Wirtschaft und Regierung im Dialog: „Wenn die Natur dynamischer ist als die Planung, stimmt etwas nicht“
Wirtschaft und Regierung im Dialog: „Wenn die Natur dynamischer ist als die Planung, stimmt etwas nicht“ – „Wir stehen hinter den Unternehmerinnen und Unternehmern.“ Mit diesen Worten präsentierte sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther mehr als 100 Mitgliedern der Vollversammlungen der Industrie- und Handelskammern Flensburg, Kiel und Lübeck.
Knapp drei Wochen nach seiner Wahl war der Regierungschef der Einladung der IHKs gefolgt. „Ich freue mich auf den Dialog mit der Wirtschaft, er darf auch gern mal kritisch sein.“ Das bekräftigte auch Wirtschaftsminister Dr. Bernd Buchholz, der die Landesregierung auf einem sich an die Vollversammlung anschließenden öffentlichen Teil mit mehr als 300 Unternehmern vertrat. Die IHK Schleswig-Holstein hatte Günther und Buchholz in die Holstenhallen Neumünster eingeladen, damit sie die Leitlinien der künftigen Wirtschaftspolitik präsentieren und den direkten Dialog mit der Wirtschaft aufnehmen.
Das erste Kennenlernen stand unter dem Motto: „Wir wollen Schleswig-Holstein gemeinsam fit machen für die Zukunft“, so Friederike C, Kühn, Präsidentin der IHK Schleswig-Holstein. „Eine unserer Aufgaben ist die Politikberatung. Dabei setzen wir auf den Dialog und verfolgen das Ziel, die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und die Menschen im Land zu verbessern.“ Die IHK Schleswig-Holstein hatte bereits für den Landtagswahlkampf Forderungen zu zehn zentralen Schwerpunkten aufgestellt. „Jetzt haben wir den Koalitionsvertrag bewertet. Er liest sich besser als das, was wir bisher gewohnt waren. Daher ist unsere Erwartungshaltung hoch“, so Kühn.
Der Ministerpräsident betonte, die neue Jamaika-Regierung aus CDU, FDP und Grünen habe sich im Koalitionsvertrag ehrgeizige Ziele gesetzt. „Unser Ziel ist es, Straßenprojekte in Schleswig-Holstein zu verwirklichen und dabei Ökologie und Ökonomie zu verbinden“, betonte er. Zum Beispiel ließe sich der Bau der A20 beschleunigen, Geld sei vorhanden, es fehle aber an Planern. Die Koalition habe die Absicht, wie von der Wirtschaft gefordert, 90 Millionen Euro pro Jahr in die Landesstraßen zu investieren.
Insgesamt seien 500 Millionen Euro zusätzliche Investitionen geplant, in die Verkehrsinfrastruktur, die digitale Infrastruktur, in Schulen, Hochschulen und Krankenhäuser, kündigte der Regierungschef an. Klaus-Hinrich Vater, Präsident der IHK zu Kiel, bemängelte, dass im Koalitionsvertrag nichts zu dem von der Wirtschaft geforderten Ökonomie-Unterricht in der Unter- und Mittelstufe der weiterführenden Schulen zu finden sei. Die IHKs halten diese Kenntnisse für wichtig, um schon bei Schülern ein Bewusstsein für die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu schaffen und sie über die vielfältigen Möglichkeiten unternehmerischer Tätigkeit zu informieren. Zudem bot er die Unterstützung der IHKs auf Bundesebene zur Beschleunigung des Planungsrechtes an. Daniel Günther stimmte dem zu: „Schleswig-Holstein kann in Berlin lauter werden als bisher.“
Diesen Ansatz griff Flensburgs IHK-Präsident Uwe Möser auf. „Lauter werden im Bund müssen wir beim Thema Energie. In diesem Bereich brauchen wir mehr Flexibilität bei der Nutzung von Überkapazitäten und ein vereinfachtes, transparentes Erneuerbare-Energien-Gesetz.“ Wirtschaftsminister Buchholz nahm die Hinweise auf, betonte im Hinblick darauf aber, auch zwischen den Anbietern erneuerbarer Energien müsse es einen Wettbewerb geben. Zuspruch der Wirtschaft erhielt die Regierung für ihren Ansatz der Sektorkopplung, die eine Nutzung von Strom aus Windkraft auch für einen Ausbau der Elektromobilität oder in der Industrie vorsieht.
Einen Schwerpunkt seiner Tätigkeit setzt der Minister beim Ausbau der Glasfasernetze. Unternehmen und private Haushalte sollen bereits bis 2025 an das Netz angeschlossen sein, und damit fünf Jahre früher als bisher geplant. Diese Versorgung ist ein Standortvorteil für Unternehmen, vor allem bei der Anwerbung von Fachkräften, die auch zu Hause über leistungsfähige Internetanschlüsse verfügen. „Digitalität bietet auch dem ländlichen Raum Chancen. Das Autonome Autofahren zum Beispiel kann auf Sicht zur Lebensqualität älterer Menschen außerhalb der Zentren beitragen.“
Grundlage dafür ist auch eine funktionsfähige Verkehrsinfrastruktur. Buchholz hat wegen der vielen Probleme den Bau der A20 zur Chefsache erklärt. „Wann sie fertig ist, kann ich noch nicht sagen. Aber wir legen jetzt die Themen auf den Tisch, die wir aus ökologischer Sicht beheben müssen. Für diese wollen wir gemeinsam mit den Umweltverbänden Lösungen finden“, sagte er. Der Minister gehe davon aus, dass sich auch mit den Umweltverbänden Differenzen bei Großprojekten nur im Dialog lösen lassen. „Zudem müssen wir an das Planungsrecht ran“, kündigte er an. Sein Kabinettskollege, Umweltminister Robert Habeck, habe es mit dem Satz: „Natur ist dynamisch“ auf den Punkt gebracht. Buchholz: „Wenn die Natur aber dynamischer ist als unsere Planungsprozesse, stimmt etwas nicht“, sagte er unter dem Applaus der 300 Teilnehmer.