Bundeskanzlerin drängt Bundesländer zu verschärfter Abschiebungspolitik
Bundeskanzlerin drängt Bundesländer zu verschärfter Abschiebungspolitik – Der in Teilen erst am 8. Februar bekannt gewordene 16-Punkte-Plan der Bundesregierung für eine mit den Ländern am 9. Februar zu vereinbarende „Rückkehrpolitik“ stellt nach Auffassung des FLÜCHTLINGSRATs Schleswig-Holstein e. V. und von PRO ASYL nichts anderes dar, als den Versuch, eine große Zahl von Abschiebungen und erzwungenen un-„freiwilligen“ Ausreisen in kurzer Zeit zu erreichen.
Vor allem sollen offenbar die bis dato für Aufenthaltsbeendigungen zuständigen Bundesländer entmachtet werden. Auf der Wunschliste steht die Einrichtung von Bundesausreisezentren, in denen für die letzte Frist des Aufenthalts Ausreisepflichtige zwangskaserniert werden, damit Bundesbedienstete auf sie Zugriff haben.
Auch sachlich ist der jetzige Vorstoß nicht begründet. Bei der Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen geht es oft um Sachverhalte, die bundeszentral nicht adäquat geprüft werden können. Wenn etwa medizinische Gründe die Abschiebung in Frage stellen, muss ein seriöses Verwaltungshandeln dies in Kooperation mit den behandelnden Ärzten vor Ort beurteilen.
„Zu erwarten ist, dass die Länder sich bei der heutigen Konferenz im Kanzleramt nicht einmal mit Blick auf die Entsorgung ausreisepflichtiger im Asyl gescheiterter Flüchtlinge die föderale Butter vom Brot nehmen lassen werden“, vermutet Martin Link. Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Dies sei auch der Kanzlerin und ihrem vom Thema Abschiebung getriebenen Bundesinnenminister klar. Wenn der Bund mit dem Konzept der Bundesausreisezentren bei den heutigen Bund-Länder-Beratungen nicht durchkommt, sollen doch die Bundesländer die Idee zu ihrer machen. Die Wahl scheint zu liegen zwischen der Pest künftiger „Bundesausreisegefangenen“ des Herrn de Maizière und der Cholera von Ländervarianten.
In Vorahnung oder in vorauseilendem Gehorsam ist Schleswig-Holstein schon tätig geworden. Anfang dieses Jahres hat das vom Flüchtlingsrat im Vorfeld entschieden kritisierte Ausreisezentrum1 – amtlich als Landesunterkunft für Ausreisepflichtige bezeichnet – in der 2.000 Plätze vorhaltenden EAE-Kaserne in Boostedt seine Arbeit aufgenommen. Dort ist nach einem dem Flüchtlingsrat vorliegenden Erlass2 die weitgehend unbefristete Zwangsunterbringung von ausreisepflichtigen Männern, Frauen und Kindern vorgesehen.
In Boostedt sollen die Betroffenen durch intensive Gespräche „überzeugt werden“, von der Möglichkeit der sogenannten „freiwilligen“ Ausreise Gebrauch zu machen. Anderenfalls sollen sie unter Erwirkung ihrer Mithilfe von dort aus abgeschoben werden.
Dazu werden die Betroffenen aus der Zuständigkeit der kommunalen Ausländerbehörden an die des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten überstellt und aus ihrem sozialen Umfeld an ihrem bisherigen Wohnort in Städten oder Gemeinden herausgerissen. Kinder müssen ihre Schulgemeinschaften verlassen, Erwerbstätigen wird mit sofortiger Wirkung die Arbeitserlaubnis entzogen und sie werden wieder in die soziale Versorgung durch die öffentliche Hand gezwungen.
In das Boostedter Ausreisezentrum müssen offenbar alle. Trotz noch Ende vergangenen Jahrs dem Flüchtlingsrat und anderen Teilnehmer*innen einer Anhörung im Ministeriums für Inneres und Bundesangelegenheiten zum geplanten Verfahren gemachter gegenteiliger Versprechungen, ist im aktuellen Erlass auch die regelmäßige Wohnverpflichtung von Dublin-Flüchtlingen vorgesehen, die in einen europäischen Staat rücküberstellt werden sollen.
Flüchtlingsrat, Landesflüchtlingsbeauftragter und Verbände hatten – mit Blick auf den möglicherweise monatelangen Aufenthalt im Ausreisezentrum – bei besagter Anhörung ebenso moniert, dass es nicht vorgesehen sei, schulpflichtige Kinder in die Regelschulen vor Ort zu integrieren, sondern sie durch ein lagerinternes Beschulungsprovisorium zu versorgen. Auch diesbezüglich finden sich im Verlauf der Anhörung vom 20. Dezember erklärte Zusicherungen des Ministeriums nicht im Erlass wieder.
Mit der Idee der Bundesausreisezentren wird ein gescheitertes System reanimiert. In der Vergangenheit wurden bereits in verschiedenen Bundesländern errichtete Ausreisezentren – z. B. 2006 in Neumünster – nach einiger Zeit wieder geschlossen, weil sie keineswegs dazu geführt hatten, eine höhere Zahl von Abschiebungen durchzusetzen.
gez. Martin Link
HINTERGRUND:
Am 8.2.2017 veröffentlichte PRO ASYL eine Stellungnahme zu den vom Bund geplanten Bundesausreisezentren und anderen Maßnahmen des 16-Punkte-Plans zur Externalisierung von Schutzsuchenden, die wir im Folgenden leicht gekürzt dokumentieren:
[…] In Sachen „freiwillige“ Rückkehr wird die Katze aus dem Sack gelassen, der Begriff in übler Weise missbraucht. Eine wirklich freiwillige Rückkehr in menschenwürdiger Weise setzt eine ergebnisoffene Perspektivberatung durch unabhängige Stellen voraus – ganz abgesehen von Verhältnissen in den Herkunftsstaaten, die eine solche Rückkehr möglich machen müssen. Gewollt aber ist genau dies nicht. Es soll eine flächendeckende staatliche Rückkehrberatung geben, die frühzeitig einsetzt, bei Asylsuchenden aus Staaten mit geringer Schutzquote schon unmittelbar nach der Ankunft. Das ist nichts anderes als brutale Entmutigungs- und Vergrämungspolitik gegen Asylsuchende. Die Betroffenen stehen unter Druck, lange bevor das Asylverfahren entschieden ist und damit überhaupt über die Chance im Einzelfall eine Aussage getroffen ist.
Das Programm setzt auf finanzielle Anreize zur Rückkehr. Doch auf die Rückkehrmöglichkeit schon bei der Stellung des Asylantrages massiv hingewiesen zu werden von der Behörde, die für die inhaltliche Entscheidung über den Flüchtlingsschutz zuständig ist, wird bei den betroffenen Flüchtlingen verständlicherweise Misstrauen und Irritationen auslösen. Das Vertrauen in ein faires Verfahren ist erschüttert, wenn das Bundesamt schon vorab die Rückkehr zu befürworten scheint.
Angeblich soll diese frühzeitige staatliche Rückkehrberatung direkt nach Ankunft nur bei Menschen aus Staaten mit geringer Schutzquote gelten. Dies ist nicht glaubhaft, hat doch gerade das Programm „Starthilfe Plus“ der Bundesregierung Zielstaaten wie Syrien, Eritrea oder Afghanistan gelistet. PRO ASYL lehnt die Idee einer de-facto-Zwangsrückkehrberatung von Staats wegen ab.
Das Programm zur freiwilligen Ausreise ist eine Entmutigungsstrategie mit Staffelpreisen: Je früher der Asylantrag zurückgezogen wird, desto höher die Ausreiseförderung.
Weiterhin möchte die Bundeskanzlerin den Bundesländern vorschlagen, ein Gemeinsames Zentrum zur Rückkehr zu schaffen, um Sammelabschiebungen zu koordinieren. Offensichtlich zielt der Plan u. a. darauf ab, Abschiebungen nach Afghanistan noch stärker zu forcieren. Bei den beiden vergangenen Sammelcharter-Flügen zeigte sich, dass einige Bundesländer nicht mit dem Bundesinnenministerium kooperieren wollen und unter Verweis auf Berichte von UNHCR und der UN-Mission UNAMA an der längst überholten Sicherheitsbeurteilung des Bundes zu Afghanistan erhebliche Zweifel haben. Das neue Gemeinsame Zentrum stellt den billigen Versuch dar, die Bedenken der Bundesländer zu umgehen und zentral Abschiebungen umzusetzen – Zwangsvergemeinschaftung nach Berliner Art.
Schließlich soll die Abschiebehaft für Ausländer erleichtert werden, von denen „eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben“ ausgeht. Allerdings ist der Gefährderbegriff bislang selbst im deutschen Strafrecht umstritten, weil unscharf und nur durch abstrakte Generalklauseln gestützt. Die geplante Regelung vermischt unzulässig das Ausländerrecht und das Strafrecht. Die Abschiebehaft erfüllt nur die Funktion, den Vollzug der Ausreise sicherzustellen, sie ist aber gerade keine Strafhaft und darf deswegen auch keine strafrechtlichen Ziele verfolgen. Die geplante Haft für Gefährder darf diese Grundsätze nicht aushebeln. Eine reine Präventivhaft, die nicht auf der Basis konkreter und gerichtlich nachprüfbarer Erkenntnisse verhängt wird, ist nicht nur aus Sicht des Deutschen Instituts für Menschenrechte3 grund- und menschenrechtlich unzulässig.
Durchgesickert ist außerdem eine geplante Gesetzesänderung, mit der Überraschungsabschiebungen auch länger hier im Lande Lebender ermöglicht werden sollen. Die bisherige Rechtslage: Wenn Ausreisepflichtige länger als ein Jahr geduldet sind, muss bisher die Duldung mit dem Hinweis auf eine einmonatige Frist förmlich widerrufen werden. Jetzt soll die gesetzlich vorgesehene Frist abgeschafft werden, etwa wenn den Betroffenen vorgeworfen wird, bei der Beseitigung ihres Ausreisehindernisses nicht mitgewirkt und damit ihre Abschiebung verhindert oder verzögert zu haben. In vielen Fällen ist es umstritten, wo die Verantwortung z.B. für die Verzögerung bei der Ausstellung eines Rückreisedokuments liegt. Den Unklarheiten folgt nun der Wegfall der Widerrufsfrist. Das Ziel ist offensichtlich, künftig ahnungslose Betroffene leichter ins Flugzeug bugsieren zu können.
Die ärztliche Begutachtung der Reisefähigkeit bei Rückführungen soll beschleunigt (in der Praxis: auch in der Sache verkürzt) werden. Geplant ist damit, ohnehin schon bestehende scharfe Regelungen4 weiter zu verschärfen.Die Länder sollen mehr Amtsärzte oder vergleichbares ärztliches Personal einsetzen. Schon heute werden als vergleichbares Personal auch zur Begleitung von Rückführungen zum Teil willfährige Honorarärzte eingesetzt, die in der Vergangenheit bereits treffend als „Fachärzte für Abschiebungen“ kritisiert wurden, weil sie sich offenbar eher dem einzigen Ziel „Überleben der Abschiebung“ als dem Patientenwohl und dem Hippokratischen Eid verpflichtet fühlen. Ein Aufschrei großer Teile der Ärzteschaft ist wohl zu erwarten.
1http://frsh.de/artikel/zur-geplanten-landesunterkunft-fuer-ausreisepflichtige-in-schleswig-holstein/
2http://frsh.de/artikel/erlass-zum-ausreisezentrum-boostedt/