1. April 1937: Der Staat Lübeck endet
Eine Rache Hitlers für ein Redeverbot in der Hansestadt?
Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz ging Lübeck zum 1. April 1937 in Schleswig-Holstein auf. Eine Tagung im Audienzsaal des Lübecker Rathauses am Sonnabend, 31. März, soll an das Ende der Eigenstaatlichkeit vor 75 Jahren erinnern. Nachgegangen wird dabei auch der Frage, wie es Lübeck gelang, einen Auftritt Hitlers in der Hansestadt zu verhindern. Das Archiv der Hansestadt Lübeck hat dazu einige Fakten zusammengestellt:
„Adolf Hitler kommt nach Lübeck“, so verkündet es die örtliche NSDAP-Kreisleitung Mitte Oktober 1932 in der „Flora“ unter tosendem Beifall der versammelten Nationalsozialisten. Am Mittwoch, den 26. Oktober will der „Führer“, dessen Partei bei den letzten Wahlen große Erfolge erzielt hat, in die Hansestadt kommen. Wegen des starken Arbeiterlagers gilt Lübeck als „rote Hochburg“ und Hitler will seinen Gefolgsleuten, die es hier schwerer haben als im übrigen Schleswig-Holstein, offenbar den Rücken für die kommende Reichstagswahl stärken. Tausende von Zuhörern werden erwartet, Sonderzüge und Sonderfahrten aus dem näheren und weiteren Umland sollen organisiert werden. Einzig einen geeigneten Versammlungsplatz müssen die örtlichen NS-Funktionäre noch finden.
Doch zu dem groß angekündigten Auftritt in der Hansestadt kommt es nicht. Stattdessen spricht Hitler am 26. Oktober 1932 auf dem Riesebusch im benachbarten Schwartau. Die Zahlen differieren, 20.000 bis 40.000 Zuhörer sollen es gewesen sein, die im großen Zelt seiner halbstündigen Rede lauschen. „Abgespannt“ und wenig bei Stimme habe er gewirkt, so schildert ihn der Berichterstatter des NSDAP-freundlichen „Lübecker General-Anzeigers“ am nächsten Tag. Seiner propagandistischen Verführungsrede tut das keinen Abbruch.
Die Zeitung druckt Teile der Hitler-Rede ab, in der er wieder einmal die Weimarer Demokratie verunglimpft hat und antisemitisch hetzt. Am Herzen liegen ihm dagegen Arbeiterschaft und Bauern, um die er besonders umwirbt und ihnen eine goldene Zukunft unter nationalsozialistischer Führung verspricht. Die vielen von der Politik- und Wirtschaftskrise gebeutelten Menschen, darunter sicher viele Arbeitslose, hören ihm gläubig zu. Die Rede wird immer wieder von „Heil“-Rufen unterbrochen. Was die Zuhörer überhören oder überhören wollen: Die Drohungen des Diktators in spe gegen Rechtsstaat und Demokratie.
Warum trat Hitler nicht wie geplant in Lübeck auf? Um diese Episode ranken sich bis heute Gerüchte und Legenden. Die eine besagt, dem „Führer“ sei der Redeauftritt in der Hansestadt vorsätzlich unmöglich gemacht worden, weil das „rote Lübeck“ ihn nicht wollte. Der SPD geführte Senat unter Bürgermeister Löwigt und Polizeisenator Mehrlein sollen den Auftritt mutwillig verhindert haben. Damit im Zusammenhang steht ein zweites Gerücht: Hitler verübelte der Hansestadt den verhinderten Redeauftritt so sehr, dass er fünf Jahre später die Aufhebung der über 700 Jahre alten staatlichen Selbständigkeit der Hansestadt befahl. Was ist dran an den beiden Erzählungen?
Man muss hier zwischen dem wahren Kern und der von den Nationalsozialisten gestreuten Legende unterscheiden. In der Tat haben Vertreter der NSDAP seit Mitte September 1932 Verhandlungen mit der Stadt geführt, um einen Versammlungsplatz für den Hitler-Auftritt zu finden. Die Stadt schlug sogleich den Buniamshof und den Schaustellerplatz zu den allgemein üblichen Sicherheitsbedingungen und Gebühren vor. Doch die waren der Partei zu hoch bzw. zu teuer. Auch den vom Polizeiamt geforderten Zeltbau für die Versammlung lehnte sie ab (sie tat genau dies aber später in Schwartau). Stattdessen machten die örtlichen NSDAP-Vertreter abenteuerliche Vorschläge für den Ort der Rede, darunter zwei Holzlagerschuppen im Hafen. Polizeiamt und die fragliche Firma lehnten aber wegen der großen Brandgefahr dort ab.
So vertaten die Nationalsozialisten die ohnehin knappe Zeit. Um aus der durch Desorganisation selbst verschuldeten Lage herauszukommen, half kurz vor der Hitler-Reise dann nur noch die Verlegung des Versammlungsorts nach Schwartau auf den Riesebusch. Dort ließen sie ein großes Zelt aufstellen, etwas, was sie in Lübeck abgelehnt hatten.
Sicherlich war der SPD-geführte Senat alles andere als erfreut, die Hauptfigur der rechten Krawallmacher und Republikgegner in der Stadt auftreten zu lassen. Vielleicht hat man auch die Sicherheitsauflagen für die beantragte Versammlung weit ausgelegt, zu belegen ist dies aber nicht. Die für die Versammlung verlangten Gebühren entsprachen den allgemein üblichen Bedingungen, wie die damaligen Polizeibeiratsprotokolle im Archiv der Hansestadt belegen. Im zuständigen Polizeibeirat votierte allein Sozialdemokrat Otto Passarge für ein vollständiges Verbot der Hitler-Rede, die Mehrheit des Gremiums mit Polizeisenator Mehrlein, Vertretern der Verwaltung und Bürgerschaft, überstimmte ihn jedoch. Man wolle nicht den Eindruck erwecken, so heißt es im Protokoll, „als wenn man unter allen Umständen die Kundgebung in Lübeck verhindern wolle. Man solle sie vielmehr zulassen“. Das war die Haltung echter Demokraten und verfassungstreuer Politiker, die nicht wissen konnten, was wir heute wissen: Ein rücksichtsloser Feind der Demokratie würde bald Recht und Gesetz außer Kraft setzen.
Das Ende des Lübecker Staats 1937 war nicht die Rache Hitlers für das angebliche Redeverbot im Oktober 1932. Dahinter standen ganz andere Gründe, vor allem ein Kompensationsgeschäft mit Staatsgebieten zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein. Wer mehr wissen will: Auf der öffentlichen Tagung am 31. März im Rathaus besteht dazu die Gelegenheit! Das Programm: http://archiv.luebeck.de/files/1937_-_Vom_Staat_zur_Stadt_Programm.pdf