Northern Coasts 2017: Krieg um Bornholm
Northern Coasts 2017: Krieg um Bornholm · In See, 25.09.2017. Fliegeralarm auf dem Tender „Elbe“! Während des Manöver Northern Coasts 2017 werden Schiff und Besatzung ordentlich gefordert. Mit dabei: Ein Hörsaal Offizieranwärter von der Marineschule Mürwik. Für die angehenden Führungskräfte eine willkommene Gelegenheit, sich Seebeine wachsen zu lassen. In diesem Artikel berichten sie von ihren Erlebnissen während dieser Tage in der Ostsee.Anspannung liegt in der Luft: In voller Montur stehen die Soldaten neben einem Maschinengewehr (Quelle: 2017 Bundeswehr)Größere Abbildung anzeigen
In voller Montur stehen die Soldaten in der Brückennock. Sicher ist sicher. Konzentriert suchen sie den Himmel ab: Wo sind die Flieger? Wo sind sie nur? Seit einer halben Stunde schon halten zwei Flugzeuge die Flotte auf Trapp.
„Da
!“, ruft einer der Soldaten plötzlich und zeigt zum Horizont. „Auf zwo Uhr
“, schreit er. „Richtung ein Uhr
!“
Ein anderer Kamerad nimmt sofort den Blick seines Nebenmannes auf. Auf der Brücke werden die Hälse gereckt. Da sind die Flieger schon hinter einer Insel verschwunden.
„Sobald Sie können, schießen Sie
!“, befiehlt einer der Offiziere. Die Soldaten nicken. Anspannung liegt in der Luft. Jedermanns Aufmerksamkeit ist nun gefragt. Die beiden angreifenden Flieger dürfen bloß nicht aus den Augen verloren werden, wenn sie wieder auftauchen.
Knapp dem Tod entronnen
„Kommen sie auf uns zu
?“, fragt der Schütze hinter dem Maschinengewehr. Er hat da so eine Vorausahnung. „Moment
“, antwortet ihm sein Nebenmann, der als Ausguck fungiert. Angestrengt schaut er durchs Fernglas. Er muss die Augen zusammenkneifen. Doch die Flieger sind einfach zu weit weg, um ihre Flugrichtung zu erkennen.
„Sie drehen
!“, schreit er auf einmal. „Sie fliegen auf uns zu! Von ein Uhr kommend
!“ Jetzt muss alles ganz schnell gehen.
Der Schütze richtet das MG auf die herannahenden Feinde. Für ein Ausweichmanöver des Schiffes ist es jetzt zu spät. Alles hängt vom Schützen ab. Falls er nicht trifft, wäre es das Ende für die sechzig Mann Besatzung.
Das Fadenkreuz liegt an, er hält die Luft an. Und krümmt schließlich den Finger am Abzug. Nichts geschieht. Die Flieger düsen um Tiefflug über den Tender „Elbe“ hinweg. Sie haben längst ein anderes Ziel anvisiert. Der Schütze senkt seine Waffe. Er atmet tief durch. Dieses Mal ist er dem Tod von der Schippe gesprungen. In diesem Artikel berichten sie von ihren Erlebnissen während dieser Tage in der Ostsee.
Aufruhr in der Ostsee
Bei den Fliegern handelt es sich nicht um Militärmaschinen. Sie gehören zu einer Miliz namens „Gröinger Wolves“. Die Gruppe wettert gegen die gewählte Regierung in Vena – und dabei scheint ihr jedes Mittel recht zu sein.
Vena liegt im Norden der Ostsee. Ein weites Land mit zwei Küsten und vielen Inseln. Doch Vena befindet sich im Ausnahmezustand: Politische Unruhen haben das Land destabilisiert. Einige Nachbarländer unterstützen die Aufständischen: Sarka im Süden Venas erhebt beispielsweise Anspruch auf die Insel Bornholm. Eine ethnische Minderheit soll die nötige Legitimation liefern. Das Königreich Jumus, an der gegenüberliegenden Ostseeküste gelegen, wünscht sich hingegen mehr Kontrolle über die Zugänge zur Ostsee, von denen der Seehandel abhängt.
Die Europäische Union musste dem Treiben in und um Vena lange zugesehen haben, bis die Situation schließlich so weit eskalierte, dass man nicht mehr wegsehen konnte. Ausgestattet mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrates wurde eine schlagkräftige Flotte entsandt, um den Konflikt einzudämmen.
Der Tender „Elbe“ ist Teil dieser multinationalen Flotte. Die Schiffe und Boote haben den Auftrag, die Freiheit der Meere zu schützen sowie eine gefahrlose und sichere Schifffahrt zu ermöglichen. Soweit das Szenario.
Größtes Ostsee-Manöver in diesem Jahr
Natürlich existiert keiner dieser Akteure tatsächlich, weder Vena noch Sarka oder Jumus. Auch der Angriff fand nie wirklich statt. Zwar drehen die Flieger tatsächlich ihre Kreise um die Marineschiffe und -boote, doch statt mit echten Waffen „schießen“ alle nur mit relativ ungefährlichen Leuchtsignalen aufeinander.
„Northern Coasts 2017“ nennt sich das Manöver, an dem sich die „Elbe“ zusammen mit anderen Schiffen und Booten der Deutschen Marine beteiligt. Hinzu kommen ausländische Einheiten. Insgesamt sind es rund 50 Marineschiffe und 5.000 Soldaten aus 17 Nationen. Fregatten, Minenjagdboote, Versorger, Seefernaufklärer, Marineinfanteristen, Spezialkräfte und noch viele weitere – sie alle trainieren in der Ostsee die internationale Konfliktverhütung.
Bei den eingespielten Übungslagen geht es vor allem um Entscheidungsfreudigkeit: Was tun, wenn etwas passiert? Daneben müssen allerdings auch allerlei Routineaufgaben bewältigt werden. Wer hierbei an Reinschiff denkt, hat weit gefehlt!
Seezielschießen auf die Killertomate
Eine dieser Routineaufgaben ist das sogenannte Seezielschießen. Jeder schwimmende Teilnehmer des Manövers – egal ob Fregatte oder Tender wie die „Elbe“ – muss in der Lage sein, sich gegen asymmetrische Gefahren zu verteidigen. Das können etwa feindliche Speedboote sein, von denen Milizen aus schießen oder Piraten, die Schiffe entern wollen.
Das Seezielschießen dient dazu, die Fähigkeit zur Selbstverteidigung aufrechtzuerhalten. Dazu wird zunächst ein roter Ballon, kaum größer als ein Medizinball, zu Wasser gelassen. „Killertomate“ nennen Marinesoldaten das Objekt gerne. Auf dieses Ziel soll nun geschossen werden.
Wie eine stählerne Entenfamilie reihen sich die Marineschiffe und –boote auf dem Meer hintereinander. Nacheinander sollen sie den Ballon passieren und versuchen, ihn zu treffen. Irgendwann ist schließlich die „Elbe“ dran.
Die Maschinengewehre an Bord rattern, die Mündungsfeuer blitzen hell auf, die Geschosse zerwühlen das Wasser. Doch der Ballon lässt sich davon nicht unterkriegen. Trotz zahlreicher Treffer bleibt er standhaft und treibt weiter auf dem Meer.
Zwei Durchläufe gibt es, dann wird das Ziel wieder eingeholt. Alle haben sich gut geschlagen, die Führung ist zufrieden.
Das logistische Rückgrat
Weniger spektakulär, aber ebenso wichtig, ist die Versorgung der teilnehmenden Marineschiffe und –boote. Die „Elbe“ ist dabei für die kleineren Minenjagdboote zuständig. Mit seinen großen Tanks eignet sich der Tender hervorragend, um die Durchhaltefähigkeit der Boote in See zu verlängern. Dabei kommt es vor allem auf die Versorgung mit Kraftstoff und Proviant an.
Kommt ein Boot zur Versorgung längsseits der „Elbe“, muss alles ganz schnell gehen: Fender werden zunächst ausgebracht, gummiartige Bälle. Sie sollen verhindern, dass sich die Schiffsrümpfe direkt berühren. Dann werden Leinen übergeworfen, festgemacht und stramm verzurrt. Nun bilden Tender und Minenjagdboot ein sogenanntes Päckchen.
Bei den erfahrenen Seeleuten sitzt jeder Handgriff. Neulinge müssen sich hingegen an die schweren Fender und Leinen, die viele Tonnen Zugkraft aushalten können, noch gewöhnen. Wenn diese unter Belastung anfangen bedrohlich zu knacken, kommt schnell Unbehagen auf.
Haben die Soldaten das Boot erfolgreich festgemacht, kann die Kraftstoffübergabe beginnen. Je nach gewünschter Menge kann dies einige Stunden dauern – manchmal bis spät in die Nacht. Am nächsten Tag geht es dann weiter: Schießen, navigieren, versorgen. Ein Manöver wie Northern Coasts fordert vollen Einsatz jedes einzelnen Besatzungsmitglieds.