Gutachten zur ökonomischen Betroffenheit der Landwirtschaft in den schleswig-holsteinischen Niedermoorgebieten vorgestellt
KIEL/RENDSBURG. Die Zukunft der Niederungen ist eng mit der Landwirtschaft und dem ländlichen Raum verknüpft: etwa ein Fünftel der Landesfläche in Schleswig-Holstein sind als Niederung definiert; etwa 80 Prozent dieser Niederungsflächen werden landwirtschaftlich genutzt, hiervon werden etwa 85 Tausend Hektar Moorböden bewirtschaftet. Die Niederungen sind somit Existenzgrundlage für viele landwirtschaftliche Betriebe und ein wichtiger Baustein für den Klima- und Artenschutz. Gleichzeitig stehen diese Regionen, bedingt durch den Klimawandel und den damit verbundenen Extremwetter und Hochwasserereignissen, vor einem erheblichen Anpassungsbedarf. Doch was genau bedeutet das für die landwirtschaftlichen Betriebe? Wie groß sind die Treibhausgaseinsparpotentiale und wie steht es um die Wirtschaftlichkeit alternativer Flächennutzungen? Eine erste Datengrundlage, um zukunftsfähige Nutzungskonzepte zu entwickeln, gibt das vom Ministerium für Landwirtschaft, ländliche Räume, Europa und Verbraucherschutz (MLLEV) in Auftrag gegebene Gutachten „Ökonomische Betroffenheit eines angepassten Niederungsmanagements für die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein“, das heute (22. November) in Rendsburg vorgestellt wurde.
„Die Studie ist neben dem ressortübergreifend erstellten Entwurf der Niederungsstrategie 2100 ein weiterer wichtiger Baustein, um gemeinsam mit den Betroffenen vor Ort im Dialog freiwillige Lösungen zu entwickeln. Sie liefert uns erstmals konkrete Zahlen aus agrarökonomischer Sicht und ist ein erster, wichtiger Schritt, um gesamtgesellschaftlich weiter in den Dialog zu kommen und Basis für die Arbeit des „Kompetenzzentrums für klimaeffiziente Landwirtschaft“, sagte Landwirtschaftsminister Werner Schwarz.
Schwarz betonte, dass die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen keinem Selbstzweck diene, sondern zur gesellschaftlichen Aufgabe der Erzeugung von Nahrungsmitteln und damit zur Ernährungssicherheit beitrage. „Eine prinzipielle Nutzungsaufgabe kann daher nicht unser Ziel sein und würde weitere negative Folgen, wie beispielsweise eine Verlagerung der Produktion, begünstigen. Umso wichtiger ist es, dass wir als Politik Verantwortung übernehmen und in den betroffenen Regionen für eine dauerhafte wirtschaftliche Perspektive und Planungssicherheit sorgen. Die Weiterentwicklung von Förderinstrumenten, die Honorierung von Gemeinwohlleistungen unter anderem mit EU-Mitteln und das erfolgreiche Instrument der Flurbereinigung müssen hierbei mitgedacht werden.“
Das rund 70 Seiten umfassende Gutachten stammt vom Kieler Institut für Europäische Landwirtschaftsstudien GmbH. Institutsleiter Professor Dr. Uwe Latacz-Lohmann erläuterte: „Bei einer Anhebung der Wasserstände um 20 Zentimeter ließen sich jährlich gut 1,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente in den Moorregionen der Niederungen Schleswig-Holsteins einsparen. Das sind immerhin 17,5 Tonnen CO2-Äquivalente pro Hektar – vorausgesetzt, dass dies wasserbaulich machbar ist. In diesem Fall wäre die Nutzbarkeit in Teilen der Region noch gegeben – und somit der Verlust an landwirtschaftlicher Wertschöpfung deutlich geringer als bei ganzjähriger Anstauung des Wassers nahe der Geländeoberfläche.“ Milchviehhaltung auf Flächen mit erhöhten Wasserständen werde allerdings schwieriger, aber kann möglich bleiben. „Im Winter anstauen und im Sommer den Wasserstand wieder etwas absenken. Das bringt schon eine Menge fürs Klima, und das gerade in der Milchviehfütterung eingesetzte Grünland kann weiter genutzt werden“, so Professor Dr. Torben Tiedemann, Mitautor der Studie. Allerdings werde dies voraussichtlich mit deutlichem Mehraufwand und geringeren Milchleistungen verbunden sein.
Es wurden zudem unterschiedliche Folgenutzungen wiedervernässter Flächen betriebswirtschaftlich untersucht. „Moor-Photovoltaik-Anlagen schneiden dabei aus ökonomischer Sicht theoretisch am besten ab. Sie erzielen sogar eine deutlich bessere Wertschöpfung als die intensive Milchwirtschaft auf trockengelegten Moorstandorten. Theoretisch wohlgemerkt. Leider fehlt es in der Eider-Treene-Niederung an geeigneten Einspeisepunkten, an vielen Stellen ist die Torfauflage zu mächtig, und außerdem schließen die ausgewiesenen Schutzgebiete in der Region die Installation von Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen aus“, so Latacz-Lohmann. Er wies zudem darauf hin, dass von der Förderung von Moor-Photovoltaik-Anlagen nur Flächeneigentümer als potenzielle Verpächter profitieren. Pächter würden durch die pachtpreistreibende Wirkung infolge der höheren Flächenkonkurrenz vermutlich schlechter gestellt werden.
Das Gutachten steht ab sofort unter folgendem Link zum Download bereit: www.schleswig-holstein.de/DE/fachinhalte/N/niederungen/Downloads/2023_gutachten_niederungen.html
Hintergrund:
Die Moorböden in den Niederungen sind Existenzgrundlage für viele landwirtschaftliche Betriebe. Insbesondere Grünlandbetriebe mit den daran anknüpfenden Milchviehhaltungen bewirtschaften diese Flächen seit Generationen. Die aufgrund des Klimaschutzes geforderten Grundwasserstands-Anhebungen haben einen direkten Einfluss auf die Wirtschaftsweise und die Wertschöpfung dieser Betriebe und Familien. Es sind aber nicht nur landwirtschaftliche Flächen, sondern auch kommunale Infrastrukturen und damit die ländliche Entwicklung mitzudenken.
Von den rund 14.000 schleswig-holsteinischen landwirtschaftlichen Betrieben wirtschaften rund 3.900 auf Flächen, die potenziell von Wasserstanderhöhungen auf Moorböden in den Niederungen betroffen wären. In einem Großteil dieser Betriebe (rund 40 Prozent) macht die betroffene Fläche weniger als 20 Prozent der Betriebsfläche aus. In rund 400 Betrieben liegt der Anteil der betroffenen Flächen zwischen 60 und 80 Prozent, und in gut 500 Betrieben über 80 Prozent.