Zum Internationalen Flüchtlingstag am 20. Juni: Das Problem heißt Rassismus
Dem Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein ist der Internationale Flüchtlingstag einmal mehr ein Tag der Trauer: Knapp 85 Jahre nachdem die Völkergemeinschaft im französichen Evián im Juli 1938 bei einer Flüchtlingskonferenz kollektiv ihre Nichtbereitschaft zur Aufnhame von in NS-Deutschland und im bestzten Östereich verfolgten Judinnen und Juden zelebrierte, wiederholt sich Geschichte nun unter umgekehrten Vorzeichen. Mit ihrer Zustimmung zur Reform eines „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS) am 8. Juni in Luxemburg hat die Bundesregierung sich von der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention als richtungsweisenden Maßstab für die eigene Flüchtlingspolitik verabschiedet.Im Rahmen des geplanten „Gemeinsamen europäischen Asylsystems“ (GEAS) ist die regelmäßige Zwangsunterbringung aller Asylsuchender in haftähnlichen Einrichtungen nicht nur an den Rändfern der EU, sondern auch in Deutschland vorgesehen. Wenn sie erst einmal dort hingeraten sind, soll geprüft werden, welche Geflüchtete ohne eine inhaltliche Prüfung der Asylgründe in sogenannte „sichere Drittstaaten“ abgeschoben werden können. Als solche sollen künftig auch autokratische Staaten wie Tunesien, die Türkei, Ägypten oder bitterarme Staaten wie Moldau gehören. Geflüchtete aus Herkunftsstaaten mit einer bisherigen Schutzquote unter 20% (zu denen z.B. auch Asylsuchende aus der Türkei gehören werden) sollen bis zu drei Monaten in besagten „haftähnlichen Einrichtungen“ bleiben, wenn eine Abschiebung in „sichere Drittstaaten“ nicht möglich ist – ihre Asylanträge sollen in Schnellverfahren innerhalb von drei Monaten abgewickelt und ggf. eine Abschiebung ins Herkunftsland vollzogen werden. Die Dublin-Überstellungsfrist soll von 6 auf 12 Monate verlängert werden.
Schon im Vorfeld der Luxembuger Beschlüsse haben die Ministerpräsident:innen der Länder auf ihrer Konferenz am 10. Mai in Berlin darüber hinaus einen umfangreichen Katalog an weiteren ausländerrechtlichen Verschärfungen – insbesondere zur beschleunigten Aufenthaltsbeendigung zulasten Geduldeter – angekündigt, den die Bundesregierung kraft ihrer parlamentarischen Mehrheit umsetzen soll.
Auslöser für diesen flüchtlingspolitisch restriktiven Schwenk der Ampel-Bundersregierung ist die angeblich hohe Zahl der Asylsuchenden: 125.000 Menschen haben in den ersten 5 Monaten des Jahres 2023 in Deutschland einen Asylerstantrag gestellt. Rund 25% der Antragsteller:innen sind allerdings als Kinder von Geflüchteten hier geboren, also gar nicht zugezogen. Damit reduziert sich die Zahl der zugezogenen Asylsuchenden in den Monaten Januar bis Mai 2023 auf rund 100.000 Menschen.
Das die Politik umtreibende Problem ist offensichtlich nicht die Zahl: Händeringend wirbt die deutsche Politik um Arbeitskräfte im Ausland. Der Bedarf an jährlich in den Arbeitsmarkt Zuwandernden wird mit 400.000 beziffert. Die Novelle des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes ist auf den Weg gebracht. Dass es diesem Gesetz aber nicht allein um den Fachkräftebedarf geht, wird angesichts seiner Weigerung offenbar, die schon im Land aufhältigen beruflich qualifizierten, im Asylverfahren nicht erfolgreichen, aber aufenthaltsrechtlich geduldeten Geflüchteten in die Fachkräftestrategie einzubeziehen.
Demgegenüber sind eine Million Geflüchtete aus der Ukraine – und noch weitere mit denen gerechnet wird – in der Bundesrepublik Deutschland willkommen. Ihre Aufnahme in Deutschland unterliegt keinen Beschränkungen oder Reglementierungen. Ihre menschenwürdige Aufnahme ist Programm: Ukrainische Kriegsflüchtlinge erhalten alle Möglichkeiten und rechtlichen Voraussetzungen, sich selbst zu helfen und private Hilfe in Anspruch zu nehmen: Sie dürfen sich selbst eine Wohnung suchen oder ggf. bei Freund:innen oder Unterstützer:innen unterkommen. Sie erhalten im Unterschied zu Asylsuchenden ein sofortiges Aufenthaltsrecht, Sprachkurszugang und dürfen sofort arbeiten. Sie haben ggf. Bürgergeldanspruch und die diskriminierenden Regelungen des Asylbewerbeleistungsgesetzes gelten für sie nicht.
Bei Asylsuchenden – also bei Menschen, die zumeist aus Ländern des globalten Südens fliehen – geht die Politik den umgekehrten Weg: Statt ihnen den Weg zu ebnen und die Aufnahme zu erleichtern, setzt sie auf Integrationsbehinderung. Instrumente dabei sind Wohn- und Residenzpflicht, Hürden beim Zugang zu Sprachkursen, Ausbildung und Beschäftigung, auf Kettenduldungen und die ständig drohende Abschiebung.
Die deutsche Außenpolitik setzt auf weitere Abschottung und Reglementierung: In Tunesien und anderen Nachbarstaaten Europas wirbt die Bundesregierung für Migrationsverhinderungsabkommen, stellt adäquart Qualifizierten Arbeitsvisa für den deutschen Arbeitsmarkt in Aussicht und verlangt von den Regierungen dafür, dass Menschen – auch im Transit – daran gehindert werden, nach Europa zu fliehen.
Ziel der deutschen Politik ist es, sich gewünschte Menschen für den deutschen Arbeitsmarkt auszusuchen und die Handlungs-und Regulationskompetenz des Staates im Bereich der Migrationssteuerung zu vergrößern. Eine humanitäre Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine erfolgt vor dem Hintergrund des jahrzehntelangen Systemgegensatzes zwischen Ost und West. Aber ihrem schrankenlosen Willkommen steht die restriktive Abschottung gegen Fliehende aus dem Globalen Süden gegenüber und offenbart die rassistische Dimension dieser Politik – nicht zuletzt wenn im öffentlichen Diskurs der Politik immer wieder betont wird, dass ukrainische christliche und europäische Geflüchtete uns „kulturell näher“ seien, als andere.
Das Mitleid für den Rest der Welt scheint aufgebraucht, für sie ist kein Platz mehr. Das Problem heißt Rassismus.