HIV-Positive: „Wir sind die Monster“ – Betroffene zeigt, wie sich HIV/Aids anfühlt
HIV-Betroffene: Gezwungen, zwei Leben zu führen
Menschen, die mit HIV/Aids leben, führen auch in Europa ein Doppelleben und verheimlichen ihre Krankheit. Das veranschaulicht die Wanderausstellung „Our Positive Life“, die diese Woche auf der 18. Internationalen Aidskonferenz http://www.aids2010.org in Wien Station machte. Die Bilder im Stil der „Body maps“ sind Ergebnisse eines kunsttherapeutischen Workshops, bei dem sich HIV-Positive mit ihrem Leben auseinandersetzen und damit zugleich zum Verständnis für ihre Situation beitragen. pressetext sprach mit der Wienerin Daniela S., deren Gemälde Teil der Ausstellung ist.Schizophrenie ist vorprogrammiert
Daniela S. ist 40 und lebt seit 25 Jahren mit dem HI-Virus. 1985 – sie war 15 – sagte der Arzt ihrem Freund nach einem Bluttest, er müsse künftig ein Kondom verwenden. „Wir machten uns nichts draus. Zwei Jahre später – wir hatten längst Schluss gemacht – rief er mich aus dem Spital an. Ich sollte mich untersuchen lassen.“ Mit der Diagnose HIV-positiv konnte S. wenig anfangen. „Aids galt damals als die Schwulenpest. Im Fernsehen diskutierte man, alle HIV-Positiven in ein umzäuntes Gebiet einzusperren. Für mich war klar: Niemand erfährt von meiner Krankheit.“
In den 25 Jahren seither besserten sich die Medikamente erheblich. Die Krankheit gehört für Betroffene zum Alltag, betont S. „Das Pulvereinnehmen am Abend ist so normal wie für andere ein Tick.“ Viel schwieriger ist allerdings der Umgang mit anderen, wie die Wienerin anhand ihres Bildes erklärt. „HIV-Positive leben zwei Leben gleichzeitig. Außer Haus bin ich eine öffentliche, nette und gesunde Person. Gefühle kann ich nur daheim zeigen. Das schlägt auf die Psyche und macht auf Dauer schizophren.“
Viele verbergen die Krankheit selbst gegenüber Eltern oder Kindern. Präsent ist sie jedoch ständig und der Umgang mit ihren Folgen fällt schwer. „Der Zwang zur Verheimlichung gibt uns Positiven das Gefühl, als wären wir Mörder aus Versehen, Fahrerflüchtige nach einem Verkehrsunfall oder beschädigtes Fallobst. Belastend ist auch, dass ich nicht Urlaub davon machen kann“, so S.
Versteckspiel gegen die soziale Ausgrenzung
Wie versteckt das HIV/Aids ist, kann man einfach nachprüfen. „Etwa in Österreich gibt es 13.000 Infizierte. Egal wo ich Menschen darauf anspreche, niemand kennt Betroffene. Wir sind die Monster, die Red Ribbons tragen, ihre geheimen Treffen haben und sich unsichtbar unter die Bevölkerung mischen. Doch in Wahrheit gefährdet kein HIV-Positiver irgendwen.“ Schön wäre es, so S., würden alle 13.000 den Mut finden, zur gleichen Zeit ein Zeichen zu setzen und damit ihre Gegenwart in allen Bereichen signalisieren.
Ein Leben ohne Verstecken ist aber unmöglich, betont S. „In Afrika, wo man an Voodoo glaubt, ist das vielleicht verständlicher. Bei uns steht die kopfgeleitete Suche nach Kontrolle im Weg.“ Ein Outing setzt den Arbeitsplatz aufs Spiel, zudem nimmt jede Unterhaltung mit dem HI-Virus eine tragische Wendung. „Die Menschen werden ängstlich, unsicher in den Blicken und schaffen sogar räumlich Distanz. Vor ihnen bin ich nicht mehr Person, sondern personifiziertes Virus. Gleichzeitig gehen sie bedenkenlos One-Night-Stands ein und verzichten dabei auf das Kondom.“
Höchstes HIV-Risiko bei den Ahnungslosen
Richtiger als die Angst vor der Person wäre die Angst vor dem Virus, betont S. „Die Menschen hier wähnen das Virus in Afrika und halten es für ungefährlich, da ja Medikamente existieren. Umso irrationaler ist die Angst vor den Erkrankten.“ Hauptrisikogruppe für HIV ist nicht die Schwulen- oder Drogenszene, sondern jene, die glauben, dass sie nicht betroffen sind. Die meisten Neuinfektionen geschehen heute über heterosexuelle Kontakte. „Männer gehen ohne Gummi fremd, belügen ihre Frau und stecken sie an“, so S.
Wunschtraum von S. ist nicht, die Krankheit abzuschütteln. Noch wichtiger sei ein besserer Zugang zum Kranksein. „Man kann nicht nur das Positive herauspicken, denn Krankheit und Tod gehören zum gesunden Leben. Viele HIV-Positive haben das akzeptiert. Ich fühle mich gesünder als Menschen, die diesen Gedanken rational verdrängen und dabei so unpersönlich werden, dass sie vereinsamen. Was wirklich fehlt, ist nicht ein Stück Bein, sondern ein Stück Mensch.“ Erst ohne Zwang zum Gesundsein könnten Kranke die ersehnte Normalität leben.
Den HIV-Positiven zuhören
Der Workshop der Body Maps, vor dessen Resultat Daniela S. steht, stärkte sie „mehr als viele Stunden beim Psychologen.“ Michaela Wilczek ist Organisatorin der Wanderausstellung. „Unser Ziel ist, dass HIV-Positive über sich selbst lernen und Gehör finden, was auch Basis sein soll für Strategien der Fachwelt“, erklärt die Expertin gegenüber pressetext. Das Projekt ist eine Kooperation von Art2Be http://www.art2bebodymaps.com und des kenianischen Aids-Programms „Thika“. Träger der Wanderausstellung, die unter body-maps-wanderausstellung@gtz.de angefordert werden kann, sind die die Deutsche Aidshilfe, Aidshilfe Wien und die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit.
Fotos zur Ausstellung unter: http://fotodienst.at/browse.mc?album_id=3214