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Politik & Wirtschaft

Neugliederung der Verwaltung von Schleswig-Holstein: Dazu sagt der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Robert Habeck:

Hinterzimmerkrämerei, ersetzt keine Demokratie!

Herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren,

wir hatten es bereits gestern gestreift, Einschnitte ohne Strukturveränderungen können weder finanzpolitisch noch politisch gelingen. Insofern knüpft diese Debatte an die der Regierungserklärung an.

Und deshalb hätte ich jetzt, hier und heute gern nicht geredet. Wir, die grüne Landtagsfraktion, waren im Begriff, so etwas wie einen interfraktionellen Konsens über das Vorgehen in der Verwaltungsstrukturreform mindestens auszuloten. Und dann kam das Haushaltsstrukturkonzept mit seinem Vorschlag, die Ämterverfassung im Land so zu lassen, wie sie ist und ein neues Institut, den „Verwaltungsverband“ einzuführen. Was bitte, soll das denn anderes sein, als ein Zweckverband der Ämter?Meine Damen und Herren,

damit verschärfen Sie absehbar den Verfassungsverstoß. Haben Sie denn gar nicht kapiert, worum es geht? Die Ämter sind unzureichend demokratisch legitimiert und sie wollen die Legitimation noch weiter aushöhlen? Wir müssen aber die Demokratie zu den Aufgaben bringen, die Bürgerinnen und Bürger wieder mit den Entscheidungen zusammen – und sie wollen alles immer weiter weg vom Souverän verlagern? Der Stil der Haushaltsstrukturkommissionen darf nicht Leitbild für die kommunale Ebene sein! Hinterzimmerkrämerei, ersetzt keine Demokratie. Und weil die Regierung letztlich alles ungeprüft schluckt, was ihr die Haushaltsstrukturkommission zum Fraß vorwirft, mussten wir jetzt handeln und diesen Antrag einbringen.

Meine Damen und Herren,

das Schleswiger Verfassungsgerichtsurteil zu den Ämtern ist eine große Chance für eine demokratische Erneuerung Schleswig-Holsteins, eine Chance, die wir nutzen sollten. Und die beklagte demokratische Aushöhlung ist kein Zufall. Man muss auch den Staatsaufbau vor dem Hintergrund der Schuldenfrage diskutieren. Die Institutionen des Gemeinwesens wurden geschaffen, um etwas zu verteilen. Jetzt gibt es nichts mehr zu verteilen. Wir haben eine völlig neue Situation. Jetzt stehen wir da, mit den Ehrenamtsstrukturen, die nur noch Kürzungsbescheide und Einschnitte rechtfertigen sollen. Wer aber soll sich zur Verfügung stellen für politische Selbstbestimmung, wenn es nichts mehr zu bestimmen gibt, keine Fahrzeuge für die Feuerwehr, keine Instrumente für die Musikschule, keine Trikots für den Fußballverein. Wir müssen durch eine Strukturreform verhindern, dass das Herz der Demokratie, die Kommunen, ausbluten!

Sehr geehrte Damen und Herren,

unser Antrag ist einerseits bescheiden, weil er kein abschließendes Modell vorlegt. Er beschreibt einen Pfad. Und er gibt Orientierungspunkte für diesen Pfad.

–  Keine vier Selbstbefassungsebene im Land

–  Gewinne aus der Verwaltungsstrukturreform sollen vollständig bei den Kommunen bleiben. Damit haben die Kommunen einen erheblichen wirtschaftlichen Anreiz, die Debatte um eine Gebiets- und Verwaltungsstrukturreform selbst wieder zu eröffnen!

–  Der Prozess soll breit angelegt werden und alle Betroffenen mit einbeziehen.

Andererseits ist der Antrag ehrgeizig. Das Konzept soll innerhalb eines Jahres erstellt werden. Damit können wir die nächste Kommunalwahl nach der neuen Kommunalverfassung durchführen. Das ist schnell – aber wenn es richtig ist, dass durch den Neuaufbau demokratische und finanzielle Vorteile gehoben werden können, dann ist zaghaftes Zaudern politische Verweigerung.

Meine Damen und Herren,

früher haben wir gedacht, dass Effizient und Demokratie durch Größe der Strukturen hergestellt werden kann. Heute sage ich, es ist nicht die Größe von Gebilden, es ist der Wegfall von Ebenen, der den Unterschied macht. Und ich sage auch, dass man nicht gegen das Bedürfnis der Menschen nach Heimat Organisationsformen aus dem Boden stampfen kann. Die gewachsenen Strukturen im Land, sie sind nicht zufällig, sie sind prägend. Die Menschen wollen Professionalität und Identität. Und es ist die Aufgabe von Politik heute, ihnen beides zu geben. Wir sollten uns dieser Aufgabe gemeinsam stellen.