Frühjahrsprognose: Osteuropa bleibt auf Wachstumskurs – ANHANG
Wien (ots) –
Hauptstütze Privatkonsum, Deutschlands Schwäche belastet; ukrainische Wirtschaft in Schwierigkeiten; Russlands Rüstungsboom am Limit, Sekundärsanktionen als Problem
Trotz des schwierigen internationalen Umfelds dürfte sich die Konjunktur in den meisten Volkswirtschaften Mittel-, Ost- und Südosteuropas 2024 gut entwickeln – vor allem in den EU-Mitgliedern. Große Abwärtsrisiken bleiben jedoch bestehen. Das zeigt die neue Frühjahrsprognose des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) für 23 Länder der Region. „Angesichts steigender Reallöhne, vor allem aufgrund einer stark rückläufigen Inflation, ist der private Konsum die Hauptstütze des Wachstums“, sagt Olga Pindyuk, Ökonomin am wiiw und Hauptautorin der Frühjahrsprognose. „Die Investitionstätigkeit wird sich erst allmählich erholen. In der Industrie – vor allem in den mit der schwächelnden deutschen Wirtschaft eng verflochtenen Visegrád-Staaten – sehen wir aber nach wie vor Probleme“, konstatiert Pindyuk. „Der erhofften Erholung der für die Region so wichtigen deutschen Wirtschaft ab 2025 kommt natürlich eine Schlüsselrolle zu.“
Für 2024 prognostiziert das wiiw den EU-Mitgliedern der Region ein Wachstum von durchschnittlich 2,5%, das 2025 auf 3% anziehen sollte. Damit dürften sie die heuer beinahe stagnierende Eurozone (0,6%) wieder deutlich überflügeln und auch im nächsten Jahr fast doppelt so stark wachsen wie diese (1,6%). „Die ostmitteleuropäischen EU-Mitglieder setzen damit auch 20 Jahre nach Beginn der EU-Osterweiterung ihren ökonomischen Aufholprozess wieder fort, auch wenn sich dieser ab 2025 etwas verlangsamen wird“, so Pindyuk.
Die Visegrád-Länder Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn werden heuer mit im Durchschnitt 2,4% expandieren und ihr Wachstum 2025 auf 3,0% steigern können. Polen und Ungarn haben aufgrund aktueller Entwicklungen (neue Regierung in Polen, Viktor Orbáns Ukraine-Deal mit der EU) zwar wieder verstärkt Zugriff auf EU-Gelder, allerdings fließen die Mittel im Falle Polens nur zäh und bleiben im Falle Ungarns zum Großteil weiterhin blockiert.
Die südosteuropäischen EU-Mitglieder Rumänien (3,0%) und Kroatien (2,9%) dürften 2024 besonders stark wachsen. Dort stützen nicht zuletzt Mittelzuflüsse aus dem Corona-Wiederaufbaufonds NextGeneration EU die Konjunktur. Die sechs Staaten am Westbalkan werden im Schnitt um 3% expandieren, die Türkei um 3,4%. Die leichte Erholung der kriegsgeplagten Ukraine sollte sich mit 3,2% BIP-Wachstum fortsetzen. Die schwierige militärische Situation und die Verzögerungen bei der weiteren Finanz- und Militärhilfe durch den Westen dämpfen jedoch die Wirtschaftsentwicklung. Bei Aggressor Russland dürfte sich das im vergangenen Jahr starke Wachstum der Kriegswirtschaft (3,6%) auf heuer 2,8% etwas abschwächen, da deutliche Überhitzungserscheinungen zu verzeichnen sind.
Geopolitische Risiken dominieren
Für die Prognose bestehen allerdings erhebliche Abwärtsrisiken. „Ein großer Krieg im Nahen Osten zwischen Israel und dem Iran würde wohl zu einem neuerlichen Energiepreisschock führen und die Inflation wieder befeuern“, warnt Pindyuk. „Eine zu schwache Erholung in Deutschland, Störungen der globalen Lieferketten und die Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten könnten die Region ebenfalls in Turbulenzen bringen“, argumentiert Pindyuk.
Ukraine: Unsicherheiten über westliche Hilfen bremsen Erholung
Vor allem für die Ukraine wirft ein möglicher Wahlsieg Trumps bereits seine Schatten voraus. Obwohl das Land seit Beginn der russischen Invasion eine erstaunliche Resilienz an den Tag gelegt hat, bremsen die anhaltende Unsicherheit und die Verzögerungen bei der westlichen Militär- und Wirtschaftshilfe die Erholung. Nach 5,3% Wachstum im vergangenen Jahr prognostiziert das wiiw der Ukraine heuer ein Wachstum von 3,2%. Trotz wirtschaftlicher Erfolge wie der Wiedereröffnung des Schwarzmeer-Korridors für den Export landwirtschaftlicher und metallurgischer Produkte, der eine Lebensader für die Ukraine darstellt, litt das Land auch unter der Grenzblockade polnischer Landwirte. 2023 reduzierten sich die Warenexporte nach Polen um rund ein Drittel. Dazu kommen die in letzter Zeit wieder massiven russischen Luftangriffe. „Das Fehlen von Flugabwehrraketen wird immer mehr auch zu einem ökonomischen Problem, weil die Energieversorgung und wichtige Industriebetriebe immer öfter getroffen werden“, beklagt Pindyuk. „Letztlich steht und fällt alles mit ausreichender und rechtzeitiger Militär- und Finanzhilfe durch den Westen – allein 2024 klafft in der Ukraine eine Finanzierungslücke von 40 Milliarden US-Dollar“, so Pindyuk.
Russlands Kriegswirtschaft am Limit – Sekundärsanktionen als Gefahr
Nach einem unerwartet starken Wachstum von 3,6% im vergangenen Jahr dürfte sich das BIP-Wachstum heuer auf 2,8% abschwächen und 2025 weiter nachlassen. Gegenüber der wiiw-Winterprognose ist das für 2024 dennoch eine Revision nach oben um 1,3 Prozentpunkte. Die russische Wirtschaft boomt aufgrund der hohen staatlichen Ausgaben für den Krieg und dürfte im zweiten Quartal des laufenden Jahres ihren konjunkturellen Zenit überschreiten. Auch der akute Arbeitskräftemangel, Kapazitätsengpässe und rekordhohe Realzinsen von rund 8% taten dem Boom bisher keinen Abbruch. „Fachkräftemangel und Kriegskeynesianismus ließen die Reallöhne im vergangenen Jahr um fast 8% steigen, was den privaten Konsum um 6,5% anziehen ließ. Diese Entwicklung könnte noch einige Zeit so weiter gehen. Die hohen Zinsen dürften den Wirtschaftsboom und damit die Inflation aber einbremsen“, sagt Vasily Astrov, Russland-Experte des wiiw.
Trotz hoher Militärausgaben und gesunkener Einnahmen aus dem Export fossiler Energieträger im letzten Jahr fällt der Ausblick für den russischen Staatshaushalt durchwegs positiv aus. Die Steuereinnahmen sprudelten im ersten Quartal 2024, sowohl aus dem Öl- und Gasgeschäft als auch in den meisten anderen Bereichen. „Putin wird das Geld für den Krieg nicht ausgehen. Für die russische Wirtschaft stellt sich eher die Frage, was nach dem Krieg kommt, da sie momentan vollkommen von ihm abhängig ist“, analysiert Astrov. Kurzfristig könnten die immer schärferen Sekundärsanktionen des Westens gegen Drittstaaten wie China oder die Türkei zum Problem werden, über die Russland die Sanktionen bisher umgehen konnte. „Wenn türkische Banken, wie kürzlich geschehen, plötzlich keine Zahlungen mehr für russische Importe annehmen und auch Transaktionen in chinesischen Yuan schwieriger werden, könnten Russland sehr bald wichtige Maschinen und Bauteile aus dem Westen wie etwa Mikrochips fehlen“, meint Astrov.
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