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Besondere Neuigkeiten

100. Stolperstein wird am Mittwoch in Lübeck verlegt

Steine Nr. 81 bis 101 werden morgen zwischen 10 und 13 Uhr in der Altstadt verlegt – Bürgermeister Bernd Saxe spricht Grußwort

Am Mittwoch, 21. April 2010, wird der Kölner Künstler Gunter Demnig, der vor einem Jahr in der Hansestadt mit dem Erich-Mühsam-Preis ausgezeichnet worden ist, in Lübeck zwanzig weitere Stolpersteine verlegen. Damit wird die Zahl der kleinen Gedenksteine von jetzt 81 auf 101 steigen. Der Zeitplan des Künstlers für diesen Tag sieht folgendermaßen aus:

10 Uhr :Schusterbreite 5 / Schlutup: Wilhelm Krohn

11 Uhr: Fischergrube 22: Caroline und Bruno Katz

11.30 Uhr: Fleischhauerstraße 1: Emanuel, Jettchen und Frieda Levi

12 Uhr: Braunstraße 6: Emma Katz

12.30Uhr: Marlesgrube 22: Franz Neitzke

13 Uhr: St. Annen-Straße; St. Annen-Straße 20: Frieda Bär; St. Annen-Straße 12: Sara, Elena und Eva Emmering; St. Annen-Straße 13: Iwan, Minna und Arno Blumenthal; St. Annen-Straße 11: Recha Saalfeld, Emilie Haas, Sara Opler, und Martha Hotzner; St. Annen-Straße 7: Franziska Sussmann.

Alle Verlegungen werden begleitet durch Informationen zur Biografie und die Lesung eines Gedichts sowie teilweise Musik und weitere Redebeiträge.

Die Orte – die Menschen:

Um 10 Uhr beginnt Gunter Demnig in Schlutup in der Schusterbreite 5. Hier lebte Wilhelm Krohn, der mit seinem Leben dafür bezahlen musste, dass er Zwangsarbeitern ein wenig Brot zusteckte. Der Historiker Christian Rathmer wird während der Verlegung an diesen Schlutuper erinnern, dessen Enkel den Anstoß für den Gedenkstein gab und der zusammen mit einer weiteren Angehörigen an der Gedenkveranstaltung teilnehmen wird. Die Willy- Brandt-Gemeinschaftsschule beteiligt sich an der Gestaltung der kleinen Gedenkfeier. Die weiteren Verlegungen finden in der Innenstadt statt, wobei es einen Schwerpunkt in der St. Annen-Straße gibt: Vor der Synagoge und dem früheren Altersheim der Jüdischen Gemeinde sowie drei weiteren Häusern sollen insgesamt zwölf Stolpersteine an jüdische Menschen erinnern, die hier einst ihr Zuhause hatten. In der St. Annen-Straße sprechen der Vorstand der Jüdischen Gemeinde und Bürgermeister Bernd Saxe Grußworte.

Die Steine direkt vor der Synagoge erinnern an die Familie von Iwan Isaac Blumenthal, der hier mit seiner Frau Minna, geborene Wagner, und dem 1925 geborenen Sohn Arno Werner seit 1936 wohnte. Nach dem 9. November 1938 fanden sie im Nachbargebäude Nr. 11 Unterschlupf, wo auch die betagte Mutter Iwan Blumenthals lebte. Henriette Blumenthal, geborene Rosenthal, wurde kurz nach der Deportation ihrer Kinder und des Enkelkindes am 6. Dezember 1941 nach Riga in ein jüdisches Altersheim in Hamburg-Altona transportiert, wo die über Neunzigjährige wenige Tage später verstarb.

Zu den Menschen, die nach Riga deportiert wurden und dort ihr Leben verloren, gehörten auch Martha Hotzner und Sara Opler, die im Altersheim in der St. Annen-Straße 11 lebten. Zum Zeitpunkt der Deportation 1941 waren sie 56 bzw. 69 Jahre alt. Von der in New York lebenden Enkelin erhielt Heidemarie Kugler-Weiemann den Abschiedsbrief Sara Oplers vom 29. November 1941 an ihre Kinder, denen die Flucht in die USA gelungen war. Dieses Dokument soll während der Verlegung des Gedenksteins verlesen werden. Sara Opler war 1932 in die St. Annen-Straße 11 gezogen, Martha Hotzner bereits 1930 zu ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter Johanna Hotzner, geborene Frankenthal.

Viele lange Jahre hatte die alleinstehende Emilie Isabella Haas ihr Zuhause im Altersheim der jüdischen Gemeinde. Im Alter von 87 Jahren wurde sie am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 27. Oktober 1942 starb.

So erging es auch der ebenfalls hoch betagten Recha Saalfeld, geborene Levy. Als Letzte der seit langem in Lübeck ansässigen Familie Saalfeld wurde sie im Alter von 88 Jahren aus der Stadt vertrieben. Sie starb am 10. September 1942 im Ghetto Theresienstadt. Frieda Bär, geborene Kronenberg, wohnte in der St. Annen-Straße 20 in einer Wohnung im ersten Stock. Ihr Mann, der Papiergroßhändler Selig Semmy Bär, starb im April 1942. Wenige Monate später, am 19. Juli 1942, wurde Frieda Bär nach Theresienstadt gebracht. Am 29. Januar 1943 wurde sie weiter deportiert nach Auschwitz und dort im Alter von 51 Jahren ermordet.

Das Haus St. Annen-Straße 12 war das Zuhause der Familie Emmering. Der Viehhändler Benjamin Emmering war Holländer und verheiratet mit der aus Moisling stammenden Sara Goge. Ihre drei Kinder Aron Adolf, Elena und Eva wuchsen hier in Lübeck auf. 1932 starb Benjamin Emmering. Nach Beginn der Naziherrschaft flüchteten die Kinder ins vermeintlich sichere Holland, und im Jahre 1936 wurde auch die Lübeckerin Sara Emmering, geborene Goge, nach Holland abgeschoben. Vom Sammellager Westerbork wurde sie wie bereits zuvor ihre beiden Töchter nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihr Sohn wurde mit seiner Frau Franziska und der zwölfjährigen, in Lübeck geborenen Tochter Ingrid nach Sobibor deportiert und dort umgebracht.

In der St. Annen-Straße 7 wohnte seit 1919 die Witwe Jette Sussmann, geborene Lüht, mit ihrer Tochter Franziska (Jahrgang 1884). Nach dem Tod der Mutter im März 1936 wurde Franziska Sussmann Patientin in der Heilanstalt Strecknitz. Von dort wurde sie am 20. April 1940 nach Hamburg-Langenhorn verlegt und am 23.9.1940 in die Landesanstalt Brandenburg transportiert, wo sie am Tage der Ankunft in einer Gaskammer ermordet wurde.

In der Fischergrube 22 lebte der Möbelhändler Bruno Katz mit seiner Frau Caroline, geborene Cohn. Ihre Kinder konnten aus Deutschland flüchten, doch das Ehepaar wurde am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert und kam dort ums Leben, ebenso wie Emma Katz, die Schwester bzw. Schwägerin. Sie wohnte mit ihren Kindern in der Braunstraße 6. Ihr jüngster Sohn Josef Katz schloss sich dem Transport nach Riga an, um seine Mutter nicht allein zu lassen. Er überlebte. Emma Katz verlor ihr Leben am 21. Januar 1942 im Lager Jungfernhof.

Vor dem Haus Fleischhauerstraße 1 sollen drei Gedenksteine an die Familie Levi erinnern, die 1938 Zuflucht in Lübeck suchte und ebenfalls am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert wurde. Emanuel Levi (Jahrgang 1864) war Lehrer von Beruf und hatte lange Jahre mit seiner Frau Jettchen, geborene Birkenruth in der kleinen Gemeinde Willmars in der Rhön gelebt und später in Burgpreppach, wo er eines Ritualmords bezichtigt wurde. Das Ehepaar hatte vier Kinder: die Tochter Frieda (Jahrgang 1907) wurde wie ihre Eltern in Riga ermordet, den beiden Söhnen Simon und Hugo Levi gelang mit ihren Ehefrauen die Flucht ins Ausland, aber auch die Tochter Betty wurde mit ihrem Mann Siegfried Frank von Hamburg aus 1942 nach Theresienstadt und später nach Auschwitz deportiert, wo sie im Oktober 1944 ermordet wurden.

In der Marlesgrube 22 lebte Franz Neitzke, ein aktives Mitglied im kommunistischen Arbeiterwiderstand am Lübecker Hafen. Er war seit 1920 als Parteifunktionär politisch aktiv in der KPD und im Roten Frontkämpferbund. 1935 wurde er verhaftet und am 1. 8. 1943 in Sachsenhausen ermordet. Zu der Verlegung des kleinen Gedenksteins werden mehrere Angehörige nach Lübeck anreisen. Vor allem für seinen 1935 geborenen Sohn wird es ein besonders bewegendes Ereignis sein, da er seinen Vater nie kennen lernen durfte.

Mit dem 21. April 2010 zieht die Initiative eine Bilanz ihrer Arbeit. Das erste Ziel, das sich die Initiative gesetzt hatte, war es, für alle deportierten und ermordeten jüdischen Kinder und Jugendlichen aus Lübeck und ihre Familien Gedenksteine verlegen zu lassen. Dies wird mit den Steinen für die Familie Blumenthal vor der Synagoge erreicht sein. Dagegen fehlen noch etliche der nach Riga deportierten, sowie weiterer jüdischer Menschen. Insgesamt erinnern 94 der 101 Stolpersteine an jüdische Opfer.

Für alle Opfer aus dem Kreis der Zeugen Jehovas konnten bereits im vergangenen Jahr Stolpersteine verlegt werden. Mit dem Gedenken an Menschen aus Lübeck, die aufgrund ihrer politischen Gesinnung verfolgt und ermordet, und an all diejenigen, die dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten zum Opfer fielen, steht die Initiative dagegen erst ganz am Anfang. Die Vertretung der Roma und Sinti in Schleswig-Holstein möchte nicht, dass an ihre Angehörigen mit Stolpersteinen erinnert wird. Diesen Wunsch wird die Initiative selbstverständlich respektieren und zu einem späteren Zeitpunkt über eine andere Form des Erinnern nachdenken.

Die Initiative dankt allen Bürgerinnen und Bürgern sowie den Organisationen, die mit ihren Spenden die Verlegungen ermöglicht haben, und mit ihrem Interesse und ihrer Anteilnahme die aktive Arbeit unterstützen.