu: „Wir sind besorgt. Ein weiteres Mal hat sich die Geschichte wiederholt und wir erfahren keine Gerechtigkeit.“ Keine der Gewalttaten gegen Christen in den letzten Jahren sei geahndet worden. Dies sei nicht nur ein negatives Signal für die verfolgten religiösen Minderheiten, sondern gleichzeitig auch eine Ermutigung für Extremisten, mit ihren Angriffen fortzufahren.
Islamistischer Widerstand gegen Schutz von Minderheiten
Der pakistanische Premierminister Muhammad Nawaz Sharif verkündete jüngst, der Tag sei nicht mehr fern, an dem Pakistan auf der ganzen Welt als ein minderheitenfreundliches Land bekannt sein werde. Dementsprechend wurde eine parlamentarische Kommission gegründet, um Maßnahmen gegen den Missbrauch der Blasphemiegesetze zu erarbeiten. Erst im vergangenen Herbst scheiterte jedoch ein Gesetzesentwurf zum Schutz von Minderheiten am Widerstand islamistischer Parteien. Hinzu kommt, dass radikalisierte Teile der Bevölkerung oftmals starken Druck auf die Gerichtsbarkeit ausüben.
Thomas Müller, ein Analyst der Forschungsabteilung von Open Doors, sagte: „Es gab bereits unzählige Versuche, die pakistanischen Blasphemiegesetze abzuändern oder wenigstens ihre verheerenden Konsequenzen zu beschränken, von denen vor allem die religiösen Minderheiten des Landes betroffen sind. Aber bis jetzt haben sich extremistische Gruppen immer als stärker erwiesen. Wir werden sehen, ob sich diese anerkennenswerten politischen Initiativen gegen den – sehr wahrscheinlich gewaltsamen – Widerstand durchsetzen können, der von den islamistischen Gruppen im Land zu erwarten ist.“
Auf dem Weltverfolgungsindex von Open Doors nimmt Pakistan den vierten Platz ein und gehört damit zu den fünf Ländern mit der stärksten Christenverfolgung.
Quellen: World Watch Monitor, Open Doors