Das interaktive Online-Magazin seit 1999

Aktuelle Nachrichten, lokale Themen aus Kultur, Wissenschaft, Sport, Politik, Wirtschaft, Rezensionen und Veranstaltungen

Kultur & Wissenschaft

Ein FSJ in Malente sorgte für viele neue Erkenntnisse

Domenic Kirchhoff1_2Der 22-jährige Domenic Kirchhoff arbeitete ein „soziales Jahr“ in der Senioren-Residenz „Godenblick“ in Bad Malente-Gremsmühlen – und wird jetzt Friseur.  Domenic Kirchhoff weiß ganz genau, wie man mit alten Menschen umgeht: Würde und Respekt stehen dabei im Mittelpunkt. Das hat der 22-jährige Kölner bei einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) in der Senioren-Residenz „Godenblick“ in Bad Malente-Gremsmühlen gelernt. Das zurückliegende Jahr hat er zur eigenen Orientierung genutzt – mit dem Ergebnis, dass Domenic Kirchhoff in wenigen Wochen eine Ausbildung zum Friseur in Eutin startet. Seine Erfahrungen aus dem Freiwilligen Sozialen Jahr haben ihn dazu gebracht.

 

„Meine Stiefmutter hat mich in ihren Schichten immer mal in die Senioren-Residenz ,Godenblick’ mitgenommen“, erzählte Domenic Kirchhoff über seinen Weg von Köln nach Malente und demnächst Eutin. Sie habe gewusst, dass die Berufsorientierung des ehemaligen Hauptschülers noch nicht klar war und habe ihm dann auch mal ein paar Sachen gezeigt. „Das FSJ in der Senioren-Residenz Godenblick hat mir zwar gezeigt, dass die Altenpflege nicht so ganz mein Ding ist. Es hat mir aber den Weg in eine Ausbildung gezeigt“, freut sich Domenic Kirchhoff auf seine neue Ausbildung. Bis zum Start der Ausbildung habe er seine Tätigkeit im Haus „Godenblick“ sogar um zwei Monate verlängert.

„Das Freiwillige Soziale Jahr bietet vielfältige Einsatzmöglichkeiten“, sagt Adolf Popall, amtierender Leiter der Landesgeschäftsstelle des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) in Kiel. Am Beispiel Domenic Kirchhoffs werde gezeigt, dass das FSJ für viele Menschen ein wichtiges und wertvolles Jahr voller Erfahrungen sei – ein Jahr, das ihnen Kenntnisse und Fähigkeiten aber auch gute Chancen und Perspektiven biete. Viele FSJ’ler hätten in diesem Jahr mit hohem Engagement und viel Freude an der Arbeit auch den Weg in die Pflege gefunden.

„Wer unentschlossen ist und nicht weiß, was er beruflich machen soll, für den ist das FSJ genau richtig“, empfiehlt Domenic Kirchhoff. Er habe viel über seine eigene Psyche in der sozialen Betreuung oder die anspruchsvolle körperliche Arbeit in der Pflege gelernt. Das FSJ sei eine gute Erfahrung gewesen und der 22-Jährige habe gelernt, auf Menschen zuzugehen, was er in seinem neuen Ausbildungsberuf des Friseurs gut anwenden könne.

Zum FSJ führen viele Wege: meistens wird nach dem bestandenen Schulabschluss die Frage gestellt – „was kommt jetzt?“ Oft möchten junge Menschen nach der Schulzeit erst einmal etwas anderes machen und erste praktische Erfahrungen sammeln oder die Wartezeit bis zum Studium überbrücken, weiß Adolf Popall. Hier komme ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) zum Beispiel in den bpa-Mitgliedsbetrieben aus den privat-gewerblichen Pflegeeinrichtungen in Frage. Freie Stellen für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 27 Jahren gebe es immer. Start ist meistens der 1. September. Nach Absprache mit den Einsatzstellen ist auch ein früherer oder späterer Termin möglich. Interessierte können sich auch sehr kurzfristig für ein Freiwilliges Soziales Jahr entscheiden.

Dabei können sich die jungen Menschen schon einmal beruflich orientieren, Eigenverantwortung übernehmen und sich für die Pflege und den Umgang mit Senioren engagieren. Popall: „Das ist ein Gewinn für beide Seiten.“ Im FSJ erhielten die jungen Menschen Unterstützung bei Problemen aber auch Perspektiven für die Berufswahl oder auch Seminareinheiten.

Domenic Kirchhoff2_2Interessierte können die notwendigen Unterlagen und Informationen anfordern in der Landesgeschäftsstelle des bpa – Gemeinnützige Gesellschaft für bürgerschaftliche Freiwilligendienste, pädagogische Begleitung, Aus- und Fortbildung mbH, Hamburger Chaussee 8, 24114 Kiel, Tel: 0431- 66 94 70 60 oder per E-Mail: fsj-schleswig-holstein@bpa.de oder schleswig-holstein@bpa.de.

 

Ein Interview mit  Domenic Kirchhoff:

Domenic Kirchhoff gewann während eines Freiwilligen Sozialen Jahres in der Senioren-Residenz „Godenblick“ viele neue Erkenntnisse – über die hohen Anforderungen im Bereich der Altenpflege, aber auch über seine berufliche Zukunft. Der 22-Jährige nutzte das vergangene Jahr nicht nur für einen Wohnortwechsel von der Großstadt Köln aufs Land nach Bad Malente-Gremsmühlen. Er orientierte sich auch beruflich und beginnt in einigen Tagen eine Lehre zum Friseur in Eutin.

Zeitung: Warum haben Sie sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr entschieden?
Domenic Kirchhoff: Ich war unschlüssig in welche Richtung mein Berufswunsch geht! Ich habe einiges ausprobiert: KFZ-Mechatroniker, Koch, Einzelhandelskaufmann. Alles war nicht das Richtige und dann riet mir meine Stiefmutter zu einem Freiwilligen Sozialen Jahr oder einem Praktikum. Dann habe ich zwei jeweils dreiwöchige Praktika in einem Kindergarten und in der Altenpflege gemacht. Ich habe mich dann für die Arbeit mit alten Menschen entschieden, weil sie mir mehr Spaß bringt.

Wie hat Ihnen das Freiwillige Soziale Jahr gefallen?
Es war eine gute Erfahrung. Man lernt gut auf Menschen zuzugehen. Es ist eine gute Vorbereitung auf eine Ausbildung. Ich habe gelernt, wie man mit alten Menschen spricht, wie sie behandelt werden möchten, was Demenzkranke sind. Wenn man die ersten Tage da ist, denkt man, man spricht mit normalen Menschen. Das ist aber nicht so. Wenn ich einen dementen Menschen frage, ob er etwas trinken möchte und zur Antwort „Nein“ bekomme und nur kurze Zeit später fragt er nach Trinken, dann ist das schon komisch.

Sie haben sich das Freiwillige Soziale Jahr als generelle Orientierung ausgesucht und nicht, weil Ihnen schon klar war, dass Sie in der Pflege arbeiten möchten. Warum?
Es ging mir zunächst darum Menschen, Arbeitsplätze und Kollegen kennenzulernen aber auch mal mit ihnen zu streiten und Erfahrungen sammeln. Ich hätte niemals in meinem Leben gedacht, dass ich mal ein FSJ in einem Altenheim mache. Ich hatte überhaupt keine Vorstellung. Alten Leuten den Hintern abwischen ist wirklich nicht alles. Man lernt Menschen kennen und sie mit Würde und Respekt zu behandeln. Ich habe viele ins Herz geschlossen.

Gibt es etwas, was Ihnen im Freiwilligen Sozialen Jahr besonders schwer gefallen ist?
Ja, bei der Arbeit im Altenheim muss einem bewusst sein, dass man auch immer wieder Abschied nehmen muss. Die Bewohner sind sind ja hier um zu sterben, es ist ihr letztes Zuhause. Es ist schon traurig, wenn ein Bewohner stirbt, den man besser gekannt hat. Dennoch ist es anders, als wenn ein Familienmitglied stirbt. Man muss sich damit abfinden, wer das nicht kann, ist in dem Beruf falsch. Mir ist aber auch beigebracht worden, wie man sich bei dem Tod eines Bewohners zu verhalten hat. Dazu dienten spezielle Seminare. Aber auch die Chefin der Senioren-Residenz „Haus Godenblick“ ist die Mentorin der FSJ’ler. Sie ist immer da als Ansprechpartnerin. Kummer, Stress mit Kollegen, alles was uns nicht gepasst hat, sie hat vermittelt.

Domenic Kirchhoff3_2Wie kommt man denn nun von einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Alten- und Pflegeheim zu einem Ausbildungsplatz als Friseur?
Wir haben eine Friseurin mit einem eigenen Salon, die in die Senioren-Residenz Haus Godenblick kommt und ich habe ihre Arbeit kennenlernen dürfen. Am Anfang habe ich die Bewohner nur hingebracht und gewartet bis sie frisiert waren und in ihre Zimmer gebracht werden konnten. Irgendwann habe ich dann angefangen zu helfen. Nach der Wasserwelle habe ich die Lockenwickler aus den Haaren geholt. Später wurde es immer mehr und mehr. Ich habe die Friseurin nach einem Praktikumsplatz gefragt und eine Woche Praktikum in ihrem Salon gemacht. Die Einrichtung hat mich dafür freigestellt. Mir liegen der Umgang und die Unterhaltung mit Menschen. Die Friseurin sagte mir, dass ich das habe, was ein Friseur braucht. Aus personellen Gründen kann ich die Ausbildung nicht bei ihr machen. Der Salon ist zu klein. Ich habe dann weiter gesucht, insgesamt drei Probetage gemacht und in Eutin einen Ausbildungsplatz gefunden. Das ist ja das Besondere. Der gute Eindruck, den ich bei dem Praktikum hinterlassen habe, hat mir den Ausbildungsplatz gebracht.

Der gute Umgang mit Menschen ist auch eine gute Eigenschaft, die man in der Pflege braucht. Bewohner und Mitarbeiter in der Senioren-Residenz Godenblick sind doch bestimmt traurig, dass Sie nun eine Friseurausbildung machen und das Heim verlassen…
Die sind schon traurig, aber auch froh, dass ich jetzt das machen kann, wozu ich Lust habe. Ich finde es in der Altenpflege zwar schön. aber für mich ist es nicht ganz das Richtige. Ich bin so ein penibler Mensch. Eigentlich wollte ich auch niemals die Toilettengänge der Bewohner begleiten. Ich habe das dann aber doch zugunsten der Kollegen und Bewohner gemacht. Man muss sich mal vorstellen, man sitzt und wartet und wartet und niemand kommt um mit einem zur Toilette zu gehen. Ich hatte dann Mitleid und habe mich dann überwunden und bin mitgegangen.

Ihre Entscheidung ist jetzt für den monatlich finanziell nicht so gut ausgestatteten Beruf des Friseurs gefallen. In der Pflege würden Sie mehr Gehalt verdienen.
Ja, das stimmt, aber das ist mir egal. Mir geht es um eine Arbeit, die mir Spaß macht, nicht um das Geld. Klar, man braucht auch das Geld zum Leben. Mein Ziel ist es, ein bekannter Friseur zu werden. Ich möchte ein Starfriseur werden, der die Promis frisiert und da kann man dann auch richtig Geld verdienen.

Als Friseur ist ja auch der Schritt in die Selbstständigkeit nicht weit. Erzählen Sie mir doch bitte noch von dem „Schattenmannprojekt“!
Damit wir Fsj`ler viele Erlebnisse im Heim besser verstehen können, gibt es das „Schattenmannprojekt“. Dabei bin ich für zwei Stunden selber zum Bewohner geworden und konnte erspüren warum die Bewohner zum Beispiel die ganze Zeit immer aufstehen oder wie das Umfeld ist, wie sie sich fühlen, wenn wir ihnen was anbieten. Nach den zwei Stunden konnte ich sehr gut nachvollziehen, warum die Bewohner aufstehen und unruhig werden. Ich habe zwei Stunden auf einer Bank gesessen. Die war so unbequem, dass ich nur noch aufstehen wollte. Man merkt dann viel eher, was mit den Bewohnern ist – Müdigkeit, Langeweile, Unruhe. Durch das „Schattenmannprojekt“ kann man sich sehr gut in die Bewohner einfühlen.

Sie sind während des Freiwilligen Sozialen Jahres auch geschult worden. Wie waren die Seminare der sozialen Betreuung bei dem zuständigen Verein Kultur- und Jugendprojekte e.V. (KJP)?
Das hat mir schon Spaß gemacht. Ich habe Hauptschulabschluss und bin allerdings nicht so der Schulmensch. Aber ich habe mitgemacht. Ich muss ja dann auch in der Ausbildung zur Schule und mich mit Themen beschäftigen, die ich nicht so mag. In meiner neuen Ausbildung besuche ich die Berufsschule in Eutin.

Sie blicken jetzt auf ein Freiwilliges Soziales Jahr im Haus Godenblick. Würden Sie jungen Menschen diese Tätigkeit empfehlen?
Ja, auf jeden Fall. Wer unentschlossen ist und nicht weiß, was er beruflich machen soll, für den ist das FSJ genau richtig. Natürlich gibt es Höhen und Tiefen, aber die gibt es ja überall. Im FSJ lernt man viel. Man testet sich selber aus. In der sozialen Betreuung ist die Psyche gefragt. Das ist manchmal echt anstrengend für den Kopf. In der Pflege muss man mehr körperlich arbeiten. In der sozialen Betreuung ist das schon heftig, wenn die Bewohner alle stark unruhig sind. Das geht dann schon auf die Nerven und auf die Energie.