Politik & Wirtschaft

EU-Agrarpolitik gefährdet Lebensgrundlagen

Symbolfoto: Landwirtschaft

  • Verbände aus Landwirtschaft, Umwelt-, Tier- und Naturschutz in Schleswig-Holstein fordern Beibehaltung der Umweltstandards in der europäischen Agrarförderung
  • Förderung für Ökosystemdienstleistungen statt Rolle rückwärts
  • Brachflächen müssen erhalten bleiben

Die Verwässerung ökologischer Grundanforderungen in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU bringt erhebliche Gefahren für Biodiversität, Böden und Gewässer mit sich – auch in Schleswig-Holstein. Ein Bündnis aus mehreren Verbänden im nördlichsten Bundesland appelliert deshalb eindringlich an die schleswig-holsteinische Politik, sich für eine ökologisch und sozial orientierte Reform der Agrarpolitik einzusetzen und die weitere Aufweichung der landwirtschaftlichen Umweltstandards zu stoppen. Nur wenn öffentliche Gelder konsequent für öffentliche Leistungen verwendet werden, sind die Ziele im Biodiversitätsschutz, Bodenschutz, Gewässerschutz und Klimaschutz noch erreichbar und eine bäuerliche Landwirtschaft kann erhalten bleiben.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen in den aktuellen GAP-Änderungen mit der Absenkung der Umweltstandards ein Politikversagen von erheblichem Ausmaß. Der Agrarwissenschaftler Prof. Dr. Friedhelm Taube, ehemaliger Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung der CAU Kiel, kritisierte kürzlich die geplanten Änderungen als „abrupte, diametrale Abwendung von gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur guten fachlichen Praxis und zum Schutz der Biodiversität in Agrarlandschaften.“ Taube äußerte sich auf Einladung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft im Bundestag.
Dr. Pia Turowski, Sprecherin des Landesarbeitskreises Land und Natur des BUND SH, stellt klar: „Die einseitige Förderung von einigen wenigen Produkten, die auf dem Weltmarkt verscherbelt werden, ist einseitige Wirtschaftsförderung zulasten der Allgemeinheit und keine Ernährungssicherung! Die Förderung muss an Leistungen für das Ökosystem gekoppelt werden. Dafür gibt es bereits Modelle wie das Punktesystem des Deutschen Verbands für Landschaftspflege. Dadurch würde zudem Bürokratie vereinfacht und langfristige Planung ermöglicht. So würden Betriebe entlastet.“

Anhand der EU-Ökoregelung „Guter Landwirtschaftlicher und Ökologischer Zustand von Ackerflächen“ (GLÖZ 8) zeigt Prof. Dr. Holger Gerth, Schleswig-Holsteins Landesnaturschutzbeauftragter, wie das Umweltniveau hinter das der letzten EU-Förderperiode zurückfällt: Geplant war, dass Landwirte vier Prozent ihrer Ackerflächen brach liegenlassen. Diese Vorgabe der EU ist jetzt weggefallen. „Diese ungenutzten Flächen sind in einer intensiv bewirtschafteten Landschaft wichtige Rückzugsräume für Feldvögel wie Lerche und Goldammer. Auch Insekten profitieren von der Vielfalt an blühenden Pflanzen. Auf deren Bestäubung ist auch die Landwirtschaft angewiesen“, erklärt Holger Gerth und sagt weiter: „Landwirtinnen und Landwirte aus Schleswig-Holstein hätten lediglich zwei Prozent an neuen ungenutzten Flächen einbringen müssen, denn Knicks können als Brachfläche mit einbezogen werden. Sie machen weitere zwei Prozent aus.“

Fritz Heydemann, stellvertretender Landesvorsitzender des NABU SH, pflichtet ihm bei: „Wir appellieren an unseren Landwirtschaftsminister, sich für die Beibehaltung der bisherigen Quantitäten bei GLÖZ 8 einzusetzen. Zumal er damals als Vertreter für den Bauernverband in der Zukunftskommission Landwirtschaft zugestimmt und unterschrieben hat, dass sogar zehn Prozent nicht produktive Fläche im Ackerland geboten sind.“

Bundesweit gibt es bereits konstruktive Vorschläge der Verbändeplattform. Mit Bezug auf deren aktuelle Position sagt Kirsten Wosnitza, konventionelle Milchbäuerin und Sprecherin der AbL Schleswig-Holstein: „Seit 2021 ist klar, dass klassische Grünlandbetriebe mit Milchvieh und Weidehaltung die Verlierer der aktuellen GAP sind – trotz ihrer wertvollen Leistungen für den Umwelt- und Tierschutz! Bund und Länder sollten daher der Forderung Schleswig-Holsteins nach einer bundesweiten Förderung der Weidehaltung von Milchkühen folgen. Angesichts der aktuellen Aufweichungen der Grundanforderungen muss das Budget der Öko-Regelungen ausgeweitet werden.“

Anne Hamester, Geschäftsführerin von ProVieh e. V., ergänzt bündig: „Auch mehr Tierwohl geht nur mit einer krisenfesten, ökologischeren und gerechteren Agrarpolitik. Außerdem brauchen wir Ökoreglungen für das Tierwohl.“
Prof. Dr. Ulrich Irmler, Vorsitzender des LNV, betont abschließend, dass durch die jetzt geplante GAP-Regelung die Umverteilung der ökologischen Schadwirkungen weiterhin auf die Allgemeinheit abgewälzt wird, da die Folgewirkungen der Schäden irgendwann beseitigt werden müssen. Besonders bei der Trinkwassergewinnung sei dies bereits spürbar.

Die unterzeichnenden Verbände empfehlen eindringlich allen politischen Akteurinnen und Akteuren in Schleswig-Holstein, sich gegen die agrarpolitische Rolle rückwärts zu stemmen und sich für eine stärker ökologisch orientierte Landwirtschaftsreform einzusetzen.

Die unterzeichnenden Verbände sind:

  • Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL)
  • Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Schleswig-Holstein e. V. (BUND SH)
  • Landesnaturschutzverband Schleswig-Holstein e. V. (LNV)
  • Naturschutzbund Deutschlang, Landesverband Schleswig-Holstein e.V. (NABU SH)
  • PROVIEH e. V.
  • Holger Gerth, Landesnaturschutzbeauftragter Schleswig-Holstein

Hintergrundinformation

Auf EU-Ebene werden die Umweltstandards bei der GAP abgesenkt. Die Mitgliedsstaaten können diese jetzt ebenfalls zurückfahren. Landwirt*innen erhalten von der EU eine finanzielle Förderung für ihre genutzten landwirtschaftlichen Flächen. Diese Flächenprämien gab es bislang nur unter der Voraussetzung, dass bestimmte Umweltstandards eingehalten werden. Nach den europaweiten Protesten der Landwirt*innen wurden diese Vorschriften gelockert. Das hat negative Folgen für die Biodiversität sowie und für die Nähr- und Schadstoffbelastungen der Gewässer und Böden. Gleichzeitig setzt sich der Biodiversitätsverlust und der Zusammenbruch maritimer und terrestrischer Ökosysteme und einzelner Arten unverändert fort. Der schlechte Zustand der Lebensraumtypen ist laut FFH-Bericht von 2019 im östlichen Landesteil Schleswig-Holsteins sogar noch ausgeprägter als im Rest Deutschlands. In den vergangenen Jahren sind bis zu 50 Prozent der Biotopflächen in Schleswig-Holstein verschwunden, wie die Biotopkartierung ergab.

Wie wichtig die Bindung der Direktzahlungen an die gesellschaftlichen Ziele ist, zeigen die Zahlen: In Schleswig-Holstein dominieren die Flächenförderungen mit 259 Millionen Euro. Für Umwelt und Klimaschutzmaßnahmen hingegen erhalten die Landwirt*innen jährlich nur 40 Millionen Euro.

In seinem Beitrag im Bundestag fordert Prof. Dr. Friedhelm Taube, dass die vier Prozent Brachen als Teil der guten fachlichen Praxis ohne zusätzliche Transferzahlungen an den Sektor wiederhergestellt werden. Darüber hinaus sollten attraktive Ökoregeln anstelle von Flächenprämien etabliert werden. Als Beispiele für solche Ökoregeln führt er die Weideprämie für Milchvieh sowie den Zweijährigen Kleegrasanbau an. Diese Anbauform liefert hochwertiges Eiweiß, Wasserschutz und Biodiversität und bindet CO2 im Boden. Der Beitrag kann hier abgerufen werden: https://www.bundestag.de/ausschuesse/a10_ernaehrung_landwirtschaft/anhoerungen/1004134-1004134
Erst kürzlich veröffentlichte die bundesweit agierende Verbändeplattform die angehängte Positionierung „Verbände-Plattform fordert: Die Agrarpolitik weiterentwickeln statt zurückdrehen“.
Hier die wichtigsten Forderungen aus dem aktuellen Verbändepapier in Kürze:

  • Das Budget der Öko-Regelungen sowie der Agrar-, Umwelt-, und Klimamaßnahmen (AUKM) kurzfristig um mindestens 10 Prozentpunkte erhöhen
  • Schnellstmöglich zusätzliche Öko-Regelungen für Grünlandbetriebe mit Milchvieh und Weidehaltung einführen, Stärkung der Biodiversität im Ackerbau sowie der Betriebe mit besonders ausgeglichenen Nährstoffbilanzen
  • Die in Deutschland bereits bestehenden Grundanforderungen zur Fruchtfolgegestaltung (GLÖZ 7) sowie zum Gewässerschutz (GLÖZ 4) ambitioniert weiterentwickeln statt verwässern

Das Papier ist auch abrufbar unter:
https://www.verbaende-plattform.de/fileadmin/Dokumente_u._Grafiken/Stellungnahmen/2024-05-21_Verb%C3%A4nde-Plattform_fordert_Die_Agrarpolitik_weiterentwickeln_statt_zur%C3%BCckdrehen.pdf

Ein ausführliches Statement der Verbändeplattform zur GAP nach 2027 ist außerdem hier zu finden:
https://www.verbaende-plattform.de/fileadmin/Dokumente_u._Grafiken/Stellungnahmen/ZUKUNFT_GESTALTEN_Die_Verbände-Plattform_zur_GAP_nach_27_Doppelseite.pdf