Lesung von Anna Mitgutsch in Lübeck
Foto: Autor Lutz Gallinat – Mit einer eindrucksvollen Lesung von Anna Mitgutsch wurde die Lesereise um den Preis der „LiteraTour Nord 2010/2011“ am letzten Montag im vollbesetzten Gewölbekeller des Lübecker Buddenbrookhauses fortgesetzt. Die Autorin präsentierte nach einführenden Worten Prof.Dr.Hans Wißkirchens, des Leiters der Lübecker Museen, Ausschnitte aus ihrem 2010 bei Luchterhand, München, erschienenen Roman „Wenn du wiederkommst“. Fünfzehn Jahre nach der Scheidung, aber ohne endgültige Trennung, hatten sie versucht, noch einmal von vorne anzufangen: Jerome, der als Sohn jüdischer Emigranten in Boston aufwuchs, und die namenlose Ich-Erzählerin, eine Schriftstellerin. Doch dann stirbt Jerome, und der Witwe bleibt nur eine einzige, das Jahr nach Jeromes Tod umspannende Trauerklage, die zugleich zum hellsichtigen Porträt eines großen Entwurfs von Ehe wird.Auf der Höhe ihres Könnens erzählt die Autorin die unkonventionelle Liebesgeschichte zwischen einer europäischen Schriftstellerin und ihrem in Boston lebenden Mann, einem Anwalt mit jüdischen Wurzeln. Ihre eigene Lebenserfahrung kunstvoll verwebend, schildert die ebenfalls zum Judentum konvertierte Autorin akribisch genau und beklemmend, wie sich die Trauer während des Trauerjahres verändert. Dabei geht der Roman aber über den betörenden Totengesang auf eine oft unglückliche Liebe hinaus; vielmehr gerät er zur radikalen Inventur einer Beziehung, bei der es letztlich darum geht, eine Erinnerung zu finden, mit der es sich leben lässt.
Zu den bewährten Mustern von Anna Mitgutsch gehören neben autobiografischen Elementen auch die Themen, um welche die Autorin schon lange kreist: Emigration und Emanzipation, Identität und Fremdheit und auch das Judentum. Neben der sehr gelungenen Psychodiagnostik der Trauer ist auch die Außenwelt stimmig beschrieben, das tägliche Leben in Boston, wo die Geschichte spielt, wirkt atmosphärisch dicht. Der Rückblick auf eine Ehe in Intellektuellenkreisen enthält eine feine, subtile Qualität und kann mit den Romanen John Updikes verglichen werden.
Anna Mitgutsch schreibt präzise, klar und gut verständlich. Sie befriedigt sowohl den Verstand als auch das Gefühl der Leser. Die Ich-Erzählerin bleibt aber etwas blass, während man ihren Ex-Mann sehr gut kennenlernt.
Anna Mitgutsch, geboren 1948 in Linz, studierte Anglistik und Germanistik in Salzburg, promovierte über den englischen Lyriker Ted Hughes, lehrte an den Universitäten Innsbruck, Salzburg und Graz sowie an mehreren britischen Universitäten und Colleges in den USA und veröffentlichte nach ihrem Debüt „Die Züchtigung“ (1985) zahlreiche Romane, Essays und Übersetzungen. 2002 erhielt sie den Solothurner Literaturpreis. Sie lebt als freischaffende Autorin in Linz.
Die Lesung von Anna Mitgutsch, die einen behaglichen österreichischen Akzent hatte, löste eine rege Diskussion aus.