„Man kann immer umkehren“
In der Lutherkirche erzählt die Ausstellung „… ich kann dich sehen.“ vom Schicksal der Lübecker Märtyrer, die in der NS-Zeit ökumenischen Widerstand geleistet haben, und informiert zugleich über die Beziehung zwischen Kirche und Nationalsozialismus. Die Gedenkstättenarbeit wird seit diesem Jahr von der Nordkirche, der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten und dem Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg gefördert. Mit Dr. Karen Meyer-Rebentisch ist nun eine Projektleiterin eingestellt, die hauptamtlich für die Ausstellung tätig ist: Ab sofort mit festen Öffnungszeiten und neuem Programm rund um die Bildungsarbeit.
„Die Kirche, das heißt also die Gemeinschaft der Christen, hat den Auftrag, den Ausgegrenzten, den Machtlosen und den Verfolgten beizustehen“, erläutert Pröpstin Petra Kallies. „Diesem Auftrag Jesu sind die Kirchen, die evangelische noch weniger als die katholische, während der Naziherrschaft nicht nachgekommen. Nur wenige Kirchenvertreter und Gemeindemitglieder hatten den Mut zum Widerstand. Mehr noch, viele Christen haben die Nazis insgeheim oder offen unterstützt. Einer von ihnen war Pastor Karl Friedrich Stellbrink, der seinen Dienst an der Lutherkirche als überzeugter Nazi begonnen hatte, aber später, Stück für Stück, seinen Irrtum erkannte und zunächst im Verborgenen, am Ende auch öffentlich gegen die NS-Ideologie Stellung bezog.“ Pröpstin Kallies hebt in diesem Zusammenhang hervor: „Pastor Stellbrink ist für mich darin ein gutes Beispiel, dass es niemals zu spät ist, einen eingeschlagenen Weg zu verlassen, wenn man ihn als falsch erkennt. Man kann immer umkehren.“
Stellbrinks Wirkungsstätte, die Lübecker Lutherkirche, ist als ein NS-Vorzeige-Kirchenbau errichtet worden und weist typische Züge der Architektur jener Zeit auf: „Das größte Ausstellungsexponat ist die Kirche selbst“, sagt Gemeindepastor Thorsten Rose.1937 erbaut, steht die Lutherkirche seit 1993 unter Denkmalschutz und ist heute eine Gedenkstätte in der Nordkirche. Sie beherbergt seit November letzten Jahres auf ihrer Empore die Ausstellung „… ich kann dich sehen.“ über ökumenischen Widerstand, Freundschaft und Ermutigung der vier Lübecker Märtyrer. Sie ist auch Bestattungsort des von den Nationalsozialisten hingerichteten damaligen Gemeindepastors der Lutherkirche Karl Friedrich Stellbrink.
Seit März 2015 arbeitet die Historikerin Dr. Karen Meyer-Rebentisch hauptamtlich für die Gedenkstätte. „In ihrem Widerstand gegen das NS-Regime haben die vier Geistlichen konfessionelle Schranken überwunden zu einer Zeit, als dies noch weitaus schwieriger war als heute“, sagt die Historikerin und nimmt das als einen Auftrag, ökumenisch zu gedenken, und sich nicht auseinanderdividieren zu lassen, wenn es darum gehe, gegen Ausgrenzung und Unmenschlichkeit das Wort zu erheben. „Deshalb strebe ich eine enge Kooperation mit der katholischen Gedenkstätte Lübecker Märtyrer an“, so Dr. Meyer-Rebentisch. In diesen Tagen komme ein gemeinsam gestalteter Flyer aus der Druckerei und auch bei der Arbeit mit Jugendlichen und Schulen seien gemeinsame Aktivitäten geplant.
Auch Pröpstin Kallies nimmt ausdrücklich Bezug auf den Aspekt des ökumenischen Widerstands: „Das Besondere an dieser Gedenkstätte ist, dass Pastor Stellbrink zwar in seiner eigenen Kirche isoliert war, jedoch in den drei Kaplänen der Herz Jesu Kirche Brüder im Geist gefunden hatte. Gemeinsam haben sie sich ausgetauscht, gemeinsam waren sie in Haft, gemeinsam wurden sie ermordet.“ Diese “Ökumene im Widerstand“ von evangelischen und katholischen Christen sei eine Verpflichtung für die Zukunft, sagt Pröpstin Kallies und ergänzt: „Daher ist es uns wichtig, die beiden Ausstellungen in Lübeck mit je eigenen Akzentsetzungen zu verknüpfen. Und selbstverständlich arbeiten wir auch weiterhin intensiv an einer gemeinsamen Erinnerungs- und Gottesdienstform für das Märtyrergedenken.“
Nach den Worten von Pröpstin Kallies unterstützt der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg das Anliegen der Luther-Melanchthon Gemeinde, sich mit diesem geschichtlichen Erbe intensiv zu beschäftigen, Material für die Aufarbeitung zur Verfügung zu stellen und mit geeigneten Veranstaltungen dazu beizutragen, zu verstehen, was damals geschehen ist, um daraus für die Zukunft zu lernen. Sie sagt: „Die Luther-Melanchthon Gemeinde nimmt diese Aufgabe stellvertretend für den Kirchenkreis wahr; angebunden an diesen besonderen Ort Lutherkirche.“
Das Anliegen der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten ist es, Einrichtungen des Gedenkens an den nationalsozialistischen Terror zu fördern und für Aufklärung zu sorgen. Dr. Harald Schmid von der Bürgerstiftung sagt: „Der Widerstand gegen das totalitäre NS-Regime war selten, noch seltener der überkonfessionelle Widerstand, wie er sich bei den vier „Lübecker Märtyrern“ zeigte. Daran mit einer zeitgemäßen Ausstellung und einer kritischen, auch die Gegenwart einbeziehenden Bildungsarbeit zu erinnern, ist aus der Sicht der Stiftung sehr förderwürdig. Zumal es in Schleswig-Holstein kaum Erinnerungsorte für den antinationalsozialistischen Widerstand gibt.“ Zudem sei eine solche, auch selbstkritische Erinnerungsarbeit just mit Blick auch auf die Geschichte der Lutherkirche unterstützenswert, weil diese doch zeitweise die Hochburg der nationalsozialistischen „Deutschen Christen“ in Lübeck gewesen sei. In diesem Sinne sei die 2002 gegründete Bürgerstiftung nachhaltig daran interessiert, an diesem Ort eine lebendige und kritische Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus und Widerstand gegen diesen zu fördern. Das Ziel der Stiftung sei es unter anderem Toleranz und gegenseitige Achtung unter den Menschen zu fördern, sowie Verständnis und persönlichen Einsatz für den freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat zu stärken und das Bewusstsein für politische Verantwortung zu entwickeln und zu vertiefen.
Bereits 2014 hat die Bürgerstiftung die Entwicklung der neuen Dauerausstellung gefördert. Auch das daran anschließende Vorhaben, an der Lutherkirche nun auch eine professionelle und systematische Bildungsarbeit aufzubauen, unterstützt die Stiftung mit 10.000 Euro. „Wir fördern mit unseren bescheidenen Mitteln damit einen für Schleswig-Holstein, aber auch für Deutschland insgesamt besonderen Erinnerungsort“, sagt Dr. Schmid.
In diesem Sinne arbeitet die neue Projektleiterin der Gedenkstätte, Karen Meyer-Rebentisch, derzeit an der Entwicklung verschiedener zielgruppengerechter Arbeitsmaterialien unter anderem für Schulklassen und Jugendliche. „Wir suchen auch dringend noch Ehrenamtliche, die bereit sind, beim Betrieb der Gedenkstätte mitzuhelfen. Die Gedenkstätte braucht engagierte Menschen, die stundenweise Aufsicht während der Öffnungszeiten der Kirche führen und/oder Führungen für Gruppen anbieten. „Interessierte bekommen von uns schriftliches Info-Material und können in drei Workshops ihr Wissen vertiefen“, so Dr. Meyer-Rebentisch. „Außerdem baue ich gerade eine Präsenzbibliothek auf, in der Literatur zum Thema eingesehen werden kann.“
Das in der Ausstellung Erzählte sei nicht nur binnenkirchlich, sondern auch geschichtlich und gesellschaftlich relevant. Diese Ansicht äußert Lutherpastorin Constanze Oldendorf. Sie stellt fest: „Bereits in den ersten Monaten seit der Öffnung unserer neu konzipierten Ausstellung
nehmen wir ein großes Interesse von unterschiedlichsten Gruppen wahr, die sich bei uns anmelden. Die Bandbreite ist groß. Alle Generationen sind vertreten und alle Konfessionen. Damit erfüllt sich, was wir uns für die zukünftige Arbeit wünschen und worauf wir uns mit unterschiedlichen Angeboten auch einstellen. Konfirmanden haben einen anderen Blick auf die Geschichte als Abiturienten, und wiederum sehen 50jährige anders auf das Thema als 80jährige“, so Pastorin Oldendorf. „Eine große Chance liegt natürlich in der Begegnung der Generationen, die wir hier gerne fördern möchten. Der Diskurs, der gerade bei Gruppen entsteht, miteinander ins Gespräch zu kommen und das Gestern mit dem Heute in Verbindung zu bringen, ist für uns spannend und ein großes Anliegen unserer Arbeit.“
Ab sofort ist die Gedenkstätte am Mittwoch und am Freitag sowie an jedem ersten Samstag im Monat von 14-16 Uhr geöffnet. An den Samstagen findet jeweils um 14.30 Uhr eine Führung statt. Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte oder sich für die kostenfreien Workshops interessiert, die im Laufe des Sommers stattfinden, kann sich im Kirchenbüro (Telefon 0451 / 2 03 47 98) oder bei Projektleiterin Dr. Karen Meyer-Rebentisch (Telefon 0451 / 49 05 78 00) anmelden. Aktuelle Informationen und Termine gibt es im Internet unter www.gedenkstaette-lutherkirche.de.
Hintergrund: Am 10. November 1943 wurden der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink und die katholischen Kapläne Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller nach einem Todesurteil der nationalsozialistischen Willkür-Justiz hingerichtet. Die vier Lübecker Geistlichen gaben in der dunklen Zeit ein einzigartiges Beispiel für einen christlich ökumenischen Widerstand gegen Terror und Unterdrückung. In der Lübecker Gedenkstätte Lutherkirche lässt die Ausstellung „…ich kann dich sehen.“ die Vergangenheit lebendig werden. Daneben findet sich aber auch eine Einladung zum Diskurs über heutige Ereignisse, die gegenseitige Achtung und Toleranz einfordern. Seit März 2015 ist mit der Historikerin Dr. Karen Meyer-Rebentisch eine hauptamtliche Projektleiterin für die Arbeit der Gedenkstätte tätig.
Bildunterschrift: Pröpstin Petra Kallies (v.l.), Pastorin Constanze Oldendorf, Dr. Harald Schmid, Pastor Thorsten Rose und Dr. Karen Meyer-Rebentisch in der Ausstellung „… ich kann dich sehen.“ in der Gedenkstätte Lutherkirche