Bilanz: Was die Abgeordneten der Piraten im Europaparlament erreicht haben
Im Jahr 2009 zog mit dem Schweden Christian Engström der erste Abgeordnete der PIRATEN in das Europäische Parlament ein, nachdem die schwedische Piratenpartei bei der Europawahl 7,1 Prozent der Wählerstimmen gewann. 2011 folgte ihm Amelia Andersdotter als zweite Abgeordnete ins Parlament, nachdem mit dem Vertrag von Lissabon die Anzahl der Sitze im Parlament erhöht wurde. Heute, fünf Jahre später und kurz vor der nächsten Wahl, ziehen sie Bilanz [1] [2].»Wir sind sehr stolz auf das, was wir in Brüssel erreicht haben. Und das mit nur zwei von ungefähr 750 Sitzen im Europäischen Parlament«, so Christian Engström.
Die vier wichtigsten Erfolge der Piraten im Europa-Parlament
Als die vier wichtigsten Erfolge nennen die Abgeordneten den Stopp des hoch umstrittenen Handelsabkommens ACTA, die Verhinderung des „Three Strikes“-Modells zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, die Übernahme der Filesharing-Positionen der PIRATEN durch die Grünen/EFA-Fraktion sowie die Sicherung der Netzneutralität in Europa.
ACTA gestoppt
Aufgrund der wirksamen Arbeit im Parlament und mit Hilfe breiter außerparlamentarischer Proteste – in Polen, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern – lehnte das EU-Parlament ACTA 2012 ab. ACTA war ein Handelsabkommen, das unter anderem die Internetfreiheit eingeschränkt hätte, dem Zoll erlauben sollte Festplatten, Mobiltelefone und Memorysticks zu durchsuchen, und der Urheberrechtsindustrie mehr Rechte für ihren Kreuzzug gegen Filesharer eingeräumen wollte.
„Three Strikes“ verhindert
Mit dem sogenannten Telekom-Paket wurde vom EU-Parlament beschlossen, jedem zuerst ein reales Gerichtsverfahren zu geben, bevor eine Trennung vom Internet durchgesetzt wird. Diese Änderung setzte Christian Engström in den Verhandlungen über den Vertrag durch. Dadurch wurde das Three-Strikes-Modell, in Frankreich auch als Hadopi bekannt, vollkommen wirkungslos. Hadopi versandte zuvor Millionen von Warnbriefen, aber schaffte es nur, einen einzigen Filesharer vom Internet zu trennen, und das für kaum zwei Wochen. Momentan wird über die Abschaffung von Hadopi in Frankreich beraten.
Die Grünen/EFA-Fraktion übernahm die Politik der Piraten zu Filesharing Im Oktober 2011 hat sich die Grünen/EFA-Fraktion, der sich die beiden EU-Abgeordneten angeschlossen haben, dazu entschieden, die Politik der schwedischen PIRATEN-Abgeordneten zum Filesharing zu übernehmen.
Netzneutralität gesichert
Die PIRATEN-Abgeordneten Engström und Andersdotter haben aktiv für eine Wahrung der Netzneutralität und gegen die Entwürfe zur Einführung von „Specialized Services“ gearbeitet. Die „Specialized Services“ hätten eine Überholspur in das Internet eingezogen – und das auf Kosten der restlichen Bandbreite. In der Abstimmung des EU-Parlaments im April diesen Jahres haben die EU-Abgeordneten der Linken, der Grünen, der Piraten und der Liberalen gemeinsam Änderungen an jenem Entwurf durchsetzen können, die Internetanbieter daran hindern, das freie und offene Internet in ein Zwei-Klassen-Internet umzuwandeln.
Weitere Themen
Abgesehen von diesen vier Haupt-Erfolgen konnten die PIRATEN-Abgeordneten Engström und Andersdotter auch im Kleinen wichtige Ziele erreichen. Im Überblick:
Informationelle Selbstbestimmung: Die Abgeordneten haben das Recht der Menschen verteidigt, über ihre eigenen Daten selbst zu entscheiden. Diese Arbeit muss in der kommenden Legislaturperiode mit der Verabschiedung einer EU-Datenschutzverordnung abgeschlossen werden.
Urheberrechtsreform: Engström und Andersdotter haben das Buch „The Case for Copyright Reform“ geschrieben und an alle EU-Abgeordneten verteilt. Alle schwedischen EU-Abgeordneten erhielten zudem eine in das Schwedische übersetzte Version.
Barriere Literatur: Die beiden Abgeordneten haben auf das Recht für Blinde und Sehbeeinträchtigte hingearbeitet, einen besseren Zugang zu Literatur zu erhalten. Es gibt bereits ein entsprechendes Zugeständnis im Urheberrecht, welches das Umwandeln von Büchern in zugänglichere Formate – wie etwa Braille – erlaubt, allerdings ist dieses auf einzelne Länder beschränkt. Das EU-Parlament hat jetzt diesbezüglich seine Unterstützung für ein verbindliches, internationales Abkommen unter Schirmherrschaft der WIPO sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.
„Verwaiste Werke“: Die beiden Abgeordneten haben einen besseren Zugang zu sogenannten „verwaisten Werken“ ermöglicht. Das sind geistige Werke, deren Urheber nicht bekannt sind und die folglich kaum legal genutzt werden dürfen. Sie drohen daher, der Vergänglichkeit zum Opfer zu fallen. Im September 2012 nahm das EU-Parlament eine Verordnung an, die die Digitalisierung von verwaisten Werken vorrantreibt – allerdings immer noch verbunden mit einer Kompensationsregelung für den Fall, dass der originale Urheber eventuell gefunden wird.
Festplattenabgabe: Engström und Andersdotter haben gegen eine Festplattenabgabe bzw. Urheberrechtsabgabe gearbeitet und dabei Unterstützung von einigen anderen EU-Abgeordneten erhalten. Die Urheberrechtsabgabe sieht vor, dass auf alle Geräte wie zum Beispiel Smartphones, Festplatten und USB-Sticks eine Abgabe erhoben wird, da diese Geräte zum Kopieren urheberrechtlich geschützter Werke genutzt werden könnten. Dadurch könnte, so die Argumentation der Befürworter der Abgabe, ein Schaden entstehen, der kompensiert werden muss.
Verwertungsgesellschaften: Die beiden Abgeordneten haben die Transparenz von Verwertungsgesellschaften in Europa wie zum Beispiel der GEMA, STIM oder SGAE verbessert, indem sie erfolgreich auf die Annahme der Verwertungsgesellschaftsverordnung hingearbeitet haben. Auf diese Entscheidung ist auch der Umstand zurückzuführen, dass die GEMA ihren Urhebern jetzt nach jahrelanger Blockade auf einmal doch erlaubt, Werke unter CC-Lizenz oder anderen freien Lizenzen zu veröffentlichen. Sie ist dazu jetzt nämlich gezwungen.
Markenrecht: Die Abgeordneten haben eine Ausnahme im Markenrecht erwirkt, sodass es Markeninhabern nicht mehr möglich ist, die Nutzung der Marke für künstlerische Werke, Sozialkritik, Produktvergleiche und Produktberichte zu untersagen.
SWIFT-Abkommen: Die Abgeordneten haben erfolgreich auf die vorläufige Aussetzung des SWIFT-Abkommens (Terrorist Financing Tracking Program) hingewirkt. SWIFT soll von den USA benutzt werden, um Zugang zu sämtlichen Transaktionen von Banken in Europa zu erhalten. Allerdings haben die USA mehr Daten als vereinbart gesammelt.
Kreditkartensperrungen: Die Abgeordneten haben das EU-Parlament davon überzeugt, die Art und Weise scharf zu verurteilen, wie die Kreditkarteninstitute Visa, MasterCard und PayPal ihre Macht mithilfe von Kontosperrungen missbraucht haben. Das EU-Parlament ist der Überzeugung, dass es im öffentlichen Interesse ist, objektive Regeln festzusetzen, die definieren, unter welchen Umständen und Prozessen Kartenzahlungsprogramme eventuell einseitig die Akzeptanz verweigern können.
Roaming: Die Abgeordneten haben geholfen, eine Preisdeckelung für Roaming-Gebühren bei mobilem Telefonieren auf Durchreisen einzuführen. Unglücklicherweise sind diese jedoch mit ungefähr dem 20-fachen Preis für Inland-Datenverkehr noch immer extrem hoch.
EU-Datenschutzverordnung: Engström und Andersdotter haben an der EU-Datenschutzverordnung mitgearbeitet und dabei das Ziel verfolgt, einen europaweit lückenlosen, starken Datenschutz durchzusetzen. Die Lobbyarbeit der „Big Data“-Unternehmen ist sehr stark und zielt immer wieder auf eine Verwässerung des Datenschutzes in der EU ab.
Tabak: Die Abgeordneten haben sich für mehr Freiheiten bei der Tabak-Verordnung eingesetzt. Diese drohte, das Recht auf „Snus“ (Schnupftabak, der momentan nur in Schweden legal ist), E-Zigaretten und “Vapes“ einzuschränken.
Korruption: Die Abgeordneten haben Korruption bekämpft, insbesondere im sogenannten #Dalligate-Tabak-Fall. Hier sind Bestechungsgelder geflossen, um die Gesetzgebung zu manipulieren.
TTIP: Die Abgeordneten haben aktiv gegen das Freihandelsabkommen TTIP gearbeitet und dabei das Ziel verfolgt, bei den Verhandlungen so viel Transparenz wie möglich durchzusetzen.
Telekom-Monopole und Breitbandausbau: Sie haben gegen die Monopolstellung großer Telekommunikationsunternehmen gearbeitet und darauf gedrängt, dass die EU schnellstmöglich in den Breitbandausbau in Europa investiert.
Open Access in der Forschung: Engström und Andersdotter haben dazu beigetragen, dass sich im EU-Parlament die Grundhaltung entwickelt hat, jedem das Recht auf Zugang zu Forschungsergebnissen zu geben und mehr Klarheit und Nachvollziehbarkeit bei Patenten für die Forschung zu schaffen.
„Digitaler Frieden“: Die beiden Abgeordneten haben auf eine Strategie gedrängt, die den „digitalen Frieden“ einschließt. Diese Position hat die EU nun als Teil ihrer Außenpolitik übernommen.
Urheberrechtskonsultation: Sie haben dazu beigetragen, die Urheberrechtskonsultation demokratischer und zugänglicher für die Zivilgesellschaft zu machen, so dass nicht nur Industrie-Lobbyisten an dieser Umfrage mitmachen. Das hat zu einer Rekordbeteiligung geführt: Normalerweise machen bei einer Umfrage dieser Art durchschnittlich nur 300 Akteure mit, obwohl sie die Grundlage für die zukünftigen Schritte der EU-Kommission auf einem gewissen Themenfeld darstellt. Bei der Urheberrechtskonsultation haben sich hingegen 11.117 Akteure beteiligt. Auch qualitativ, also was die Art der Akteure betrifft, war die Beteiligung viel breiter als sonst. [1]
Transparenz des Parlaments: Sie haben die Nachvollziehbarkeit der Arbeit des EU-Parlaments erhöht. In der Video-Blog-Reihe „exile6e“ haben sie gezeigt, wie ein Abgeordneter der Piraten im EU-Parlament arbeitet.
Die PIRATEN treten in 16 Ländern zur Europawahl 2014 an. [4]