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Menschlich gesehen

Gefälschte Freier-Zitate: Farley-Studie „Männer in Deutschland, die für Sex zahlen“ weist schwere methodische Fehler auf

Die von US-Wissenschaftlerin Melissa Farley im November 2022 auf einer Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellte Studie „Männer in Deutschland, die für Sex zahlen“ wird regelmäßig als Begründung für ein Sexkaufverbot in Deutschland herangezogen. Eine  Analyse von BesD e.V. und Dona Carmen wirft Fragen im Bezug auf die Glaubwürdigkeit und Seriosität der Studie auf.
Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD e.V.) und der Verein für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten „Doña Carmen“ haben die von der US-Wissenschaftlerin Melissa Farley im November 2022 auf einer Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellte Studie „Männer in Deutschland, die für Sex zahlen“ gründlich unter die Lupe genommen.

Warum? Die Studie wird regelmäßig als Begründung für ein Sexkaufverbot in Deutschland herangezogen. Insbesondere die in der Farley-Studie genannten „Freier-Zitate“ dienen immer wieder als Beleg für die angeblichen kriminellen Neigungen von Sexkäufern.

Geltende wissenschaftliche Standards werden beharrlich und systematisch missachtet

Nun haben die beiden Verbände die niederschmetternden Ergebnisse ihrer Analyse in einer 53-seitigen Stellungnahme veröffentlicht. Sie kritisieren unter anderem:

– Die geringe Zahl der interviewten Freier (96 Männer, die zudem nur aus zwei süddeutschen Städten – München und Karlsruhe – stammen) lässt keine Verallgemeinerung auf Freier in ganz Deutschland zu.

– Die Interviews von Farley und ihren Mitautorinnen wurden weder per Tonaufnahme aufgezeichnet noch anschließend transkribiert. 
„Ich bin erschüttert über die Interviewmethoden“, sagt Johanna Weber, politische Sprecherin des BesD. „Prostitutionsgegnerinnen befragen Freier und schreiben die Inhalte dann später aus dem Gedächtnis auf.“

Viele der “Freier-Zitate” stammen aus Studien anderer Länder und wurden deutschen Kunden in den Mund gelegt (Punkt 19 der Analyse). 
Was Leser*innen der Studie als mit Anführungszeichen versehene Original-Aussagen der Freier ansehen, erweist sich als von Farley und ihren Mitarbeiterinnen selbst verfasste Konstrukte.

Beispiel aus Farleys deutscher Freier-Studie von 2022:
„Sie ist nur ein biologisches Objekt…das für seine Dienste Geld nimmt.“
„Es ist wie eine Tasse Kaffee, die man wegwirft, wenn man sie ausgetrunken hat.“

Aus Farleys Bostoner Freier-Studie von 2011:
“She is just a biological object that charges for services.“
“Being with a prostitute is like having a cup of coffee, when you’re done, you throw it out”.

Die Rolle der Straßenprostitution in Deutschland wird überbewertet. 
Anders als von Farley dargestellt findet Prostitution in Deutschland keineswegs vorrangig auf der Straße statt. Zu diesem Ergebnis kam auch eine Auswertung der Studie „Gesundheit und Sexualität in Deutschland“ im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf aus dem Jahr 2022, wonach 78,6 Prozent der befragten Männer Bezahlsex im Bordell hatten.

„Dennoch herrscht in den Köpfen vieler Menschen die Vorstellung, dass die Prostitution hauptsächlich auf dem Straßenstrich stattfindet“, sagt Weber. „Dass es sich aber nur um weniger als 10 Prozent  des Gesamtmarktes handelt, ist den meisten nicht klar.“

Dennoch wird gerade diese Studie  immer wieder als Begründung für eine Verschärfung der Gesetzgebung in Deutschland angeführt. Auch die Forderung der CDU/CDU nach einem Sexkaufverbot fußt unter anderem auf den Aussagen aus Farleys Studie.  „Es ist erstaunlich, wie eine so unseriös arbeitende Forscherin wie Farley immer noch vielen als Expertin für Prostitution gelten kann“, kritisiert Gerhard Walentowitz von der Beratungsstelle Doña Carmen in Frankfurt am Main.

Das gelte vor allem für die These Farleys, dass Sexkäufer generell gewaltbereiter seien und zu Straftaten neigten. „Die Vorstellung von Sexkäufern als einheitliche gewaltaffine Gruppe ist eine politisch motivierte Fiktion. Viele wissenschaftliche Studien teilen diese Sichtweise nicht. Sie kommen zu anderen, differenzierteren Ergebnissen.”, so Walentowitz.