Bin Laden-Ergreifung: Zweifel an Folter-Angaben – Menschenrechtsexperte: Bleibende Schäden durch US-Vorgangsweise
Wien (pte0Nowak in griechischem Gefängnis: Haftbedingungen oft katastrophal (Foto: BIM) – Folter dürfte nicht zu den Hinweisen geführt haben, aufgrund derer US-Einheiten Osama Bin Laden in Pakistan auffinden konnten. Mit diesen Zweifel an der Darstellung des früheren US-Vizepräsidenten Dick Cheney meldet sich Manfred Nowak, langjähriger UNO-Berichterstatter für Folter, gegenüber pressetext zu Wort. „Zwar ist nicht auszuschließen, dass Methoden wie das simulierte Ertränken (Waterboarding) manchmal richtige Hinweise liefern. Den Ausschlag dürfte es bei Bin Laden aber nicht gegeben haben. Doch selbst wenn es so war, dann kann das nicht nachträglich zur Rechtfertigung der Folter verwendet werden“, so Nowak.Lange negative Nachwirkungen
Dass die USA in den vergangenen Jahren Folter eingesetzt und sich ihrer gebrüstet hat, kritisiert der Völkerrechts- und Menschenrechtsexperte von der Universität Wien http://human-rights.univie.ac.at scharf. „Es gibt keine Rechtfertigung für Folter. Die USA hat dennoch während der Bush-Regierung in ihrem ‚war on terror‘ offensichtlich schwer gefoltert, und zwar offiziell von höchster Stelle abgesichert. Damit hat das Land, das die Achtung der Menschenrechte immer von anderen einforderte, die Absolutheit des Folterverbots, jedoch auch die Grundfeste des internationalen Menschenrechts-Schutzes in Frage gestellt.“ Lange negative Nachwirkungen auf viele Länder seien zu erwarten.
Folter noch immer fast weltweit präsent
Dass Folter trotz ihrer internationalen Ächtung noch immer allgegenwärtig ist, zeigt der „Atlas of torture“ http://www.atlas-of-torture.org , an dem Nowak mit einem Team vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte (BIM) http://bim.lbg.ac.at im Rahmen eines EU-Projekts seit Oktober 2010 arbeitet. „Die internationale Menschenrechtslage ist dramatisch. In über 90 Prozent der Länder wird gefoltert – darunter auch in vielen Industriestaaten“, berichtet der Experte.
Eng mit der Folter verknüpft ist die Situation in den Gefängnissen, die sich in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert hat. „Viele Länder haben die Drogenpolitik des ‚war on drugs‘ der USA übernommen, was den Trend zum Einsperren noch verstärkt. Die Gefängniskapazitäten nahmen allerdings nicht überall zu“, so Nowak. Besonders in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas führe dies zu schlimmen Zuständen. „Gewalt ist allgegenwärtig, zudem hängen Häftlinge bei der Verpflegung und medizinischen Versorgung vielerorts von den Verwandten ab. Reiche kaufen sich hingegen frei.“ In Österreich gebe es besonders bei der Schubhaft arge Missstände.
Gefangene brauchen Mitgefühl
Die Medien haben eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Folter, betont Nowak, zeige doch ihr Aufzeigen konkreter Situationen mehr Wirkung als viele UNO-Berichte. „Vor allem müssen die Haftsituationen transparenter werden. Dazu brauchen wir unabhängige nationale Strukturen der Prävention, deren Vertreter regelmäßig und unangekündigt Gefängnisse besuchen. Derzeit dienen Haftanstalten nicht nur dazu, Menschen wegzusperren, sondern sie sperren auch die Öffentlichkeit aus. Gefängnisdirektoren und Polizeichefs sollten aber eines Tages keine Angst mehr vor den Medien haben.“
Auf Seiten der Bevölkerung vermisst der Menschenrechts-Experte Empathie für die Häftlinge. „Viele Menschen wollen gar nicht wissen, wie es hinter den Gefängnismauern aussieht. Eine wichtige Aufgabe der Medien wäre es, Bewusstsein zu schaffen, dass Gefangene trotz ihrer Straftaten genauso Menschen sind, die ein Leben unter würdigen Bedingungen verdienen.“ Entsprechend fordert Nowak auch die Formulierung einer UN-Konvention für die Menschenrechte von Häftlingen.