Das interaktive Online-Magazin seit 1999

Aktuelle Nachrichten, lokale Themen aus Kultur, Wissenschaft, Sport, Politik, Wirtschaft, Rezensionen und Veranstaltungen

Menschlich gesehen

Missbrauch in der Kirche: Aufdeckung hilft Opfern

Psychotherapeuten sehen Chance zur Überwindung von Traumata
Aufdeckung von Missbrauch konfrontiert Opfer mit der Vergangenheit (Foto: aboutpixel.de/Drohlshagen)

Wien (pte/13.04.2010/13:05) – Die Aufdeckung der Fälle sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche sensibilisiert die Gesellschaft für das Thema Missbrauch und kann Opfern helfen, Erlebtes zu verarbeiten und Traumata abzubauen. Das betonen Vertreter des österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie ÖBVP http://www.psychotherapie.at bei einem Pressegespräch in Wien. „Bilder und Szenen werden den Opfern nach Jahrzehnten plötzlich wieder bewusst. Das kann die Verarbeitung erleichtern, jedoch auch erneut traumatisieren, wenn die nötige Unterstützung nicht da ist“, erklärt der Psychotherapeut Winfrid Janisch.

Sexueller Missbrauch von Kindern allgemein ist viel weiter verbreitet als wahrgenommen, betont ÖBVP-Präsidentin Eva Mückstein. „Neun Prozent der Mädchen und dreieinhalb Prozent der Buben sind von mittelschwerem bis schwerem sexuellen Missbrauch betroffen.“ Die Palette dieser Erfahrungen reiche von Belästigung und Beeinträchtigung durch Exhibitionisten, Voyeure und pornographische Darstellungen bis hin zur versuchten oder vollzogenen genitalen, analen oder oralen Vergewaltigung. Dazu würden sich noch die zahlreichen Formen körperlich und emotionaler Misshandlung reihen.Betroffenheit klarmachen kann heilen

Opfer verdrängen diese Erfahrungen meist und bleiben dadurch tief und lange verwundet. „Psychische Störungen sind bei ihnen zwei- bis dreimal so häufig. Jeder Fünfte hat noch als Erwachsener schwere Folgeschäden“, so Mückstein auf pressetext-Anfrage. Die Auswirkungen sind laut Janisch mannigfaltig. „Spricht ein Mensch nicht, so spricht sein Körper, etwa durch Kopfweh, Migräne und Krankheiten im Magen-Darm-Trakt oder durch die Haut.“ Psychische Folgen reichen von Depressionen, Suchtkrankheiten bis hin zu Psychosen. „Manche dissoziieren, das heißt sie driften oft plötzlich wie in einem Blackout ab, was sehr verunsichert“, so Janisch.

Die jetzige Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Kirche sehen die Experten als Chance für die Opfer, die Verdrängung zu lösen. Dies sei möglich, wenn zunächst die eigene Betroffenheit mit dem Thema klar wird. „Es gilt zu klären, was genau passiert ist und was die Vorgänge in den Betroffenen jeweils bewirkt haben. Erst nach diesem Prozess sind öffentliche Aussagen etwa in einem Gerichtsverfahren möglich“, so Janisch weiter. Oft ginge es auch um die eigene Rehabilitation. „Oft haben den Opfer nicht einmal die eigenen Eltern glauben geschenkt, da sie viel Geld für die Erziehung investiert haben.“

Erneute Traumatisierung verhindern

Manfred Deiser, Psychotherapeut und Mitbegründer der „Plattform kirchlicher Gewalt“ sieht aktuell keine Gefahr sexuellen Missbrauchs von Kindern in der katholischen Kirche. „Einzelfälle wird es immer geben, doch ist die ‚Schwarze Pädagogik‘, die in kirchlichen und staatlichen Heimen der 60er- und 70er-Jahre üblich war und den Missbrauch erst ermöglichte, vorbei“, so der Psychotherapeut gegenüber pressetext. Mittlerweile sei hierzulande in der Ortskirche eine andere Generation am Ruder, deren Arbeit die Aufarbeitung der Fälle erst ermögliche. „Dass sich Kirchenobere öffentlich hinstellen und Schuld bekennen, ist neu und wäre früher nicht denkbar gewesen“, so Deiser.

Prävention und Sorge für künftig besseren Umgang sei jedoch nicht genug. „Lässt man die Missbrauchsopfer mit ihren jetzt hochkommenden Emotionen allein, kann es zu einer erneuten Traumatisierung kommen.“ Deiser fordert die Einrichtung eines Opferfonds und ausreichende Beratung. „Es braucht unabhängige und multiprofessionelle Anlaufstellen, die mit Verschwiegenheit dabei helfen zu klären, was weiter gewünscht ist. Das kann je nach Bedürfnis juristische Hilfe, rasche Vermittlung von Psychotherapie oder einfach die Möglichkeit sein, sich zu melden und über Geschehenes zu berichten“, so der Opferschutz-Experte. Ein klares Konzept seitens der Kirche für eine ernstgemeinte Aufarbeitung sei laut Mückstein jedoch noch ausständig.