Hartz-IV-Unterkunftskosten in NRW auf dem Prüfstand – schnelles Handeln ist gefragt
Wuppertal, den 11.05.2012 – Die Frage der Angemessenheit von Unterkunftskosten der rund 800.000 Bezieher von
Hartz IV in Nordrhein-Westfahlen wird am 16. Mai vor dem Bundessozialgericht (BSG)
verhandelt. Auf Weisung des NRW-Sozialministeriums wurden diese seit 2010 begrenzt.
Das Bundessozialgericht prüft kommende Woche den Vorgang und wird die Verwaltungspraxis
in NRW mit hoher Wahrscheinlichkeit für rechtswidrig erklären. Hartz IVBeziehende,
deren Mieten seit 2010 gekürzt wurden, sollten noch vor der BSGEntscheidung
am 16. Mail einen Überprüfungsantrag stellen. Nur wer den Antrag vor der
BSG-Entscheidung einreicht, erhält bei einem positiven Urteil rückwirkend Geld. In allen
anderen Fällen müssen die Jobcenter erst ab der BSG-Entscheidung höhere Unterkunftsleistungen
berücksichtigen. Zur Sicherung von Ansprüchen ist schnelles Handeln
jetzt nötig.
Bei der Leistung Grundsicherung für Arbeitssuchende (Hartz IV) sind die Unterkunftskosten
nur in „angemessener“ Höhe von den Jobcentern zu übernehmen. Dieser unbestimmte
Rechtsbegriff ist von den örtlichen Jobcentern durch Richtlinien zu zu konkretisieren. Die Jobcenter
in NRW orientieren sich dabei an Richtlinien des Landesministeriums für Arbeit, Gesundheit
und Soziales (MAGS). Das BSG hat bislang entschieden, dass für die Feststellung
der angemessenen Wohnungsgröße für Harz IV-Beziehende die jeweiligen landesrechtlichen
Bestimmungen zum Wohnraumbindungsgesetz heranzuziehen seien.
Für NRW hat das BSG im Jahr 2009 festgestellt, das für eine Person von 45 m² auszugehen
ist.1 Die landesrechtlichen Bestimmungen wurden in NRW zum 1.1.2010 von 45 auf 50 m²
angehoben. Seitdem haben verschiedenste nordrhein-westfälische Sozialgerichte entschieden,
dass von den um 5 m² erhöhten Wohnungsgrößen auszugehen sei. Dieser Auffassung
schloss sich auch eine Kamer des Landessozialgerichts in einer Entscheidung am 16.05.2011
an.2 Das zuständige Landesministerium (MAGS) empfahl den Kommunen und Kreisen jedoch,
wegen zu erwartender Mehrkosten bis zur endgültigen BSG-Entscheidung an der Wohnungsgröße
von 45 m² festzuhalten. Diese 5 m²-Differenz bedeuten für betroffene Harz IVHaushalte,
die seit 2010 zur Kostensenkung aufgefordert wurden, ca. 25 EUR weniger für die
Grundmiete und ca. 12,50 EUR weniger für Betriebs- und Heizkosten. Da inzwischen viele
Haushalte in NRW von Unterkunftskürzungen betroffen sind, kommt da eine Menge Geld zu-
Interessenvertretung für Einkommensschwache
Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein
Tacheles e.V.
Tacheles e.V., Rudolfstr. 125, 42285 Wuppertal
Pressemitteilung
Seite 2
sammen.
Am 16. Mai wird das BSG mit hoher Wahrscheinlichkeit dieser Praxis der verordneten Wohnraumbegrenzung
einen Riegel vorschieben und die Angemessenheit auf die aktuellen Richtlinien
zur Wohnraumförderung festschreiben.3
„Allerdings ist im Hartz IV-Gesetz für den Fall einer richtungsweisenden BSG-Entscheidung
eine Besonderheit vorgesehen“ erläutert Harald Thomé, Vorsitzender von Tacheles e.V. „Nach
einem höchstgerichtlichen Richterspruch bekommen betroffene Hartz IV-Bezieher rückwirkend
keine Leistungen erstattet. Das ist nur der Fall, wenn sie vor der Entscheidung Rechtsmittel
eingelegt haben.“ Im Klartext bedeutet das, bis zur BSG-Entscheidung am 16. Mai muss
gegen aktuelle Bescheide ein Überprüfungsantrag eingelegt werden, nur so sind rückwirkend
Ansprüche zu sichern.4
Das Stellen eines Überprüfungsantrags ist daher folgenden Leistungsbeziehern aus NRW zu
empfehlen:
Personen, die in einer Wohnung leben, die das Jobcenter als unangemessen ansieht
und deren Mietkosten nach 2010 auf die „angemessenen Kosten“ reduziert wurden,
Leistungsbeziehenden, denen wegen einer Überschreitung der Angemessenheitsgrenze
von ca. 30 EUR Umzugskosten, Wohnungsbeschaffungskosten, Kautionen und
Genossenschaftsanteile durch das Jobcenter versagt wurden.
Wenn noch vor dem Tag der Verkündung der BSG-Entscheidung, ein Überprüfungsantrag
eingelegt wird, müssen Jobcenter vorenthaltene Leistungen für Unterkunftskosten rückwirkend
bis max. zum Januar 2011 erstatten.5 Wurden deswegen Umzugskosten, Wohnungsbeschaffungskosten
oder die Zahlung von Kaution oder Genossenschaftsanteilen abgelehnt, müssen
auch diese Beträge rückwirkend erbracht werden.
Beziehende von Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung der Sozialhilfe (SGB XII)
müssen vor der BSG-Entscheidung keine Überprüfungsanträge stellen, um nachträglich ihre
Anspruche geltend zu machen.
Medien, Beratungsstellen und Sozialeinrichtungen werden gebeten, Hartz IV-Bezieher in NRW
auf diesen Sachverhalt hinzuweisen. Betroffene, deren Leistung für die Unterkunft aufgrund
der vermutlich rechtswidrigen Weisung des Ministeriums (MAGS) gekürzt wurde, müssen unverzüglich
gegen Bewilligungsbescheide Widerspruch einlegen und entsprechende Überprüfungsanträge.
Ein Musterüberprüfungsantrag kann hier heruntergeladen werden: http://www.haraldthome.
de/media/files/-berpr-fungsantrag-KdU-NRW-11-5-12.pdf
Beratungsstellen und auch Anwälte, die in solchen Fällen aktiv werden können, sind hier zu
finden: www.my-sozialberatung.de
Hintergrundmaterial:
Terminankündigung für den 16.5.2012 beim BSG, dort die Ziff. 5.:
http://juris.bundessozialgericht.de/cgibin/
rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=tm&Datum=2012&nr=12470
Tacheles Pressemitteilung vom 6.4.2010: Landesministerium muss bei Unterkunftskosten
nachsteuern! http://www.harald-thome.de/media/files/Tacheles-KdU-PM-06.04.2010.pdf
Seite 3
Schreiben Städtetag NRW fordert keine Anpassung der Angemessenheitsgrenzen für
Wohnraum auf 50 m², da zu teuer vom 4.8.2011 http://www.harald-thome.de/media/files/Stdtetag-
NRW-zu-KdU-4.8.11.pdf
NRW Minister Schneider zur Angemessenheit der Unterkunftskosten im SGB II/SGB XII
vom 26.9.2011 http://www.harald-thome.de/media/files/MinisterzuWohnGr–eNRW-
26.09.2011.pdf
Stellungnahme Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V. zu den Unterkunftskosten
März 2010: http://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/2010/kdu_nrw.aspx
Eine Entscheidung des Sozialgerichts Duisburg, nach dem in NRW von 50 m² Wohnungsgröße
auszugehen ist (SG DU v. 29.7.2011 – S 5 AS 1866/10)
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/sgs/sg_duisburg/j2011/S_5_AS_1866_10urteil20110729.html
Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:
Harald Thomé (mobil: 0176-56 45 66 65)
Fußnoten:
1 BSG Entscheidung vom 17.12.2009 – 4 AS 27/09 R.
2 LSG NRW – 19 AS 2202/10.
3 Tacheles e.V. rechnet damit, dass sich die angemessene Wohnraumgröße von 50m² für Alleinstehende durchsetzt.
4 §§ 40 Abs. 2 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 1 SGB III.
5 §§ 40 Abs. 1 S. 2 SGB II in Verbindung mit § 44 Abs. 4 SGB X.