Gegen Kohle: Sind Sie weiter dabei?
Viel Kohleausstieg hat es nicht zu bieten: Das gerade verabschiedete Kohlegesetz ist schwach. Trotzdem hatten wir nie bessere Chancen auf ein schnelles Aus für die Kohlemeiler – wenn wir diese jetzt gemeinsam richtig nutzen. Lesen Sie, was Ihnen Campact-Vorstand Christoph Bautz schreibt. auf dem Gesetz steht Kohleausstieg – aber es ist viel zu wenig drin. Was die Abgeordneten von CDU/CSU und SPD letzten Freitag im Bundestag beschlossen haben, ist gleich aus mehreren Gründen völlig aus der Zeit gefallen:Bis 2038 sollen Kohlemeiler bei uns weiterlaufen [1] – viel zu spät, um die Erderhitzung unter der kritischen 1,5-Grad-Schwelle zu halten. Wann andere EU-Länder aussteigen? Frankreich: 2021. Italien und Spanien: 2025. Die Niederlande: 2030. Später als Deutschland sind nur Polen und Tschechien dran.[2] Das Ausstiegsdatum hat die Kohle-Kommission zu verantworten. Aber die Regierung macht es noch schlimmer und schaltet in den nächsten Jahren kaum Anlagen ab.[3] Dabei ist klar: Wir könnten jetzt die Hälfte der Kohlemeiler vom Netz nehmen und bis 2030 komplett aus der Kohle aussteigen.[4]
- Verzockt: Die Kohle-Konzerne bekommen fette Entschädigungszahlungen vom Staat: mehr als vier Milliarden Euro. Wie diese Summe zustande kommt, kann die Bundesregierung selbst nicht erklären.[5] Und gerechtfertigt ist sie nicht: Denn die meisten Anlagen sind am Markt kaum noch etwas wert. Sie fahren Verluste ein. Und sie sind so alt, dass ihre Investitionskosten für die Betreiber längst finanziert sind.[6]
- Verzweifelt: Dörfer im Rheinland sollen weiter für Braunkohle abgebaggert und Menschen zwangsweise umgesiedelt werden.[7] Und auch wenn der Hambacher Wald stehen bleibt: Er droht zu vertrocknen, weil um ihn herum weiter Kohle abgebaut wird.[8]
Ein ziemlich wirkungsloses Kohleausstiegsgesetz – haben wir damit den Kampf um einen Ausstieg vor 2030 verloren? Mitnichten. Denn die Bedingungen, das Ende der Kohle schnell einzuläuten, sind besser denn je. Auf dem Energiemarkt ist es derzeit eng für die Kohle. Sie bekommt immer mehr Konkurrenz durch günstigen Wind- und Sonnenstrom – dank des niedrigen Gaspreises auch durch Gaskraftwerke. Gleichzeitig macht der relativ hohe CO2-Preis den Kohlestrom teurer. Im Ergebnis wurde in der ersten Hälfte dieses Jahres 36 Prozent weniger Strom aus Braun- und 46 Prozent weniger aus Steinkohle erzeugt[9] – schlicht weil der Kohlestrom am Markt zu teuer ist.
Also regelt der Markt den Ausstieg? Nein. Darauf zu vertrauen, wäre fatal. Denn die schlechte Marktlage für Kohle ist nur eine Momentaufnahme. Gas- und CO2-Preis schwanken heftig. Läuft es schlecht, ist die Kohle demnächst wieder konkurrenzfähig.
Genau hier können wir ansetzen: Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass die Bedingungen für Kohle am Markt schlecht bleiben. Dann schaffen wir den Ausstieg spätestens 2030. Und das geht so:Erneuerbare Energien massiv ausbauen: Je mehr Wind- und Solarstrom ins Netz fließen, desto weniger lohnt sich der Betrieb von Kohlemeilern. Denn Erneuerbare Energien genießen einen Vorrang im Netz und drängen den Kohlestrom raus. Um die Kohlemeiler rasch überflüssig zu machen, müssen die Erneuerbaren bis 2030 mindestens 75 Prozent des gesamten Stroms in Deutschland liefern.[10] Eine Herausforderung – schließlich brauchen wir auch immer mehr Strom für Wärme und Mobilität. Das wird nur möglich, wenn die Regierung die Erneuerbaren konsequent fördert.
- Einen CO2-Mindestpreis einführen: Der europäische Emissionshandel, der CO2 einen Preis gibt, wirkt derzeit im Stromsektor. Doch nur mit einer festen Mindesthöhe stellen wir sicher, dass der Preis nicht wieder sinkt. Sondern stufenweise ansteigt. Deutschland muss dieses Instrument gemeinsam mit anderen EU-Ländern einführen. Studien zeigen: Ein Mindestpreis von 40 Euro je Tonne CO2 würde Kohlemeiler so unwirtschaftlich machen, dass sie vom Netz gehen.[11]
- Schadstoffe-Grenzwerte für Kohlekraft verschärfen: Quecksilber, Stickoxide, Feinstaub – die EU hat schon 2017 schärfere Auflagen für Emissionen von Kohlekraftwerken beschlossen. Doch die Regierung hat sie bisher nicht in nationales Recht überführt. Ambitionierte Grenzwerte würden vor allem bei der Braunkohle teure Nachrüstungen in Filtertechnik nötig machen.[12] Investitionen, die nicht mehr wirtschaftlich sind – und die Betreiber zur Stilllegung von Kraftwerken zwingen könnten.
Seien wir realistisch: Auf die Große Koalition können wir bei all diesen Forderungen nicht setzen. Aber bereits nächstes Jahr sind Bundestagswahlen. Das ist die Chance für einen Kohleausstieg 2030 – wenn die ganze Klimabewegung ihn lautstark einfordert. Wir müssen den Ausstieg zum Top-Thema im Wahlkampf machen; und dann zum Eckpfeiler in den Koalitionsverhandlungen.
Wer einen Kohleausstieg 2030 in Koalitionsverhandlungen durchsetzen muss? Die Grünen. Denn wer auch immer regieren will: Ohne die Grünen wird kaum eine Regierung zu bilden sein.[13] Entsprechend teuer können sie sich beim Klimaschutz verkaufen. Grünen-Chefin Annalena Baerbock stellte letzten Freitag im Bundestag klar: Ein Ausstieg sei „aus Gründen des Klimaschutzes bis 2030 möglich und nötig“.[14] An diesen Worten werden wir sie messen. Egal, wie hart die Koalitionsverhandlungen werden: Beim 2030-Ziel dürfen die Grünen nicht nachgeben.
Aber auch die anderen Parteien müssen sich bewegen. Die Kohlefreund*innen in CDU/CSU und SPD setzen alles daran, dass der Kohleausstieg 2038 jetzt nicht mehr angefasst wird. Doch immerhin einer hat sich hier schon gerührt. Einer, dem womöglich in einer neuen Regierung eine große Rolle zukommt: Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident (CSU) forderte bereits letztes Jahr eine Beschleunigung des Ausstiegs auf 2030.[15] Den Bremser*innen hingegen müssen wir verdeutlichen: Wer den Klimaschutz nicht ernst nimmt, wird abgewählt.Mit Abgeordneten vor Ort diskutieren, mit Hunderttausenden auf die Straße gehen, friedlich Kohle-Bagger blockieren: Vielfalt ist die Stärke der Klimabewegung. Mit verschiedensten Aktionsformen und breiten Bündnissen haben wir es geschafft, Klimaschutz ganz oben auf die politische Agenda zu setzen. Zur Bundestagswahl 2017 nannten nur neun Prozent Umwelt- und Klimaschutz als wichtigstes Problem.[16] Heute ist Klimaschutz das wichtigste Thema für Wähler*innen – noch vor Corona.[17] Diese Zahlen kennen auch die Abgeordneten. Mit der Wahl 2021 müssen wir einfordern, dass diese Mehrheiten zu echtem Klimaschutz führen. Und dort den Fokus legen, wo am schnellsten am meisten CO2 einzusparen ist: bei der Kohle. Ich hoffe, dass Sie dafür gemeinsam mit uns streiten.Jetzt würden ich gerne von Ihnen wissen, was Sie von unseren Ideen halten. Diskutieren Sie mit oder schauen Sie, was andere Campact-Unterstützer*innen sagen.
[1]„Eine verpasste Chance, die Klimadebatte zu befrieden“, Tagesspiegel, 2. Juli 2020
[2]„Der Wald vertrocknet, die Regierung zündelt“, Spiegel Online, 5. Juli 2020
[3]„Welches Braunkohle-Kraftwerk geht wann vom Netz?“, Börse Online, 17. Januar 2020
[4]„Wesentliche Defizite des geplanten Kohleausstiegsgesetzes KVBG-E“, Scientists for Future, 26. Juni 2020
[5]„Koalition mauert bei Braunkohle-Entschädigung“, Klimareporter, 1. Juli 2020
[6]„Kommt der Kohleausstieg ohne Gesetz schneller?“, Klimareporter, 23. Mai 2020
[7]„Teure Chance fürs Klima“, taz, 24. Juni 2020
[8]„Hambacher Forst: Der Wald ist noch nicht sicher“, Ruhr Nachrichten, 19. Januar 2020
[9]„Stromerzeugung in Deutschland im ersten Halbjahr 2020“, ARD Online, Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE, 1. Juli 2020
[10]„Klimaschutz statt Kohleschmutz: Woran es beim Kohleausstieg hakt und was zu tun ist“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Februar 2020
[11]„Die sichtbare Hand des Klimaschutzes“, WWF, 17. Juli 2019
[12]„Bundesregierung muss EU-Abgasstandards übernehmen und Kohlekraftwerke nachrüsten“, Erneuerbare Energien, 16. August 2019
[13]„42 Prozent der Erstwähler wählen grün“, Welt, 13. Juni 2020
[14]„Bundestag beschließt Kohleausstieg“, Tagesschau Online, 3. Juli 2020
[15]„Söder will Kohleausstieg schon 2030“, Tagesschau Online, 22. Juni 2019
[16]„ARD-DeutschlandTrend: Klimawandel beschäftigt die Deutschen“, Bayerischer Rundfunk, 9 Januar 2020
[17]„ARD-DeutschlandTrend: Klima und Corona am wichtigsten“, Tagesschau Online, 2. Juli 2020
Christoph Bautz, Campact-Vorstand