Vorwerker Diakonie ist auf das Persönliche Budget vorbereitet
„Das Persönliche Budget wird die Angebote für Menschen mit Behinderungen in den nächsten Jahren nachhaltig verändern!“, sagt Hans-Uwe Rehse, Theologischer Vorstand der Vorwerker Diakonie. Seit Jahresbeginn können Menschen mit Behinderungen nicht nur wie bisher bestimmte Sachleistungen, sondern alternativ auch ein individuell berechnetes finanzielles Budget bekommen.
Foto (VorwD): Hans-Uwe Rehse
Dieses Budget soll Menschen mit Behinderungen mehr Selbständigkeit ermöglichen. Die Budgetnehmer wählen die erforderlichen Hilfen individuell aus und bezahlen sie selbst. Dabei können Angehörige, Betreuer oder unabhängige Berater die Budgetnehmer unterstützen.
„Wir befürworten das Persönliche Budget ausdrücklich. Denn die neue Gesetzeslage entspricht unserer Vorstellung von Hilfegestaltung“, so Rehse. „Sie ermöglicht den Betroffenen mehr Gestaltungsspielraum und größtmögliche Selbstbestimmung. Anders formuliert: Aus dem bisherigen Klienten wird ein selbst zahlender Kunde mit Einfluss auf Art und Weise der Hilfen. Ich denke, das ist eine konsequente Weiterentwicklung der Behindertenhilfe.“ Dreh- und Angelpunkt des Persönlichen Budgets sind ein Bedarfsfeststellungsverfahren und eine sich anschließende Zielvereinbarungen, die zwischen Betroffenen und kostenübernehmender Behörde (u. a. Sozialämter, Sozialversicherungsträger oder Agentur für Arbeit) abgeschlossen werden. Hier wird bedarfsorientiert festgelegt, welche Unterstützungsformen in welchem Umfang benötigt werden – das heißt letztendlich die Höhe des Budgets. Damit kann der Betroffene sein eigenes Versorgungspakt bei Anbietern seiner Wahl zusammenstellen.
Die Vorwerker Diakonie hat in den vergangenen Monaten Module entwickelt, die den Budgetnehmern angeboten werden und aus denen sie sich einzelne Module aussuchen oder mehrere individuell zusammenstellen können. „Die Module umfassen alle wichtigen Lebens- und Hilfebereiche: Mobilität, Arbeit, Beratung, Kommunikation, Wohnen, Freizeit, hauswirtschaftliche Versorgung und viele mehr“, erläutert Rehse.
Während es in den Niederlanden, in Skandinavien und in England bereits umfangreiche Erfahrungen im Umgang mit dem Persönlichen Budget gibt, ist das Thema für Menschen mit Behinderungen in Deutschland weitestgehend Neuland. Lediglich in einigen Modellregionen haben Probeläufe stattgefunden. „Bis Mitte 2007 waren es knapp 900 bewilligte Budgets, die zustande gekommen sind. Dabei lag die durchschnittliche Budgethöhe bei ca. 1.000 Euro“, sagt Rehse. Hauptsächlich seien diese für alltagspraktische Hilfen verwendet worden. „Insofern gehen wir davon aus, dass der Bedarf zunächst auch in diesem Bereich liegen wird.“
In der Praxis kann die Umsetzung des Persönlichen Budgets dann beispielsweise so aussehen: Ein junger Mann mit Behinderungen, der nicht in einer Behindertenhilfeeinrichtung lebt, will ein Auswärtsspiel des Bundesligafußballclubs HSV besuchen. Dazu braucht er organisatorische und praktische Hilfe, unter anderem bei der Kartenreservierung, bei der Anreise und auch im Stadion selbst. Im Rahmen eines Persönlichen Budgets, das Begleitung zu Veranstaltungen abdeckt, kann er jetzt Freizeitassistenz einkaufen. „Also Unterstützung beim Kauf einer Eintrittskarte, bei der Wahl und Reservierung des Verkehrsmittels und schließlich Begleitung im Stadion“, so Rehse. „Wie intensiv die gesamte Unterstützung ist, hängt davon ab, was gebraucht, gewünscht und bezahlt wird.“ Entsprechend dieses Beispiels kann das Persönliche Budget auf alle Lebensbereiche angewendet werden inklusive den Bereichen Wohnen und Arbeit.
Rehse begrüßt das Persönliche Budget nicht nur wegen der neuen Möglichkeiten für Menschen mit Behinderungen zu mehr Selbstbestimmung, sondern auch weil Institutionen wie die Vorwerker Diakonie damit die Chance haben, sich weiter als Dienstleister zu etablieren. „Wir wollen allen Menschen mit Behinderungen, die dies wünschen, mit passgenauen Angeboten ein Leben außerhalb stationären Einrichtungen ermöglichen.“ Nur eines dürfe nicht passieren: „Die neue Leistungsform darf sich nicht zur Sparbüchse zahlungsschwacher Kostenträger entwickeln“, betont Rehse.
Wie das Persönliche Budget sich in 2008 entwickeln wird, ist unsicher. Rehse rechnet zunächst nur mit einer kleinen Zahl Budgetinteressierter. „Die Option muss erst einmal bekannter werden und alle – kostenübernehmende Behörde, Leistungsanbieter und Kunden – müssen Erfahrungen sammeln.“ Bisherige Erfahrungen aus den Modellregionen zeigten, dass die Budgetnehmer zwar mehr soziale Teilhabe und mehr Selbstständigkeit erleben. „Aber es haben sich auch Hürden gezeigt. Menschen mit Behinderungen müssen das komplexe System verstehen, dann ihre Ziele im Bedarfsfeststellungsverfahren vertreten können und schließlich ihr Budget auch verwalten und einsetzen können. Das kann nicht jeder. Daher ist es wichtig, dass Betroffene auch Unterstützung bei den Budget-Verhandlungen erhalten“, so Rehse. „Letzteres muss daher im Kostenplan des Persönlichen Budgets berücksichtigt werden.“
Beratung und Informationen zum Persönlichen Budget erhalten Interessierte bei der Vorwerker Diakonie unter Telefon 0451 4002 358.
Quelle: Vorwerker Diakonie
Zusatzinformation zum Persönlichen Budget:
Das Persönliche Budget (PB) ist ein fester Geldbetrag, der direkt an den Leistungsempfänger (Menschen mit Behinderungen) anstelle bisheriger Sachleistungen ausgezahlt wird. Beim PB handelt es sich nicht um eine neue Leistung, sondern um eine neue Leistungsform. Kostenträger des PBs können sein: Sozialhilfe, Agentur für Arbeit, gesetzliche Sozialversicherungsträger (Kranken-, Pflege-, Unfallversicherung) u. a.
Bisher lag die Bewilligung eines PBs im Ermessen der Leistungsträger, ab dem 1. Januar 2008 ist das PB eine Regelleistung, deren Nichtbewilligung individuell und sehr genau begründet werden muss. Dreh- und Angelpunkt des PBs sind ein Bedarfsfeststellungsverfahren und eine sich anschließende Zielvereinbarungen, die zwischen Leistungsträger und Betroffenen abgeschlossen werden. Hier wird bedarfsorientiert festgelegt, welche Unterstützungsformen in welchem Umfang benötigt werden – das heißt letztendlich die Höhe des PBs.
Der Budgetnehmer kann sich anschließend auf Grundlage der Zielvereinbarung individuelle Unterstützung und Assistenz bei verschiedenen Anbietern einkaufen.