Digitalisierungsgesetz: Gute Ansätze, hohe Risiken
Berlin (ots) – Der AOK-Bundesverband sieht im „Digitale Versorgung-Gesetz“ (DVG) zahlreiche gute Ansätze für echte Fortschritte bei der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens. Zugleich warnt er in seiner Stellungnahme zur Verbände-Anhörung aber vor hohen Folgekosten und vor möglichen Risiken für die Patientensicherheit beim geplanten Zulassungsverfahren für digitale Gesundheitsanwendungen. „Das Gesetz hat das Zeug dazu, die digitalen Innovationen im Gesundheitswesen zu fördern und die Vernetzung voranzubringen“, sagt der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. So begrüßt die AOK-Gemeinschaft die Regelungen zur versichertenzentrierten elektronischen Patientenakte. „Die Vorteile der Digitalisierung werden allerdings nicht zum Tragen kommen, wenn die Finanzierungsmechanismen der Papierwelt einfach auf die digitale Patientenakte übertragen werden“, so Litsch. „Es kann nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen sein, die Nutzung der elektronischen Akte durch die Ärzte zu incentivieren und für jeden Klick extra zu bezahlen. Klickraten mögen die Geschäftsmodelle der werbebasierten Internetkonzerne beflügeln. In der sozialen Krankenversicherung müssen der tatsächliche Aufwand und der Nutzen für die Versicherten an erster Stelle stehen.“ Telematikinfrastruktur: Ausbau unter neuen Vorzeichen gefordert Der geplante Ausbau der Telematikinfrastruktur (TI) wird von der AOK ausdrücklich befürwortet: „Es ist richtig und wichtig, weitere Akteure wie Krankenhäuser, Apotheken, Pflegeeinrichtungen oder Physiotherapeuten anzuschließen“, betont der AOK-Vorstand. „Das ist im Sinne der Vernetzung, die wir auch mit unserem Digitalen Gesundheitsnetzwerk verfolgen.“ Doch die Sache habe einen entscheidenden Haken: „Mit der heutigen Hardware-basierten Infrastruktur würden unverhältnismäßig hohe Technikkosten entstehen“, warnt Litsch. Schon die Erstausstattung und der Betrieb der TI allein für die Vertragsärzte habe etwa 700 Millionen Euro während der vergangenen drei Jahre verschlungen. Der Anschluss von Krankenhäusern und Apotheken ist hierbei noch in keiner Weise berücksichtigt. „Wenn jetzt weitere 100.000 Leistungserbringer ebenfalls einen Konnektor hingestellt bekommen, der nach fünf Jahren wieder ausgetauscht werden muss, wäre das eine schlechte Nachricht für die Beitragszahler.“ Daher braucht es aus Sicht der AOK eine zeitnahe Entwicklung von Alternativen zu den Hardware-Konnektoren, bevor die TI weiter ausgerollt wird. Freifahrtschein für überhöhte Preise bei digitalen Anwendungen Zweischneidig ist aus Sicht der AOK auch der Leistungsanspruch der Versicherten auf Gesundheits-Anwendungen: „Wir finden es richtig, dass digitale Gesundheitsanwendungen in die Patientenversorgung aufgenommen werden. Insbesondere die erweiterten Möglichkeiten für die Kassen, ihren Versicherten geeignete Apps zur Unterstützung der Versorgung im Wettbewerb anzubieten, wären in unserem Sinne. Diese Möglichkeit wird jedoch faktisch ins Leere laufen, da digitale Gesundheitsanwendungen in Zukunft ohne ausreichende Überprüfung ihres Gesundheitsnutzens ohnehin von den Krankenkassen übernommen werden müssen – und dies zu einem vom Hersteller frei gesetzten Preis“, sagt Martin Litsch. „Dieser Freifahrtschein nach dem Vorbild des AMNOG hat schon bei den Arzneimitteln zu überhöhten Preisen geführt“, kritisiert Litsch. Hinzu komme, dass die Hersteller angesichts beliebig wählbarer Produktzyklen für Gesundheitsanwendungen jedes Jahr „neue“ Produkte auf den Markt bringen und damit den Preisvereinbarungen auch komplett ausweichen könnten. „Ein derart direkter Zugriff einer Gruppe von Leistungsanbietern auf die Ressourcen der GKV ist einzigartig.“ Durch die im DVG-Entwurf vorgesehenen Finanzierungsregelungen entstehe ein erhebliches Kostenrisiko für die gesetzlich Versicherten. „Schon bei einer stichprobenartigen Betrachtung des Angebotes von drei Anbietern und einer geschätzten Verschreibungsquote von 25 Prozent kommen wir auf geschätzte Mehrkosten für die GKV von jährlich 2,5 Milliarden Euro“, so Litsch. Relevantes Risiko für Patientensicherheit bei Gesundheits-Apps Gleichzeitig besteht aus Sicht der AOK-Experten ein relevantes Risiko für die Patientensicherheit: Für digitale Anwendungen, die de facto neue Untersuchungs- und Behandlungsverfahren darstellen, ist kein Nachweis eines patientenrelevanten Nutzens vorgesehen. „Zumindest für digitale diagnostische oder therapeutische Anwendungen, die über reine Servicefunktionen hinausgehen, müssen Studien Pflicht werden. Ohne die Verpflichtung, belastbare Studien durchzuführen, werden wir nie wissen, ob der Nutzen einer solchen Anwendung tatsächlich größer ist als der Schaden“, kritisiert Litsch. Daher fordert die AOK eine Bewertung des Nutzens der digitalen Gesundheitsanwendungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Zudem sollte der Preis für diese digitalen Anwendungen aus Sicht der AOK nicht im langwierigen zentralistischen Verfahren auf Bundesebene vereinbart werden, sondern analog zum Hilfsmittelbereich in wettbewerblichen Verhandlungen zwischen Kassen und Anbietern. „Die Erwartungen der Versicherten an ein gutes Angebot werden dazu führen, dass alle Krankenkassen ein Interesse haben, mit den Herstellern zügige Vereinbarungen zu schließen“, so der AOK-Vorstand. Der AOK-Bundesverband begrüßt in diesem Zusammenhang die vorgesehenen Regelungen zur Förderung der Entwicklung digitaler Innovationen durch die Krankenkassen. Die Möglichkeit, digitale Versorgungsinnovationen allein, in Kooperation mit Dritten oder durch Kapitalbeteiligungen zu entwickeln, kann nach Einschätzung der AOK-Gemeinschaft entscheidende Impulse für die Umsetzung innovativer Versorgungsideen setzen. „Auch die erweiterten Möglichkeiten zur Auswertung von Sozialdaten, die im Referentenentwurf vorgesehen sind, begrüßen wir ausdrücklich“, betont Litsch. „Sie ermöglichen es uns, ein umfassendes und individualisiertes Beratungsangebot für unsere Versicherten zu entwickeln. Dabei bleiben die Datenschutz- und Sicherheitsinteressen der Versicherten nach deutschem Recht absolut gewahrt.“ Die Verbändeanhörung zum „Digitale Versorgung-Gesetz“ findet am 17. Juni statt. Die Stellungnahme des AOK-Bundesverbandes finden Sie zum Download unter https://aok-bv.de/positionen/stellungnahmen/index_22224.html Pressekontakt: Ihr Ansprechpartner in der Pressestelle: Dr. Kai Behrens Telefon: 030 / 34646-2309 Mobil: 01520 / 15603042 E-Mail: presse@bv.aok.de Original-Content von: AOK-Bundesverband, übermittelt durch news aktuell
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