Dr. phil. Peter Guttkuhn: „Der Lübecker Romantiker J. B. Vermehren“
Auch heute setzen wir in hier-luebeck die Vorstellung der Publikationen des in Lübeck arbeitenden Privatgelehrten und Historikers Dr. Peter Guttkuhn in der Reihe „Sonntags-Beiträge“ fort. Heute berichtet Dr. phil. Peter Guttkuhn im abschließenden Teil 2 über den Lübecker Romantiker J. B. Vermehren „Zwischen Goethe, Schiller und den literarischen Zirkeln in Weimar und Jena“. Foto: Dr. Peter GuttkuhnDer Lübecker Romantiker J. B. Vermehren
Zwischen Goethe, Schiller und den literarischen Zirkeln in Weimar und Jena
2. Teil
Viel Ärger mit Goethe und Schiller
Der Lübecker Vermehren erkannte seine Chance, nunmehr den renommierten Almanach Schillers selbst herauszugeben. Am 25. Juli 1800 sprach er bei Goethe vor und bat um einige Beiträge. Der lehnte wohl nicht grundsätzlich ab. Schiller hingegen verweigerte von Anfang an jede Art der Mitwirkung. Sodann ersuchte Vermehren Cotta, auch das nun unter seiner Leitung stehende Verlags-Projekt zu realisieren, was jener mit einer limitierten Zusage beschied, da Vermehren angegeben hatte, daß der Almanach sowohl von Goethe als auch von Schiller (weiterhin) mit Beiträgen bedacht werden würde.
Endlich aber war Cotta unsicher geworden, fragte zuerst bei Schiller nach und erhielt zur Antwort: „Auf den Vorschlag des Doktor Vermehren lassen Sie sich ja nicht ein. Es ist durchaus nichts mit ihm, und daß Goethe und ich ihm Zusagen getan, ist eine bare Lüge. Vielmehr habe ich es ihm in einer neulichen Unterredung rund abgeschlagen und ihn von der ganzen Unternehmung abzuschrecken gesucht. Ich lege Ihnen den Brief bei, den er am 7. Januar 1801 an mich geschrieben“.
Und auch Goethe, der einen gleich lautenden Brief Vermehrens erhalten hatte, stellte nunmehr klar: „Wie der gute Vermehren dazu kommt, mich als einen bedeutenden Teilnehmer an seinem Almanach anzugeben, begreife ich nicht. Ich erinnere mich wohl, daß ich, als er mir von diesem Vorsatz sprach, ihn nicht ohne Hoffnung eines Beitrags für die Zukunft ließ; allein für dieses Jahr ist, besonders unter den gegenwärtigen Umständen, gar nicht daran zu denken. Ich werde mich hüten, die Musen früher zu versuchen, bis ich mich wieder bei Kräften fühle“. Womit Goethe auf seine im Abklingen begriffene lebensgefährliche Erkrankung an einer Gesichtsrose anspielte. Vermehren feierte Goethes Genesungsprozeß mit einem enthusiastischen Gedicht:
An Goethe
Sonett
Still kommen Schwäne durch die Luft gezogen,
Ihr banges Trauerlied ein tiefes Schweigen;
Stumm trennet sich der Freude muntrer Reigen,
Die Farben bleichen an des Himmels Bogen.
Im Laufe stockt der schnelle Strom der Wogen,
Die Sonne wagt nicht ihren Glanz zu zeigen,
Die Blumen all‘ ihr Haupt zur Erde neigen,
Und seiner Hülle ist der Geist entflogen.-
Wozu auch noch des Daseins Fesseln tragen?
Das Aug‘ der Welt will sich auf ewig schließen.-
Doch seht! Die seel’gen Götter liebend winken;
D e i n reiner Blick ist wieder aufgeschlagen,
D u darfst mit Lust das holde Licht begrüßen,
Und alle Wesen neues Leben trinken.-
[unveröffentlicht]
Vermehren warb unermüdlich weiter um Beiträger. Bei jedem Ansprechpartner versuchte er den Anschein zu erwecken, vom jeweils anderen bereits eine Zusage zu besitzen. Besonders aber von Goethe, durch dessen Anraten der Almanach schon vorzüglich befördert worden sei. Cotta zog seine Zusage gänzlich zurück, nachdem ihm Vermehren reinen Wein eingeschenkt hatte.
Doch e i n e Werbung, eine höchst private freilich, gelang dem jungen Lübecker vollständig und zu zweiseitiger Zufriedenheit. Am 20. April 1801 heiratete er die zwölf Jahre ältere Reichspostmeister-Witwe Henrietta Eber. Caroline Schlegel geb. Michaelis verw. Böhmer und zukünftige Frau Schelling (1763-1809) meldete ihrem derzeitigen Ehemann August Wilhelm (1767-1845): „Vermehren hat eine Vermehrerin zur Seite. Er ist wirklich vermählt mit Madame Eber“. Und neun Monate später: „Den Vermehren hat die hohe Vaterwürde überkommen – ein Sohn ist ihm geboren. Er soll sich ganz unklug anstellen, und die vielen Sonette mag ich nicht zählen, die er an Aa und Pipi und die Windeln und Wickeln des Neugeborenen machen wird“.
Feuerluft aus Schlegels Laboratorium
In den ersten Dezember-Tagen des Jahres 1801 erschien Vermehrens romantischer Musenalmanach für das Jahr 1802. Ohne Namensangabe des Herausgebers, in der Sommerschen Buchhandlung in Leipzig. Zu den Beiträgern gehörten neben seiner Frau Henrietta und ihm selbst auch der Nachahmer von Gedichten Goethes und Schillers Karl Philipp Conz (1762-1827), Diakon in Vaihingen, der Legationsrat und Schriftsteller Johann Isaak Gerning (1767-1837) aus Frankfurt/Main, der Stuttgarter Kabinettskanzlist und Geheimsekretär Friedrich Haug (1761-1829), Friedrich Hölderlin (1770 -1843), Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), der Jenenser Schriftsteller Karl Ludwig von Knebel (1744-1834), Friedrich Franz Kosegarten (1772-1849), Sophie Mereau geb. Schubert (1770-1806), Ehefrau des Bibliothekars und Professors der Rechte in Jena, Johann Georg Friedrich Messerschmid, der ehemalige Militärschuldirektor und Schriftsteller Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809), Kolmar, Friedrich Schlegel und der Schriftsteller Christoph August Tiedge (1752-1841).
Der Almanach mußte sich gegen eine wahre Flut von Konkurrenten auf dem wuchernden deutschen Literaturmarkt behaupten. „Das Vermehrische nimmt sich denn freilich nicht zum besten daneben aus. Die Feuerluft aus Friedrich Schlegels Laboratorium vermag den Ballon doch nicht flott zu machen und soviel Ballast mit in die Höhe zu nehmen“, urteilte Goethe gegenüber dem Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854).
Der verärgerte Schiller – interessiert allerdings, was aus seinem Jahrbuch geworden war – orderte bei Göschen in Leipzig: „Den Musenalmanach für das Jahr 1802, herausgegeben von Vermehren, Leipzig bey Sommer, wünscht baldigst zugesendet zu haben Ihr ergebener Schiller“.
Friedrich Schlegel, Intim-Feind Schillers und auch Goethes, hatte Vermehren fünf Gedichte und ein Distichon – „Die Werke des Dichters“ – übergeben. Mit letzterem sollte Goethe getroffen werden. Noch-Ehefrau Caroline Schlegel kommentierte das Vorgehen des Schwagers und mahnte ihren August Wilhelm, der ebenso wie Ludwig Tieck (1773-1853) dem Werben Vermehrens widerstanden hatte. „Wenn Friedrich nur das e i n e Lied – nach Heinrich von Veldeke – von den kleinen Liedern hingegeben hätte, so wäre es charmant von ihm gewesen; aber die Distichen auf Goethes Werke! Fi donc! Pfui! Lieber, stimme nicht in die Lästereien Goethes ein, die sie da unter sich zur miserabeln Mode gemacht haben!“
Friedrich Schlegel seinerseits rechtfertigte gegenüber dem älteren Bruder die Beteiligung an Vermehrens Anthologie: „Was Vermehren betrifft, so ist das eine ganz unschädliche Art von kleinen Filzläusen. Ich denke 500 solche schaden der Poesie nicht soviel als Schiller. Goethe gibt ihnen ja auch; warum soll er sich allein die Popularität herausnehmen dürfen?“
Johann Bernhard Vermehren war zwischen alle Fronten geraten.
Romantiker Vermehren – schwaches Menschlein
Doch auch für das Jahr 1803 brachte er einen Musenalmanach zusammen, veröffentlichte ihn diesmal in der Jenaer Akademischen Buchhandlung. Es sollte sein letzter sein. Das erste Exemplar schickte er am 8. September 1802 wiederum an Goethe. Eine sehnlich erhoffte positive Resonanz freilich vermochte er weder aus dem Weimarer Haus am Frauenplan noch aus dem Haus an der Esplanade zu vernehmen.
Alter hanseatischer Tradition entsprechend ließ sein Vater in Lübeck am Sonnabend, dem 10. Dezember 1803, in die „Lübeckischen Anzeigen“ unter Familienbegebenheiten, Rubrik Sterbfälle, die karge Mitteilung einrücken:
„Am 29sten November starb zu Jena mein guter Sohn Dr. Johann Bernhard Vermehren, in einem Alter von 26 Jahren und 5 Monaten“.
Goethes Weimarer Amtskollege im Staatsministerium, Christian Gottlob Voigt (1743-1819), nannte Vermehren „ein ziemliches homuncio – schwaches Menschlein – und unschädlichen Halbkopf, dessen Witwe bald genug den dritten Mann erlangen werde“. Dorothea Schlegel geb. Mendelssohn gesch. Veit (1763-1839) war empört: „Ich habe mich bitterlich um die alberne Vermehren gegrämt, als ich die Nachricht von seinem Tode erhielt, unterdessen die Kreatur an einen andern Mann oder Hofrat denkt! Pfui!“
Henrietta Vermehren (1765-1842), Mutter dreier Kinder, heiratete tatsächlich wenige Wochen nach Johann Bernhards Tod den 14 Jahre älteren, verwitweten Jenaer Mathematiker Johann Heinrich Voigt (1751-1823).
Dorothea Schlegel erinnerte: „Es war gewiß ein herzlich lieber, liebenswürdiger Mensch, dieser Vermehren, der wohl verdient hätte, bei dieser Frau, die er durch seine Liebe und sein Feuer zu allem machte, was sie allenfalls ist, daß er bei ihr unersetzlich und nie ersetzt worden wäre“.
Hätte er wirklich länger gelebt, wenn er sich nicht auf die „Postexpedition“ – wie Goethe meinte -, d. h. die Ehe mit Henrietta, eingelassen hätte? Oder ist dieser Begriff doppelt ironisch gemeint, soll sich auch auf das anstrengende, eigenhändige Expedieren der Musenalmanache beziehen?
Vermehren, der kein eigenständiges Profil erwerben konnte, wurde rasch vergessen. Hätte er sich – bei längerer Dauer seines Lebens – weiterentwickeln können? Gerechtigkeit ist weder seinem Leben noch seinem Werk widerfahren.
In Jena und Weimar – und daher in allen nachfolgenden Publikationen – ist bis heute nicht einmal sein tatsächliches Lübecker Geburtsdatum bekannt.
Dr. Peter Guttkuhn
hier-Luebeck bedankt sich bei Dr. Peter Guttkuhn für die freundliche Bereitstellung auch dieses Beitrages.
Dr. Peter Guttkuhn:
Der Wissenschaftler forscht seit Jahren unter anderem zur deutsch-jüdischen Geschichte der Hansestadt. Auf nationaler und internationaler Ebene hat er nahezu 190 Titel zu diesem Forschungsgebiet publiziert. Seine Vorträge im In- und Ausland sind sehr gefragt und tragen in erheblichem Maß zur Aufarbeitung der Geschehnisse in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland bei.