Das interaktive Online-Magazin seit 1999

Aktuelle Nachrichten, lokale Themen aus Kultur, Wissenschaft, Sport, Politik, Wirtschaft, Rezensionen und Veranstaltungen

Politik & Wirtschaft

TOP 20 – Umwelt- und Gesundheitsstandards durch transatlantisches Freihandelsabkommen nicht aufweichen

Dazu sagt der europapolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Bernd Voß: Kein Aushöhlen der Selbstbestimmungsrechte unserer Parlamente

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren.

Wir hatten es schon bei anderen Landtagsanträgen zur aktuellen EU Politik, so vor einem Jahr zu der Frage des Wassers. Wir stellen einen Antrag im Landtag und kurz vor der Beratung reagiert die Kommission.

Am Montag dieser Woche hat der zuständige EU Kommissar die  Verhandlungen zum Investitionsschutzabkommen für drei Monate ausgesetzt. Ein erster Erfolg der Zivilgesellschaft in der Auseinandersetzung um Verhandlungen zum anstehenden Freihandelsabkommen.

Am vergangenen Samstag haben auf der Demo „Wir haben es satt“ mehr als 20 Tausend Bürger und Bürgerinnen in Berlin ihre Kritik an diesem Abkommen deutlich gemacht.

Worum geht es in dem Abkommen? Da sind wir auch schon bei Kritikpunkt Nummer eins: wir wissen gar nicht genau, was da im Einzelnen verhandelt wird.

Nicht einmal die gewählten VolksvertreterInnen im Europaparlament oder im Bundestag haben Einsicht in die Unterlagen. Begründung ist, die Verhandlungsmacht der EU würde geschwächt, wenn der Verhandlungspartner Einsicht in die Verhandlungstaktik der EU bekäme.

Vor dem Hintergrund der hinlänglich bekannten Abhörpraxis der Geheimdienste ist das lachhaft. Wir fordern daher offene Verhandlungen!

Sehr geehrte Damen und Herren,

immerhin wissen wir, dass mit dem Abkommen zwei Ziele verfolgt werden:

1.     Abbau von Handelshemmnissen

2.     Schutz von Investoren durch eigene Schiedsgerichte und Stillhalteabkommen

Warum sehen wir diese Dinge kritisch? Es gibt verschiedenen Arten von Handelshemmnissen, die tarifären Handelshemmnisse, also Zölle, und die nicht tarifären Handelshemmnisse. Zölle sind im transatlantischen Handel weitgehend abgebaut. Es geht also um Qualitätsstandards in der Erzeugung und für Verbraucher. Da prallen zwei Kulturen, zwei Systeme aufeinander.

Das sind zum Beispiel Qualitätsstandards, die den Zugang bestimmter Produkte für einen Markt erschweren oder behindern. Wir haben in der EU eine Vielzahl solcher Standards, die momentan verhindern, dass manche Produkte bei uns in den Supermärkten landen, ich nenne nur mal als Beispiel Chlorhuhn und Klonfleisch, Hormonfleisch, Gentechnik. Und wir wollen, dass das auch so bleibt!

Aber auch Kennzeichnungsvorschriften wie für GVO in Lebensmitteln, Patentrecht auf Saatgut sind in den Augen der Freihandelsideologen nichts weiter als Handelshemmnisse.

Denn wenn GVO draufsteht auf der Verpackung, ist das ein Verkaufshemmnis. Diese Logik wertet die Absatzinteressen der Konzerne höher als das Recht der VerbraucherInnen auf Information.

Auch in den USA gibt es ein starkes zivilgesellschaftliches Engagement gegen das Freihandelsabkommen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

von den Befürwortern des Abkommen wird behauptet, Verbraucherschutzstandards stünden vielleicht gar nicht zur Disposition. Wir lassen uns aber keinen Sand in die Augen streuen.

Denn für die USA machen die Verhandlungen nur dann einen Sinn, wenn sie damit einen Zugang zu Märkten bekommen, den sie bis jetzt nicht haben. Und es geht nicht nur um Lebensmittel, sondern auch um Medizinprodukte, Chemikalienpolitik, Nanotechnik, um Datenaustausch, Finanzmarktregeln und Schutz des geistigen Eigentums.

Es beruhigt mich auch nicht, wenn der EU-Handelskommissar sagt, jüngst im Interview der Süddeutschen Zeitung, er werde keine europäischen Gesetze ändern um eine Unterschrift unter das Abkommen zu bekommen. Schon eine merkwürdige Aussage an sich, denn bis jetzt ist mir nicht bekannt, dass ein EU-Kommissar im Alleingang Gesetze ändern könnte. Aber es wird so sein, dass die bestehenden Gesetze in ihrer Wirksamkeit unterlaufen werden.

Erst recht wird es dann sehr schwer bis unmöglich, neue Standards zu erlassen, wie zum Beispiel die Kennzeichnung der Haltungsform bei tierischen Produkten, die wir Grüne seit langem fordern.

Denn das Abkommen soll auch einen umfangreichen Schutz von Investoren beinhalten. Die Klagemöglichkeiten der Konzerne würden damit ausgeweitet. Konzerne verklagen Staaten, das gibt es ja schon jetzt. Der Atomkonzern Vattenfall verklagt die Bundesrepublik auf 3, 7 Milliarden Schadenersatz wegen der Energiewende. Der Saatgutmulti Pioneer beklagt die EU und will so die Anerkennung der Gentechnik-Maissorte 1507 erzwingen. Aber ein Investitionsschutzabkommen mit den USA würde ein riesengroßes  neues Fass aufmachen.

In der Energiepolitik könnte über den Hebel Schiedsgericht und Stillhalteabkommen z.B. Fracking von Energiekonzernen gegenüber den Mitgliedsländern durchgesetzt werden. Die Verhinderung von Fracking durch nationale Gesetze könnte dann sehr teuer werden.

Es würde eine Gerichtsbarkeit in dreiköpfigen Schiedsgremien jenseits der bestehenden, öffentlichen Gerichtsbarkeit etablieren. Ein „Freifahrtschein jenseits geltender Gesetze“ und eine „Entmachtung nationaler Justizsysteme“ nennt es der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe.

Es geht also um nicht weniger als die Sicherung heutiger und zukünftiger gesellschaftlich errungener Standards und das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Parlamente in der EU und den USA.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,

ich bitte darum den Antrag noch einmal im Ausschuss zu beraten. Ich wäre sehr froh, wenn wir den Antrag in großer Übereinstimmung beschließen könnten, um damit ein starkes Signal nach Berlin und Brüssel zu geben und der Landesregierung bei einer zukünftig anstehenden Entscheidung im Bundesrat den Rücken zu stärken.