Influenzavirus ist Ursache des Seehundsterbens
Über das etablierte Frühwarnsystem wurde seit Anfang Oktober ein vermehrtes Auftreten schwerkranker und toter Seehunde an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins registriert. Seitdem wurden auf Helgoland, Sylt, Amrum und Föhr insgesamt 350 Seehunde gefunden. Tiere von verschiedenen Standorten waren zur Untersuchung an Institute der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover in Büsum und Hannover gebracht worden (Institut für Pathologie, Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW), Research Center for Emerging Infections and Zoonoses (RIZ)).
Die Untersuchungen in der vergangenen Woche haben bisher ergeben, dass die Tiere an Lungenentzündungen erkrankt sind. Dabei wurden neben Lungenwürmern auch Bakterien wie Streptokokken gefunden. Ein Staupevirus, das 1988/89 und 2002 zu Seehundsterben führte, ist nicht nachgewiesen worden. Dagegen wurde bei einem großen Teil der untersuchten Seehunde ein Influenzavirus festgestellt. In den kommenden Wochen werden weitere Untersuchungen zur Abklärung seiner Eigenschaften durchgeführt. Die Anzahl der Tiere, die starben, ist bisher geringer als bei den beiden Staupeseuchenzügen.
Vermehrte Todesfälle bei Seehunden wurden im Sommer in den dänischen und schwedischen Gewässern des Kattegats registriert. Auch dort wurde bei sechs Tieren Influenza nachgewiesen.
Seehunde können ebenso wie andere Wildtiere regelmäßig verschiedene Erreger, die auch auf den Menschen übertragbar sind, beherbergen. Spaziergänger sollten daher – wie bisher – immer Abstand zu kranken und toten Seehunden oder anderen Wildtieren halten. Man soll die Tiere nicht berühren und Hunde angeleint fernhalten. So kann einer möglichen Übertragung von Krankheitserregern vorgebeugt werden.
Der Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN-SH) und die Seehundjäger sind vorbereitet, falls das Seehundsterben sich verstärken sollte, wie Dr. Detlef Hansen, Leiter der Nationalparkverwaltung im LKN-SH, darlegt: „Mit den anderen beteiligten Behörden und Institutionen haben wir den bei der Staupeepidemie bewährten Aktionsplan mit seinem Ampelsystem ‚Grün–Gelb–Rot’ weiterentwickelt. Er legt für die gesamte Westküste fest, wie auch größere Mengen toter Tiere geborgen und entsorgt werden. Wir sind jetzt in der Stufe Grün, bei der noch alles mit der üblichen Logistik zu bewältigen ist. Die meiste Arbeit leisten unsere speziell ausgebildeten Seehundjäger, die ehrenamtlich arbeiten. Sie haben einen im Wortsinn oftmals schweren Job. Mitunter müssen sie sterbenskranke Tiere von ihren Leiden erlösen. Meine Hochachtung und mein Dank geht an sie.“
Der Wattenmeerbestand der Seehunde ist nach Einschätzung der Fachleute durch das aktuelle Seehundsterben nicht gefährdet. „Wir gehen davon aus, dass die Seehundgrippe ein natürlicher Vorgang ist. Unsere Nationalparke sind Orte, an denen natürliche Prozesse möglich und gewollt sind. Hier gilt das Prinzip ‚Natur Natur sein lassen’. Natur, das sind aber nicht nur blühende Salzwiesen und riesige Vogelschwärme. Auch der Tod ist Teil der Natur“, gibt Hansen zu bedenken.
Hintergrund
Die im dänisch-deutsch-niederländischen Wattenmeer lebenden Seehunde bilden eine gemeinsame Population. Um 1900 lebten hier schätzungsweise 37.000 Seehunde. Vor allem wegen der Bejagung schrumpfte die Population auf etwa 4.000 Tiere im Jahr 1974. Nach der wattenmeerweiten Einstellung der Jagd stieg sie deutlich an und erholte sich auch nach den Seehundsterben 1988 und 2002 innerhalb weniger Jahre. Derzeit leben etwa 40.000 Seehunde im dänisch-deutsch-niederländischen Wattenmeer, davon etwa 12.000 in Schleswig-Holstein.
Die Seehundsterben 1988 und 2002 waren durch den zunächst unbekannten Seehundstaupevirus (PDV) ausgelöst worden. Damals waren 5.800, bzw. 3.600 Seehunde im schleswig-holsteinischen Wattenmeer gestorben, 60 % bzw. 40 % des jeweiligen Bestandes.
Seehunde sind geschützt und dürfen nicht bejagt werden, sie unterliegen jedoch dem Jagdrecht. Deshalb kümmern sich in Schleswig-Holstein rund 40 speziell geschulte Seehundjäger – die aus traditionellen Gründen diesen Namen behalten haben – um die kranken oder toten Tiere. Maßgeblich für ihr Handeln sind die einheitlichen Regelungen, die die zuständigen Natur-, Jagd- und Tierschutzbehörden Schleswig-Holsteins, Hamburgs und Niedersachsens 1997 dazu vereinbart haben.