Kultur & Wissenschaft

Dr. phil. Peter Guttkuhn: „202 Jahre lübeckisches Dorf und Gut Moisling“ – Teil 2

Dr.-Guttkuhn
Heute setzen wir in hier-luebeck die Vorstellung der Publikationen des in Lübeck arbeitenden Privatgelehrten und Historikers Dr. Peter Guttkuhn in der Reihe „Sonntags-Beiträge“ mit dem 2. Teil des begonnenen „Drei-Teilers“ fort.

Foto (RB): Dr. Peter Guttkuhn
202 Jahre lübeckisches Dorf und Gut Moisling
2. Teil

Es war der herzoglich-gottorfische Regierungspräsident, der spätere königlich-dänische Geheime Rat Prof. Dr. Magnus von Wedderkop (1637-1721), der das Gut Moisling 1702 von den Erben Gottschalk v. Wickedes für seinen noch unmündigen Sohn Gottfried erwarb. Nach einem turbulenten Lebensabschnitt übereignete der bei seinen Untergehörigen beliebte Jurist und Staatsmann Wedderkop 1717 Gut Moisling seiner Frau Elisabeth, die es ihrerseits vier Jahre später ihrem Sohn Gottfried von Wedderkop (1689-1741) vererbte.

In den Herzogtümern Holstein und Schleswig begann nach dem Ende des zweiten Nordischen Krieges (1721) eine mehr als 50-jährige Periode der äußeren Ruhe und des ökonomischen Aufschwungs. Gottfried v. Wedderkop, königlich-dänischer Landrat – d. h. Mitglied der Holsteinischen Landesregierung zu Glückstadt – und außerordentlicher Gesandter in Paris, erhielt von König Friedrich IV. (1699-1730) die Erlaubnis, 1727 in Moisling eine Synagoge zu bauen, um die Einkünfte seines Gutes auch weiterhin steigern zu können. Doch als der Gutsherr am 25. Januar 1741 starb, stellte sich heraus, dass er völlig überschuldet war. Zum 1. Mai 1743 kaufte der königlich-dänische Conferenzrat – Titel für alle Mitglieder der 1. Klasse der Rangordnung im Königreich Dänemark – Joachim von Brocktorff, Ritter auf Bekhof, Bekmünde, Campen, Noer, Wensin, Sierhagen usw., Gut Moisling. Der Gutsherr war Ehrenmitglied der Gesellschaft für Wissenschaft und Ritter des Ordens de l Union Parfaite.

Gut Moisling wird lübeckisches Privateigentum (1762)
bei königlich-dänischer Territorialoberhoheit

In der zweiten Hälfte des Jahres 1761 erfuhr der Rat, daß von Brocktorff die Absicht habe, Gut Moisling zu verkaufen. Joachim von Brocktorff, bedeutender Bauherr – von ihm stammt z. B. das heutige königliche Palais von Amalienborg in Kopenhagen – und Förderer von Künsten und Wissenschaften, war in seiner Ehe kinderlos geblieben, er verstarb 1763. Für Lübecks Rat und Bürgerschaft reifte mit dessen Verkaufsabsicht die größte Chance seit dem Traventhaler Frieden von 1700, sich des Gutes zu bemächtigen, besonders auch um die dort wohnenden holsteinischen Dorfjuden kontrollieren und von der Stadt fernhalten zu können. Als Käuferin direkt aufzutreten, das verbot sich u. a. deshalb, weil die Reichsstadt dadurch in ein Vasallenverhältnis zum dänischen König geraten wäre. Aus diesem Grund vollzogen sich die Verhandlungen unter nahezu konspirativen Begleitumständen. Im Rathaus beschloß man in geheimer Sitzung, vier Lübecker Bürger als private Käufer vorzutäuschen: die Ratsherren Joachim Peters (1712-1788) und Dr. jur. Johann Friedrich Schaevius (1715-1766) für den Rat, die Kaufleute Franz Hinrich Zerran, einen Ältermann der Schonenfahrer-Kompanie, sowie Johann Christoph Weigel (1704-1777) für die Bürgerschaft, d. h. die zwölf Kollegien von Verfassungsrang. Die Stadtkasse bezahlte den Kaufpreis.

Am 1. Mai 1762 gingen Gut und Dorf Moisling nebst der Mühle und allem lebenden und toten Inventar auf „die 4 Herren lübeckischen Senatoren resp. Kaufleute“ über. Diese erlangten bereits ein Jahr später von König Friedrich V. (1746-1766) eine Konfirmation ihrer Privilegien, Begnadigungen und Konzessionen auf das Gut. In der Öffentlichkeit – und besonders vor den dänischen Regierungsbehörden – stellte sich von Anfang an der reiche Joachim Peters, der 1773 zum Bürgermeister aufrückte, als Eigentümer Moislings dar. Zum hochadligen Gut, das unter den republikanischen Bürgern wie „ein Herrenhof mit ganzer Selbstherrlichkeit“ geführt wurde, gehörten 1762 89 Häuser, darunter vier leer stehende, reparaturbedürftige, und die Synagoge; 46 evangelisch-lutherische und 38 jüdische Familien zählten zu den mit erworbenen Untertanen.

Mit der Ablieferung des Gutes an die Lübecker wurde auch ein Jahrhunderte alter Konflikt zwischen Moisling / Dänemark und Lübeck wegen eines streitigen Gebiets – überwiegend Wiesenflächen – beigelegt und in die Verkaufsurkunde vom 13. Januar 1763 aufgenommen. Die Beschreibung des betr. Landstrichs verwendet zahlreiche alte Flurnamen: „Ein Stück Heideland, welches seinen Grenzen und Scheiden nach jenseits der Trave dem Gute Moisling zur linken Hand des Steindamms längs dem Zaun zwischen den Plügger Wiesen und der so genannten Moislinger Heide nahe bei der Lübecker Heide, Hohesteig vorbei, da der Wasserlauf in die Trave fällt, von da an quer über den Oldesloer Landweg längs dem Fußsteig, welcher von unten herauf von der Ziegelei kommt und bei dem Graswege lang zwischen der Moislinger und Lübecker Heide bis an den Teich bei der bunten Kuh gehet, auch von diesem Teiche an ein kleiner Wasserlauf bis an den Graben hinter dem Hofe zur bunten Kuh und dieser Graben fernerweit, so wie solcher längs den Koppeln, welche zur bunten Kuh gehören, durch Budel-Mohrs-Damm bis an den Damm bei der alten Kupfermühle sich erstrecket, die weitere Scheide macht und von da ab längs dem Gartenzaun in den so genannten runden Busch, und so weiter längs dem Graben und Zaun, welcher zwischen der Moislinger Heide und den Knochenhauer-Wiesen bis nach der großen Fähre hinuntergeht und belegen ist“.

Erstmals in der Geschichte des Gutes bestand der Grund seines Erwerbs nicht in finanziellen bzw. wirtschaftlichen Erwägungen, sondern vorrangig aus ideologischen, d. h. antijüdischen und innenpolitischen Motiven. Die neuen Moislinger Gutsherren bemühten sich fortan mit bemerkenswerter Ausdauer und endlichem Erfolg um einen Territorialanschluß an Lübeck. Der Rat beauftragte seinen Kopenhagener Agenten Hinrich Carl Meinig, am dänischen Hofe Geheimverhandlungen mit dieser Zielrichtung zu führen. Meinig war eng befreundet mit dem Lübecker Ratsherrn Hermann Diedrich Krohn (1734-1805), seit 1786 Bürgermeister. Über Krohn liefen alle Berichte aus Kopenhagen in Sachen Moisling, und zwar stets chiffriert.

Nach dem Tod des Bürgermeisters Joachim Peters (1788) übernahm sein verwitweter Schwiegersohn, der Kaufmann, Senator (1789) und spätere (fünfte, außerplanmäßige) Bürgermeister (1806) Matthäus Rodde (1754-1825) als alleiniger Eigentümer die Verwaltung von Gut Moisling. Er galt als der reichste Mann Lübecks, war seit 1791 verheiratet mit Dorothea Schlözer (1770-1825), Deutschlands erstem weiblichen Doktor der Philosophie, und stieg 1803 zum Reichsfreiherrn auf. Gleichzeitig vollzog sich der kontinuierliche wirtschaftliche Niedergang des Gutes Moisling.

Dr. Peter Guttkuhn

hier-Luebeck bedankt sich bei Dr. Peter Guttkuhn für die freundliche Bereitstellung auch dieses Beitrages.

Dr. Peter Guttkuhn:
Der Wissenschaftler forscht seit Jahren zur deutsch-jüdischen Geschichte der Hansestadt. Auf nationaler und internationaler Ebene hat er nahezu 190 Titel zu diesem Forschungsgebiet publiziert. Seine Vorträge im In- und Ausland sind sehr gefragt und tragen in erheblichem Maß zur Aufarbeitung der Geschehnisse in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland bei.