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Politik & Wirtschaft

Ende Friedenspflicht: komba warnt vor Kollaps im TVöD

Umfassende Reformen gefordert  – Die komba gewerkschaft schleswig-holstein schlägt Alarm:

Der öffentliche Dienst steuert aufgrund des Personalmangels auf einen Kollaps zu. „Wir erleben einen Ausverkauf,
der schon heute die Zukunftsfähigkeit unserer Kommunen und des Landes bedroht“, so Daniel Schlichting,
Landesvorsitzender der komba. „Handeln wir jetzt nicht entschlossen, gerät die Daseinsvorsorge
für alle in Schleswig-Holstein in ernste Gefahr.“
Mit Auslaufen der Friedenspflicht im TVöD zum 31. Dezember 2024 drohen damit erste Warnstreiks
in den schleswig-holsteinischen Kommunen. Der komba liegt derzeit kein Angebot der Vereinigung
der kommunalen Arbeitgeber (VKA) vor. Die erste Verhandlungsrunde ist für den
25.01.2025 vorgesehen. 2023 waren bundesweit rund 2,5 Millionen Beschäftigte und Auszubildende
bei kommunalen Arbeitgebern tätig, in Schleswig-Holstein etwa 100.000.

Alarmierende Zahlen: 230.000 Tarifbeschäftigte werden fehlen

Der Personalmangel hat bereits heute gravierende Ausmaße erreicht: Mehr als 100.000 kommunale
Stellen sind bundesweit unbesetzt. In den nächsten zehn Jahren werden rund 500.000 der
Beschäftigten in den Ruhestand gehen, was bis 2030 eine gewaltige Lücke von 230.000 fehlenden
Mitarbeitern hinterlässt. Besonders kritische Bereiche wie die Ver- und Entsorgung, Betreuung der
Infrastruktur und die Kindertagesstätten stehen vor enormen Herausforderungen. „Berufliche Qualifikationsmerkmale
herabzusetzen, um mit der Einstellung sonstiger Beschäftigter die Situation
irgendwie zu retten, mit dieser Lösung sind die kommunalen Arbeitgeber und die Landesregierung
auf dem Holzweg. Ausbildung und Fachkräfte müssen endlich wertschätzend vergütet werden,
sonst wird weder Personal angeworben noch gehalten“, so Schlichting.

Betriebs- und volkswirtschaftlicher Blackout drohen
Wenn die Verschlechterung im öffentlichen Dienst sich so verstärken wird, drohen neben einem
organisatorischen Blackout auch betriebs- und volkswirtschaftliche Schäden. Eine durch Überlastung
verzögerte Bearbeitung von Anträgen in Kombination mit unattraktiven Arbeitsbedingungen
wird zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden führen, die sich auf viele Bereiche des öffentlichen
Lebens und der Privatwirtschaft auswirken werden.

Digitale Defizite überwinden

Neben wettbewerbsfähigen Tarifbedingungen liegt ein weiterer Lösungsansatz in der Digitalisierung.
Die steckt jedoch in Deutschland bislang in den Kinderschuhen. Die kommunalen Bürgerbüros,
Zulassungsstellen und Jobcenter in Schleswig-Holstein sind prägnantes Beispiel dafür: Bürger*
innen warten oft Wochen auf einen Termin, weil die Digitalisierung der Prozesse schleppend
vorankommt. Ein Blick über die Grenze zu unseren Nachbarn in Dänemark zeigt, wie es gehen
kann: Nahezu alle Behördengänge können dort bereits digital erledigt werden. Deutschland hingegen
setzt weiterhin auf ineffiziente Eigenentwicklungen und verzichtet bewusst auf professionelle
Lizenzsoftware, was den Gesamtprozess signifikant verlangsamt.

Unterfinanzierung in den Kommunen

Neben den Tarifbedingungen und der digitalen Problematik kämpft der öffentliche Dienst mit erheblichen
finanziellen Herausforderungen. Denn die Landesregierung von Schleswig-Holstein
plant Kürzungen der Fördermittel für Kommunen, was insbesondere Investitionen gefährdet. „Das
ist der völlig falsche Ansatz“, kritisiert Schlichting. „Gerade jetzt müssen wir in unsere kommunale
Infrastruktur investieren, um langfristig handlungsfähig zu bleiben und der Privatwirtschaft und deren
Beschäftigten innovative Dienstleistungen anbieten zu können.“

Unzureichende Kita-Finanzierung und Kritik der Wirtschaftsweisen

Weiterer kritischer Punkt ist das Kita-Gesetz in Schleswig-Holstein, das eine enorme Finanzierungslücke
von über 100 Millionen Euro reißt. Die Kommunen befürchten dabei, dass sie die finanziellen
Risiken allein tragen müssen. „Diese Vorgehensweise wird die bereits bestehende Belastung
der Kommunen nur noch weiter verschärfen“, warnt Schlichting. Mit Blick auf den ab 2026
bestehenden Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen fordert die komba gewerkschaft
schleswig-holstein eine realistische Finanzierung. „Wann bekommen wir endlich eine nachhaltige
und strategische Finanzierung, die nicht nur von einer Legislatur zur nächsten reicht, sondern
den realen Anforderungen gerecht wird“, so der Landesvorsitzende in seiner Kritik.

Expertenstimmen bestätigen die komba-Forderungen
Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung, bestätigt die schlechten Zustände in der Kinderbetreuung: „Sie sind nicht
zuverlässig, schließen zu viele Wochen im Jahr. Man kann sich auf die Kitas nicht verlassen. Um
das Kita-System zu stärken, brauche es mehr Geld und Personal. Hochqualifizierte Kinderbetreuung
ist zudem extrem wichtig für die Integration.“, so die Wirtschaftsweisin gegenüber den Zeitungen
der Funke Mediengruppe.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dazu im
ZDF: „Deutschland brauche jährlich zusätzliche Investitionen von 40 Milliarden Euro in Straßen,
Schienen, Brücken und Schulen.“

Andre Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, erläuterte in dem
Zusammenhang den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Fehlendes Personal wird die Arbeit des
öffentlichen Dienstes und vor allem der Kommunen massiv beeinträchtigen und kann die Daseinsvorsorge
an den Rand des Zusammenbruchs bringen. Ohne schnelle Maßnahmen wird dies gravierende
Folgen für die Bürgerinnen und Bürger und den Standort Deutschland haben.“

Erst Anfang Dezember 2024 hatte sich der Städteverband Schleswig-Holstein gegen die vom Land
geplanten Kürzungen ausgesprochen und die „Neumünsteraner Erklärung“ verabschiedet. Darin
heißt es, Land und Kommunen könnten die Zukunftsaufgaben nur partnerschaftlich bewältigen.
Und Cyrus de la Rubia, Chefökonom der Hamburg Commercial Bank, ergänzte im NDR, die Forderungen
der Gewerkschaften für die Einkommensrunde im TVöD seien „(…) insofern nachvollziehbar,
als die Geldentwertung vielen privaten Haushalten immer noch in den Knochen steckt.
Stellt man beispielsweise den Vierjahresvergleich an, sind die Preise heute knapp 20 Prozent höher
als Ende 2020.“

Forderungen: Flexible Arbeitsmodelle und attraktive Tarifbedingungen

Insgesamt wird damit aufgezeigt, ohne besser vergütete und flexible Arbeitszeitmodelle sowie
echte Arbeitsentlastung durch Neuorganisation, kann die Attraktivität des öffentlichen Dienstes
nicht erhöht werden. Um das zu erreichen, fordert die komba gewerkschaft schleswig-holstein eine
Tariflohnerhöhung von 8 Prozent, wenigstens jedoch 350 Euro pro Monat, drei zusätzliche Urlaubstage
zur Entlastung der Beschäftigten sowie einen weiteren Urlaubstag für gewerkschaftliche Mitglieder.
Zudem soll es eine zusätzliche Zahlung von monatlich 200 Euro für alle Auszubildenden
und die Einführung eines Langzeitarbeitskontos geben, über das die Tarifbeschäftigten selbst verfügen
können. „Bis vor Kurzem wurde die Ausbildung zum Erzieher/zur Erzieherin nicht einmal
vergütet. Es braucht weder Betriebs- noch Volkswirte, um die Konsequenzen dieser Politik zu beschreiben.“,
so der Landesvorsitzende der komba gewerkschaft sh.