Ostseeschutz: Statt eines großen Wurfs nur ein kleiner Schritt
Foto: TBF/Harald Rothe · Enttäuschung bei Schleswig-Holsteins Naturschutzverbänden – hohe Erwartungen an Umsetzung der neuen Schutzgebiete
- Schutzgebiete müssen jetzt schnell umgesetzt werden
- Naturschutz fordert verbindliche Vorgaben zur Stellnetzfischerei
- Düngemittel-Eintrag in die Ostsee muss endlich spürbar reduziert werden
Kiel, 19. März 2024 – Die Naturschutz- und Umweltverbände in Schleswig-Holstein reagieren enttäuscht auf die heutige Absage der Landesregierung an einen Nationalpark Ostsee. Tenor der Kommentare: Ministerpräsident Günther hat eine große Chance verpasst, mit einer mutigen Entscheidung endlich einen wirksamen Schutz für die Ostsee auf den Weg zu bringen.
Die Ankündigung weiterer bzw. erweiterter Naturschutzgebiete und fischereifreier Zonen ist nur dann positiv zu bewerten, wenn diese schnell und konsequent umgesetzt werden und die jeweils erforderlichen Schutzmaßnahmen auch rechtlich bindende Kraft bekommen. Denn die Ostsee ist massiv überfischt und überdüngt, die vom Aussterben bedrohten Schweinswale und zahllose Meeresvögel ertrinken Jahr für Jahr in Stellnetzen und Zwergseeschwalben finden keinen Platz mehr zum Brüten.
Für die Belange des Naturschutzes in und an der stark gebeutelten Ostsee ist das vorgestellte Konzept aus Sicht der Verbände unzulänglich. Notwendig ist ein strenger Schutz für die Küstengewässer und für bestimmte Strandabschnitte, damit sich die Ökosysteme an den Küsten und auf See vom stetig hohen Druck sämtlicher Nutzergruppen erholen können. Dazu gehört neben insgesamt 30 Prozent nutzungsfreier Zone die Zusage, dass in den Küstengewässern Schleswig-Holsteins künftig keine Stellnetzfischerei mehr stattfindet.
Die Naturschutzverbände erwarten für einen wirksamen Ostseeschutz Zugeständnisse von allen Seiten und eine Beteiligung der Landwirtschaft über freiwillige Zielvorgaben hinaus. Hier gab es bis jetzt nur Zusagen für Maßnahmen, zu denen die Betriebe ohnehin bereits verpflichtet sind, die bisher aber nicht umgesetzt wurden.
„Die Nährstoffeinträge in die Küstengewässer müssen im Zuge der Wasserrahmenrichtlinie bis 2027 ohnehin drastisch reduziert werden, das ist geltendes EU-Recht und längst beschlossene Sache“, so der NABU-Landesvorsitzende Alexander Schwarzlose. „Diese alte Pflicht kann die Landesregierung jetzt nicht als neue Errungenschaft für den Ostseeschutz verkaufen.“
Jürgen Leicher vom Vorstand des BUND Schleswig-Holstein pflichtet dem bei und wünscht sich eine konstruktive und engere Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft: „Die Einrichtung von Düngemittel- und Pestizid-freier Gewässer-Randstreifen im Einzugsgebiet der Ostsee
wäre eine sehr effektive Maßnahme. In anderen Bundesländern und bei anderen Ostsee-Anrainern gibt es das längst, Schleswig-Holstein hinkt hier meilenweit hinterher.“
Auf der anderen Seite nehmen die Naturschutzverbände die jetzt immerhin erreichten Maßnahmen mit Zufriedenheit zur Kenntnis: „Drei neue Schutzgebiete, in der Summe 12,5 Prozent streng geschützte Gebiete und konkrete Zielvereinbarungen wie einen Ausschluss jeglicher Fischerei bis auf das Strandangeln in diesen Bereichen sind gute Nachrichten für den Schutz der Ostsee. Auf diesem Kompromiss kann man aufbauen“, sagt der Landesnaturschutzbeauftragte Holger Gerth.
Zum Schutz von Stränden sagt Ulrich Irmler, Vorsitzender des Landesnaturschutzverbandes Schleswig-Holstein: „Naturnahe Strände an der Ostseeküste sind nahezu verschwunden. Sie müssen in den neuen Schutzgebieten dringend berücksichtigt werden, denn sie beherbergen stark auf diese Umgebung angepasste und ebenso stark bedrohte Arten wie die Zwergseeschwalbe. Von ihr gibt es an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste nur noch rund 100 Brutpaare.“
Weitere Einschränkungen der Fischerei fordert Veit Hennig, Vorsitzender des Vereins Jordsand: „Wenigstens in den Überwinterungsgebieten von Meeres-Enten muss es eine Stellnetz-freie Zeit von Oktober bis Ende März geben. Freiwillige Vereinbarungen dazu hatten keinen Erfolg, weil sich nicht alle Fischereibetriebe daran beteiligt haben.“ Hennig weist darauf hin, dass jedes Jahr unzählige Meeresvögel wie zum Beispiel der Sterntaucher – Seevogel des Jahres 2024 – in Stellnetzen ertrinken.
„Die Entscheidung gegen den Nationalpark Ostsee lässt eine wertvolle Chance ungenutzt, den Tourismus an der Ostseeküste in eine nachhaltige Richtung zu lenken“, meint Björn Marten Philipps, Geschäftsführer der Schutzstation Wattenmeer. Ein genauerer Blick auf die Westküste hätte dabei gelohnt: „Die Zusammenarbeit verschiedener Interessengruppen hat es hier ermöglicht, Urlaub ebenso nachhaltig wie attraktiv zu gestalten und dabei die besondere Natur für die Besucher umweltschonend erlebbar zu machen.“
„Schade, ein Nationalpark wäre die beste Lösung und eine große Chance für Natur und Mensch an der Ostsee geworden“, schließt sich Hans-Ulrich Rösner an, Leiter des Wattenmeerbüros des WWF Deutschland. „Nun kommt nur ein deutlich kleinerer Wurf, aber immerhin ein Fortschritt für den Naturschutz.“