Dr. phil. Peter Guttkuhn: Mein „Liebes, altes, jüd’sches Moisling“
Auch heute setzen wir in hier-luebeck die Vorstellung der Publikationen des in Lübeck arbeitenden Privatgelehrten und Historikers Dr. Peter Guttkuhn in der Reihe „Sonntags-Beiträge“ fort. Der Lübecker Privatgelehrte und Historiker berichtet in einer dreiteiligen Serie über sein „;Liebes, altes, jüd’sches Moisling“. Heute der 3. und letzte Teil. Wie er selbst sagt, sein schönster Moisling-Beitrag!
Foto (RB): Dr. Peter Guttkuhn
Mein „Liebes, altes, jüd’sches Moisling“
3. Teil
Ja, die Moislinger Mädchen! Sie waren allesamt wunderschön! So schön, daß sie in Moisling vom Besuch der Synagoge ausgeschlossen waren. Und zwar einzig und allein deswegen, um die Augen der andächtigen Männer nicht abzulenken! Die bezaubernden Moislingerinnen galten weit und breit als selten ungekünstelte Schönheiten, und sie entfalteten ihre vollen Reize, wenn sie an Festtagen in geschlossener Reihe durch das Dorf spazierten oder beim Kaffeeschenker Ludwig Krüger im Tanz dahinflogen. Trotz der jahrzehntelangen Ausschließung der Juden von Unterricht und Bildung fanden sich bei ihnen Züge strengster Moralität, z. B. die ausnahmslos bewiesene Ehrbarkeit der jüdischen Frauen und deren hohe Wertschätzung durch ihre Männer. Als über 20 Jahre lang unter den zum Militär ausgehobenen Moislinger Juden kein außerehelich geborener Rekrut gefunden wurde, da vermutete der Lübecker Senat eine Fälschung der Geburtsregister.
Die jungen Mädchen heirateten fast ausschließlich junge Gemeindemitglieder. Die Hochzeiten wurden stets im Kaffeehaus bei Krüger gefeiert. Während die Braut in einem Nebenzimmer festlich geschmückt wurde, reichte man der großen Hochzeitsgesellschaft Tee und Minnichkuchen (Früchte-Kuchen). Und zwar durch den Zarve – was soviel wie „Servierer“ hieß – Natten Cohn, den Münchhausen Moislings, der das Hochzeitsmahl inklusive Tee und Minnichkuchen à Person für einen Taler übernahm. Dafür gab es beim Mittagsmahl Suppe, braunen Kohl, Wurstbällchen und Schmorbraten, hinterher eine fleischige Torte. Messer, Gabeln und Löffel mußten die Gäste mitbringen, häufig auch die Teller, Gläser brauchte man nicht, da Wein nicht ausgeschenkt wurde. Hatte die Schmückung der Braut stattgefunden und war das Nachmittagsgebet beendet, dann versammelten sich die Gäste und bildeten einen Zug, marschierten unter Musik, wobei ein gewisser Hochzeitsmarsch vorgeschrieben war, durch das ganze Dorf bis zur Synagoge. Dem Zug voran ging der Zarve Natten Cohn mit einem Stock, der rot und blau bemalt und an dessen Spitze rote, blaue und grüne Bänder befestigt waren.
Vor der Synagoge am Dorfteich war das Trauzelt (Chuppa / Baldachin) aufgestellt, und der Rabbiner sowie der Vorsänger und der Gemeindediener, welche unmittelbar hinter dem Bräutigam hergingen, erwarteten dort die Braut. Der Zug war nämlich so geordnet, daß die männlichen Gäste zuerst kamen, dahinter die Braut mit den weiblichen Gästen. Selbstverständlich war bei einer Trauung das gesamte Dorf zugegen. Nach der Feier in der Synagoge ging es in geordnetem Zug wieder ins Kaffeehaus, wo Natten sein Gastmahl servierte, welches mit der Markstorte schloß. Wehe dem Gast, der etwas von seiner Speise verschmähte! Sah Natten dieses, so wurde er wütend und verlangte kategorisch, daß gegessen werden solle, ansonsten drohte er, dem Gast die Speise ins Gesicht zu werfen.
Nach dem Festmahl gab es regelmäßig Tanz – bis ein Uhr in der Nacht. Dann wurde das Brautpaar von der gesamten Hochzeitsgesellschaft, allerdings ohne Musik, aber mit Gesang, wobei jüdische Lieder natürlich die Hauptrolle spielten, nach Hause gebracht, und zwar bis in die Schlafstube hinein. Bei dieser Gelegenheit bekamen auch die männlichen Hochzeitsgäste das Brautbett zu sehen, welches am Tag zuvor den Frauen gezeigt worden war, wobei es einen Braut-Bett-Kaffee mit Kuchen gab. Hierzu wurde extra eingeladen. Am folgenden Tag, 19.00 Uhr, fand das so genannte Chraubenmahl statt, ebenfalls bei Kaffeeschenker Krüger. Auch das wurde von Natten geliefert und bestand nur aus einem Fischessen, sauer gekochte Hechte, wofür er 8 Schillinge pro Person bekam. Danach wurde den Gästen Punsch spendiert.
Am Sonnabend darauf ging das junge Paar zur Synagoge. Die Frau trug dann einen „Scheitel“ (Perücke), um das meist prachtvolle Haar zu verdecken, eine Vorschrift, um zu verhindern, daß sich andere Männer in sie verliebten. Während am Schabbes die Frauen stets einen Scheitel – bis ins hohe Alter – trugen und dadurch über ihr Alter hinwegzutäuschen suchten, gingen sie an Wochentagen mit einer dichten Mütze, die blendend weiß und auf der Stirn mit einer Krause versehen, wunderschöne Gesichter hervorrief.
Dr. Peter Guttkuhn
hier-Luebeck bedankt sich bei Dr. Peter Guttkuhn für die freundliche Bereitstellung auch dieses Beitrages.
Dr. Peter Guttkuhn:
Der Wissenschaftler forscht seit Jahren zur deutsch-jüdischen Geschichte der Hansestadt. Auf nationaler und internationaler Ebene hat er nahezu 190 Titel zu diesem Forschungsgebiet publiziert. Seine Vorträge im In- und Ausland sind sehr gefragt und tragen in erheblichem Maß zur Aufarbeitung der Geschehnisse in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland bei.