Dr. phil. Peter Guttkuhn: „Die drei Lübecker Geschwister Grünfeldt“
Im April dieses Jahres wurden vor einem Haus in der Charlottenstraße Straße „Stolpersteine“ verlegt, verankerte Messingplatten, auf denen Namen, Lebensdaten und das Schicksal deportierter und ermordeter Opfer des Naziregimes mit Schlagbuchstaben eingeprägt sind. Heute berichtet Dr. Peter Guttkuhn in der hier-luebeck – Reihe „Sonntags-Beiträge“ über das Schicksal drei davon betroffener Frauen aus diesem Haus.
Foto: Dr. Peter Guttkuhn
Die drei Lübecker Geschwister Grünfeldt
Nachdem die verwitwete Pauline Grünfeldt mit ihren Kindern im Frühsommer 1893 von Wismar nach Lübeck gezogen war, schloss sie sich der „Israelitischen Gemeinde zu Lübeck“ an. Während die Mutter bis zu ihrem Tod im Jahre 1915 der jüdischen Gemeinde angehörte, lösten sich ihre Kinder vom jüdischen Glauben. Emma, geboren 1880, ließ sich wahrscheinlich 1897 ev.-luth. taufen, ihre ältere Schwester Minna folgte 1900. Clara Grünfeldt trat aus der jüdischen Gemeinde aus, blieb aber konfessionslos.
Der Wechsel zur evangelisch-lutherischen Kirche eröffnete Emma Grünfeldt auch beruflich neue Perspektiven. Sie wollte Lehrerin werden, in Lübeck wurden aber nur Angehörige des lutherischen Bekenntnisses in den staatlichen Schuldienst aufgenommen. Jüdinnen war eine Einstellung an staatlichen Volksschulen grundsätzlich verwehrt, da sie keinen evangelischen Religionsunterricht erteilen durften. 1912 erhielt Emma Grünfeldt eine Anstellung als beamtete Volksschullehrerin auf Lebenszeit. Daß sie, die praktizierende Christin, als Jüdin geboren worden war, das wußte in der Freien und Hansestadt Lübeck so gut wie niemand – war es doch auch ohne Interesse und Belang.
Dies änderte sich mit der Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten. Einer Entlassung aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 konnte sie mit dem Hinweis, dass sie bereits vor 1914 in ein Beamtenverhältnis eingetreten sei, verhindern. Ende August 1935 wurde Emma Grünfeldt jedoch auf Initiative des Amtsleiters der Lübecker Kultusverwaltung, Regierungsdirektor Dr. Wolff (NSDAP), mit sofortiger Wirkung beurlaubt. Eine gesetzliche Grundlage lag zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht vor. Zum 01. Januar 1936 – inzwischen waren die „Nürnberger Gesetze“ in Kraft getreten – wurde sie in den dauernden Ruhestand versetzt.
Der berufliche und gesellschaftliche Abstieg, die Verschlechterung der sozialen Lage und die Diskriminierung durch fortlaufende administrative Maßnahmen führten zu einer zunehmenden privaten Isolation ohne Perspektive. Auch die bislang schweigende Kirchengemeinde gewährte Emma und Minna in ihrer seelischen Not weder Zuspruch noch Trost. Im Gegenteil: Der Pastor der Domgemeinde Adolf Riege, der seit Januar 1936 in Lübeck amtierte und dessen Seelsorgebezirk die beiden Frauen angehörten, war Mitglied des besonders radikalen Flügels der Nationalkirchlichen Deutschen Christen (NDC), ein ausgewiesener Antisemit. Er betätigte sich als Mitarbeiter des 1939 gegründeten „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ und war an führender Stelle bei der Herausgabe des „entjudeten“ Gesangbuches „Großer Gott wir loben dich“ beteiligt.
Am 23. Februar 1939 erließ die deutschchristliche Kirchenleitung unter Führung des NS-Bischofs Erwin Balzer das „Gesetz über die kirchliche Stellung evangelischer Juden“, in dem es heißt: „Juden können nicht Glieder der evangelisch-lutherischen Kirche in Lübeck werden“. Kein Pastor sei ihnen gegenüber, „die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Glieder der evangelisch-lutherischen Kirche in Lübeck geworden sind“, zu Amtshandlungen verpflichtet; kirchliche Räume und Einrichtungen dürften nicht benutzt werden. Damit waren die letzten Hoffnungen und Illusionen, Beistand und Hilfe von ihrer Kirche zu bekommen, auch für Emma und Minna Grünfeldt hinfällig geworden.
Ende 1941 wurde mit dem „Gesetz über den Ausschluß rassejüdischer Christen aus der Kirche“ die letzte formale Bande gelöst, keine drei Wochen, nachdem über 90 Lübecker und Lübeckerinnen – unter ihnen die drei Grünfeldt-Schwestern – nach Riga deportiert worden waren. Spätestens im März 1942 wurden sie im Konzentrationslager Jungfernhof ermordet.
Die erste amtliche Reaktion nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fiel nüchtern aus. In die drei Einwohner-Karteikarten „Grünfeldt“ des Lübecker Ordnungsamtes wurde eingetragen „Nach unbekannt von Amts wegen abgemeldet. Evakuiert. Am 6. Dezember 1941“.
Dr. Peter Guttkuhn
hier-Luebeck bedankt sich bei Dr. Peter Guttkuhn für die freundliche Bereitstellung auch dieses Beitrages.
Dr. Peter Guttkuhn:
Der Wissenschaftler forscht seit Jahren zur deutsch-jüdischen Geschichte der Hansestadt. Auf nationaler und internationaler Ebene hat er nahezu 190 Titel zu diesem Forschungsgebiet publiziert. Seine Vorträge im In- und Ausland sind sehr gefragt und tragen in erheblichem Maß zur Aufarbeitung der Geschehnisse in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland bei.