Neue Meldestatistik Prostitution für 2022 – Warum wollen Sexarbeitende sich nicht anmelden?
Heute, am 15.09.2023, hat das statistische Bundesamt veröffentlicht, wie viele Sexarbeitende sich bis Ende 2022 angemeldet haben. Die Ergebnisse überraschen nicht. So stiegen die Zahlen um 19,1% im Vergleich zum Vorjahr, doch sind die Zahlen
weiterhin viel geringer als vor der Pandemie. Auch ohne belastbare Daten zur tatsächlichen Anzahl der Sexarbeitenden, die in Deutschland aktiv sind, ist schon seit Jahren ersichtlich, dass viele die Registrierungspflicht umgehen.Das im Jahre 2017 in Kraft getretene Prostituiertenschutzgesetz beinhaltet eine behördliche Meldepflicht für Sexarbeitende. Dazu gehören eine jährliche gesundheitliche Beratung sowie ein Anmeldegespräch. Beides ist Pflicht, um den sogenannten
“Hurenausweis” zu erhalten. Betreibende von Prostitutionsstätten sind verpflichtet, die Ausweise der bei ihnen tätigen Sexarbeitenden zu kontrollieren.
Die niedrigen Anmeldezahlen im Vergleich zur mutmaßlichen Dunkelziffer werfen folgende Frage auf: Warum umgehen Sexarbeitende diese Anmeldung? Sie empfinden die Anmeldung nicht als Schutz. Die Tätigkeit in der Prostitution ist nach wie vor extrem stigmatisiert. So versucht fast die komplette Branche, nicht in Zusammenhang damit gebracht zu werden. Die Angst vor einem Outing und der öffentlichen Ächtung ist bei Sexarbeitenden groß, besonders auch wenn Familie vorhanden ist. So zeigt das Outing von BesD-Mitglied Ella Bizarr sehr anschaulich, wie negativ und auch toxisch die Reaktionen ausfallen, wenn sich ein Elternteil dazu bekennt, Sexarbeiter zu sein.
Somit ist es verständlich, dass Eltern ihre Tätigkeit in der Erotikbranche verheimlichen möchten, um die eigenen Kinder vor Diffamierungen und Diskriminierung zu schützen. Das Doppelleben ist unser Schutz. Darüber hinaus fehlt das Vertrauen in Behörden. Die Angst vor einem Zwangsouting durch die Registrierung ist weit verbreitet.
Neben diesen Faktoren wirkt sich die veränderte Landschaft der Erotikbranche ebenfalls auf die Zahl der Anmeldungen aus. Die langen Bordellschließungen wegen Corona führten zu einer Verlagerung der Sexarbeit in private Bereiche. Ein großer Teil der Sexarbeitrenden erhielt keine Coronahilfen und war so gezwungen, illegal weiterzuarbeiten. Diese Milieuverschiebung hat sich bis heute nicht wieder zurückentwickelt. Viele Sexarbeitende sind auf sich alleine gestellt und nur noch schwer auffindbar für Beratungsstellen, Gesundheitsämter und auch für die Polizei. Unserer Erfahrung nach melden sich fast ausschließlich diejenigen an, die es müssen.
Alle Sexarbeitenden, die in Bordellen, Massagesalons, Laufhäusern, Clubs, Agenturen oder sonstigen Prostitutionsstätten arbeiten, kommen nicht um die Anmeldung herum. Wir plädieren für eine Abschaffung der Anmeldepflicht und der verpflichtenden Gesundheitsberatung und für eine komplette Entkriminalisierung von Sexarbeit. Die dann frei werdenden Gelder sollten in aufsuchende Sozial- und Gesundheitsarbeit fließen und die Unterstützung von Sexarbeitenden, die sich beruflich umorientieren wollen, fördern.