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Politik & Wirtschaft

„Rotes Sofa“ der IHK zu Lübeck: Engholms Plädoyer für Freiheit, Toleranz und Verantwortung in Europa

„Rotes Sofa“ der IHK zu Lübeck: Engholms Plädoyer für Freiheit, Toleranz und Verantwortung in Europa – In seiner zehnten und letzten Diskussion auf dem „Roten Sofa“ der IHK zu Lübeck hat Schleswig-Holsteins ehemaliger Ministerpräsident Björn Engholm Freiheit, Toleranz und Solidarität als höchste Werte für Gesellschaft und Wirtschaft herausgestellt. „Wir genießen hier Freizügigkeit und freie Meinungsäußerung. Das sind Privilegien, die es in vielen Teilen der Welt gar nicht gibt. Wir müssen das immer wieder ins Bewusstsein bringen“, sagte der Moderator mit Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der Flüchtlingskrise in Europa. Gemeinsam mit Reimer Böge, Mitglied des Europäischen Parlaments aus Hasenmoor im Kreis Segeberg, Per Ledermann, Chief Executive Officer der edding AG in Ahrensburg, und Dr. Felicia Sternfeld, Direktorin und Geschäftsführerin des Europäischen Hansemuseums in Lübeck, diskutierte Engholm über das Thema „Krise Europa? Folgen und Perspektiven für Wirtschaft und Gesellschaft“. Rund 100 Gäste waren zu der Veranstaltung in die Kirche St. Jakobi zu Lübeck gekommen.

Per Ledermann warnte vor Grenzschließungen in Europa. Die Folgen für die Wirtschaft seien quantifizierbar und damit kalkulierbar. Schlimmer noch seien aber die politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen durch Verschärfungen, deren Abbau vorausschauende Politiker vor 60 Jahren bei der Gründung europäischer Bündnisse eingeleitet hatten. „Uns fehlt das Gemeinschaftsgefühl. Wir müssen eine Akzeptanz für Europa schaffen“, sagte der edding-Chef, der zugleich die USA als Vorbild für ein Wir-Gefühl nannte.

Auch Sternfeld warnte vor Grenzen statt Freiheit. Sie habe in Karlsruhe gelebt und erfahren, wie positiv sich die offene Grenze zwischen Deutschland und Frankreich auf die Wirtschaft und auch die Menschen auswirke. Die Kultur sei wichtig für einen Brückenschlag über Grenzen hinweg. „Sie verbindet die Menschen und hilft dabei, einander kennen zu lernen.“

Von der Faszination der Gründerväter für Europa sei derzeit aber wenig zu spüren, betonte Engholm und fragte, ob sich Deutschland im Zuge der Flüchtlingskrise auf dem Weg in die Isolation befinde? Böge verneinte. Ein Rückfall in die Zeit der Einzelstaaten wäre kontraproduktiv. „Viele Menschen sehen unser Europa als Problem der Globalisierung“, sagte er. Das sei jedoch verkehrt: „Wir sind ein Teil der Antwort, denn Europa kann mitbestimmen. Wenn wir das aufgeben, werden andere Staaten über uns bestimmen und wir werden zum Spielball“, sagte der Politiker, der seit 1989 einen Sitz im Europäischen Parlament hat.

Die Flüchtlingskrise habe die Defizite im gemeinsamen Handeln der EU-Staaten offenbart, betonte Böge. „Die meisten Mitgliedstaaten waren zu weit von der im EU-Vertrag festgeschriebenen Verpflichtung zu Solidarität und fairen Lastenteilung entfernt. Die Europäische Union der Bürger und der Staaten muss daher neu begründet werden. In Zeiten einer immer stärkeren Globalisierung kann es nur gemeinsame Antworten auf die globalen Herausforderungen geben. Nur durch gemeinsames Handeln und durch Zusammenarbeit lässt sich die Zukunft politisch und wirtschaftlich erfolgreich gestalten. Es geht um die Selbstbehauptung der EU im ‚globalen Dorf‘.“ Mit Blick auf die Staaten, die ihre Rolle in Europa noch finden müssten, sagte Böge: „Freiheit ohne Verantwortung funktioniert nicht.“

Dem schloss sich Engholm an und erteilte dem System der in einzelnen Staaten erkennbaren „gelenkten Demokratie“ eine klare Absage. Eine Rückkehr zum nationalen Einzelstaat dürfe es nicht mehr geben. Vielmehr müsse Europa seine auf dem Prinzip der Freiheit basierenden Werte stärker betonen und vermitteln, damit Zuwanderer sie zügig annehmen und leben könnten. Die Integration der Flüchtlinge werde mit dem Lernen der Sprache und der Ausbildung rund zehn Jahre dauern. „In dieser Zeit trägt die Wirtschaft die Hauptlast der Integration. Die Betriebe müssen mit Unterstützung von Politik und Europäischer Union Programme dafür entwickeln“, so Engholm.

Nach der Diskussion dankte ihm IHK-Präses Friederike C. Kühn für zehn spannende, abwechslungsreiche und richtungsweisende Diskussionen. „Sie haben die Diskutanten mitgenommen und sich selbst stark eingebracht. Immer waren Sie ein Garant dafür, dass das ‚Rote Sofa‘ kein Schleudersitz für die Teilnehmer war.“ Der Moderator habe die Reihe zu einem Qualitätsprodukt der IHK zu Lübeck gemacht.

Engholm hat die Veranstaltungsreihe auf eigenen Wunsch beendet. Auch er zog eine positive Bilanz: „Wir haben zeigen können, dass die klugen Leute in der Wirtschaft sich nicht nur ganz eng mit den Fragen der Wirtschaft beschäftigen, sondern auch mit dem Ethos. Dieses Bild von Wirtschaft ist differenzierter als in den Köpfen vieler Menschen.“