Lehrlinge der Landesberufsschule für Hörgeräteakustiker belegen: Die A 20 ist zu laut!
Ca. 75% der Menschen in Deutschland beklagen sich über Belästigung durch zu laute Geräusche, an der Spitze stehen nach wie vor die Straßenverkehrsgeräusche (18% fühlen sich hochgradig belästigt), dicht gefolgt vom Fluglärm. Das ist seit Jahren bekannt. Genau diese Informationen waren der Auslöser für die Klasse 07.4 der Landesberufsschule für Hörgeräteakustiker, sich näher mit diesem Thema zu beschäftigen. Als nach Ostern der neue Block mit dem Berufsschulunterricht begann, wurde im Unterrichtsfach Akustik darüber diskutiert, wie das Thema: „Mess- und Bewertungsverfahren zur Erfassung von Verkehrslärm, Rechtliche Grundlagen und Geräuschemissionsmessung von verschiedenen Lärmquellen“ praxisgerecht im Unterricht vermittelt werden könnte.
Schnell wurden Kontakte mit dem BUND Lübeck aufgenommen. Welch ein Zufall, dass ausgerechnet auch noch der internationale 10. Tag gegen Lärm und das Planfeststellungsverfahren für die Erhöhung der Geschwindigkeit auf der A 20 in die Unterrichtszeit fielen.
Unterstützt durch den zuständigen Fachlehrer Herrn Egon Milbrod wurden zunächst in einer Unterrichtsstunde die gesetzlichen Grundlagen der Lärmmessung von Straßenverkehrslärm erarbeitet. Den Aufbau eines Schallpegelmessers hatten die Auszubildenden bereits kennen gelernt. Über die Anzeigedynamik, der Frequenzbewertung und über Messverfahren bestanden grundsätzliche Kenntnisse. All das gehört zur umfangreichen Ausbildung zum Beruf eines Hörgeräteakustikers mit dazu. Es galt weiterhin, die Messorte und die der Berechnung zugrunde liegenden Bedingungen zu ergründen. Es galt, die Grenzwerte herauszufinden, die für Wohngebiete bzw. für Dorf- und Mischgebiete entlang der „Ostseeautobahn“ A 20 gelten. Die 59 dB tags (Wohngebiet) bzw. 49 dB Nachts klingen sehr moderat, beachten aber weder die Lästigkeit des Geräusches, noch die Schallausbreitung bei ungünstigen Windrichtungen. Also wurde schnell der Entschluss gefasst, eine Messung auch in dBC durchzuführen, um die Lästigkeit solcher tieftönigen Schalleaufzuzeigen.
Beim Studium der Unterlagen zum Planfeststellungsverfahren gab es einen erhöhten Diskussionsbedarf unter den Auszubildenden. Immerhin war die A 20 in diesem Abschnitt nur für 100 km/h konstruiert. Jetzt soll die Höchstgeschwindigkeit auf 130 km/h erhöht werden. Abgesehen von den Unfallgefahren ergibt das bei gleichem Verkehr eine Pegelerhöhung von ca. 1,5 dB, was einer Zunahme des Verkehrs um 50 % entspräche! Diese enorme Mehrbelastung wird durch die Pegelerhöhung um 1,5 dB nicht ausgedrückt! Viele Auszubildende benutzen die A 20 bei ihren regelmäßigen Heimfahrten. Diesen fiel auf, dass der Anteil schwerer LKW am Gesamtverkehr mit 15 % im Planfeststellungsverfahren als sehr gering angenommen wurde. Zwar werden sie nicht wesentlich an der Pegelerhöhung durch die Veränderung der Geschwindigkeit beitragen. Eine falsche Annahme des LKW-Verkehrs führt jedoch zu falschen Berechnungen bereits bei der Planung und somit auch bei den Lärmschutzmaßnahmen. Also wurde festgelegt, parallel zur Lärmmessung auch eine Verkehrszählung durchzuführen und den LKW-Anteil zu ermitteln.
Also fanden am 25.4.2007 in Wulfsdorf und Vorrade Messungen statt. Die Ergebnisse sind erschreckend!
Selbst unter der Annahme, dass für Wulfsdorf die Werte nach §2 Abs.1 Punkt 3 der Verkehrslärmschutzverordnung gelten sollten, werden diese deutlich überschritten.
Statt der geforderten 64 dB für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete werden etwa 67 dB erreicht, und damit der Grenzwert um das Doppelte überschritten. Um den geforderten Grenzwert zu erreichen, müsste die Verkehrsbelastung sofort halbiert werden. Dabei ist Wulfsdorf als allgemeines Wohngebiet und Kleinsiedlungsgebiet eingestuft. Somit liegt der Grenzwert bei 59 dB und die eigentliche Lärmbelastung wesentlich größer!
Die Messung in dBC ist um 10 dB höher, was auf einen erheblichen tieffrequenten Schallanteil schließen lässt. Dieser trägt erheblich zur Lärmbelästigung bei. Die Empfindung wird durch die gesetzlich vorgeschriebenen Messverfahren nichtbeachtet.
Unter der Annahme, dass in Vorrade die Werte nach §2 Abs.1 Punkt 3 der Verkehrslärmschutzverordnung gelten, werden diese leicht überschritten.
Die Messungen der Schüler ergaben einen Mittelwert von 64,248 dB statt der geforderten 64 dB. Diese Ergebnisse sollten unbedingt Anlass sein, eine qualifizierte Nachmessung durchzuführen, um die getätigten Aussagen zu verifizieren.
Auch hier liegt die Messung in dBC =10 dB über der A-Messung.
Das Planfeststellungsverfahren der A 20 geht von einem LKW-Anteil von 15 % aus. Eine Geschwindigkeitserhöhung auf 130 km/h verursacht zusätzliche Lärmbelastungen überwiegend durch die PKW. Erstaunt waren die Schüler jedoch, dass Sie bei der Verkehrszählung einen Anteil von 28,93 % LKW ermittelten.
Bei dem hier ermittelten LKW-Anteil ist davon auszugehen. dass die Grundannahmen beim Bau der Autobahn nicht exakt waren. Dadurch sind sämtliche Lärmmaßnahmen zu gering bemessen worden. Durch den hohen LKW-Anteil liegt der Pegel um 4 dB über den berechneten Werten, die dem Planfeststellungsverfahren zu Grunde liegen.
Das Fazit der Auszubildenden ist eindeutig:
Die Autobahn ist jetzt schon zu laut. Sämtliche Grenzwerte werden erreicht und zum Teil erheblich überschritten, weil von falschen Voraussetzungen ausgegangen wurde. Wenn jetzt noch eine Erhöhung der Geschwindigkeit auf 130 km/h kommt, steigt der Pegel nochmals signifikant an.
Diese Aussagen gehen dem BUND am Montag in Form eines Berichtes mit allen Messprotokollen zu. Sicher wird dieser Bericht der Auszubildenden kein Gutachten ersetzen. Aber wenn schon Auszubildende bei der (Straßen-)Verwaltung Fehler finden, dürfte es ein amtlich bestellter Gutachter schwer haben, das Gegenteil zu beweisen. Die Auszubildenden haben jedenfalls Unterricht Praxisnah und Ergebnisorientiert erlebt. Sie betrachten die Mitarbeit in einem solchen Projekt als großen Erfolg. Viele Auszubildende wollen die im Unterricht erworbenen Kenntnisse nutzen, um in ihren Heimatorten die Lärmbelastung zu überprüfen. Allen hat die Arbeit Spaß gemacht. Wünschen wir ihnen für die bevorstehenden Gesellenprüfungen ebenfalls viele Erfolge!
Von 15 % Anteil LKW-Verkehr kann man hier bestimmt nicht ausgehen!
So macht Schule Spaß! Auszubildende der Landesberufsschule für Hörgeräteakustiker bei Vorbereitungen zur Lärmmessung an der A 20 anlässlich des 10. Tages gegen Lärm.
Konzentrierte Verkehrszählung an der Autobahn durch Auszubildende der Landesberufsschule für Hörgeräteakustiker.