Politik & Wirtschaft

Offener Brief: Stadtentwicklung ohne Wohnungspolitik?

Sehr geehrter Herr Hiersemenzel,

in dem Kiel bezogenen Artikel „So darf sich diese Stadt nicht präsentieren“ (erschienen in den Kieler Nachrichten vom 01.08.2012) widmen  Sie sich im Rahmen einer Serie zur  Vorbereitung der Oberbürgermeisterwahl dem kommunalpolitischen Schwerpunktthema der Stadtentwicklung. Sie fassen das Thema jedoch zu kurz, weil Sie den Fokus vollständig auf die Entwicklung der Innenstadt legen, ohne die Brache in der Wohnungspolitik zu beleuchten. So journalistisch gut die Lage der Innenstadt von Ihnen zusammengefasst wird, so schmerzhaft ist die Ausblendung des Wohnungsmarktes in Kiel. Eine künftige Verwaltungsspitze, die Stadtentwicklung im Sinne ihrer WählerInnen begreifen will, muss doch gerade die Sorge um dieses elementare Grundbedürfnis umtreiben.

Bereits 2010 legte das Integrierte Stadtentwicklungskonzept (INSEKK) der Verwaltung offen, wie der freie Wohnungsmarkt in Kiel versagt:

„Mittels der nährungsweisen Berechnung des Bedarfs ergibt sich eine Anzahl von 62.200 Haushalten in Kiel, die innerhalb der gesetzlichen Einkommensgrenzen der Wohnraumförderung Schleswig-Holsteins liegen. Dem steht ein geschätztes Angebot von rund 39.000 Wohneinheiten gegenüber, was einen Engpass an preisgünstigen Wohnraum darlegt“ (Seite 73, INSEKK 2010)

Hinzu kommt, dass die Studentenschwemme den bereits 2010 mit 1,7 % sehr niedrig gelegenen marktbedingten Wohnungsleerstand noch einmal verringert haben dürfte. Der Markt ist leegefischt und kann längst nicht mehr die Bedürfnisse der Stadt befriedigen. Die Rendite verlangt nach teuren Eigentumswohnungen. Dass 2009 der Innenminister Ralf Stegner  (SPD) die Belegbindung für Sozialwohnungen von 80 auf 35 Jahre verkürzt hat, wird in dieser Situation noch als Brandbeschleuniger dienen. 2017 sollen in Kiel bereits 4.000 Wohnungen fehlen. Das ist die Rückkehr der Wohnungsnot.

Wie Essen und Trinken gehört ein Dach über den Kopf zu den elementarsten Bedürfnissen des Menschen. Im Angesicht der Lage muss ein/e OberbürgermeisterIn hier Ideen entwickeln die Entwicklung der Stadt im Sinne ihrer Menschen zu beeinflussen.

Von Albig (SPD) und Todeskino (Grüne) hat man hierzu wenig bis gar nichts gehört. Das liegt sicher auch daran, dass Ihnen viele Möglichkeiten genommen wurden. Wohnungen befinden sich kaum noch in kommunalen Besitz, eine städtische Wohnungsbaugesellschaft existiert nicht. Aufgrund der läppischen 9 Zeilen, die der Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung für die Problematik auf Seite 52 findet, ist keine Hilfe vom Land zu erwarten, um hieran etwas zu ändern. Grade deshalb müsste ein/e OberbürgermeisterIn aber aktive Unterstützung einfordern, um den Anteil der Wohnungen in städtischer Hand zu erhöhen.

Gleichwohl scheint man auch in der Kommunalpolitik bemüht die Entwicklung konsequent zu ignorieren und die Menschen dem zufälligen Spiel von Angebot und Nachfrage auszuliefern. Nicht einmal Maßnahmen wie eine kommunale Wohnungsvermittlungstelle als Gegengewicht zum teuren Maklergeschäft wurde bislang erdacht.

Mehr noch: Anstatt die Sachlage mit dem nötigen Ernst zu thematisieren, wird jeder neue Luxusbau als Gewinn für die Stadtentwicklung gefeiert. An keiner Stelle weist das INSEKK einen Bedarf für neue und teure Eigentumswohnungen aus! Der stellvertretende Oberbürgermeister Todeskino wollte sogar 40.000 Euro investieren, um Wege zu finden, die Marktentwicklung in Bezug auf Düsternbrook zu bremsen. Hier sahen sich viele Hausbesitzer durch die Entstehung neuer Mehrfamilienhäuser in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Nur aus Personalmangel ließ er diese Idee vorerst fallen.

Während die Villen in Düsternbrook unter „Naturschutz“ gestellt werden sollen, verelendet ein Quartier wie Gaarden. Das Problem hierbei: Die sozialräumliche Polarisation. Dieser sperrige Begriff beschreibt, dass sich soziale Schichten vermehrt bestimmten Stadtvierteln zuordnen lassen. Polemisch: In Düsternbrook wohnt der Villenbesitzer, in Gaarden der HartzIV-Empfänger. Dies führt zu einer Steigerung der sozialen Problemlagen. Auch darauf weist das INSEKK von 2010 hin: „Vermehrt lassen sich die Chancen von Kindern und Jugendlichen daran ableiten, in welchem Stadtteil sie aufwachsen“  (Seite 27, INSEKK 2010).

Zumindest im Ansatz wurde dieses Problem im „Sozialraumbericht Gaarden“ von 2011 als Handlungsfeld identifiziert;  gleichwohl auch hier zu kurz gedacht wird. So werden eine Reihe möglicher Modernisierungs- und Aufwertungsmaßnahmen beschrieben. Diese werden  in Gaarden sicher die Lebensqualität erhöhen, zugleich aber auch die Verdrängung vorantreiben. Mieten werden steigen.  Die Menschen, die ökonomisch nicht mithalten können, müssen mangels Alternativen weiter an den Rand der Stadt ziehen, wo sich infolge wieder die sozialen Problemlagen verdichten werden. Wollte man dem Problem wirklich Herr werden, müsste mit den Aufwertungsbemühungen in Gaarden die Entstehung von billigem Wohnraum in der Innenstadt einhergehen, damit heterogene Stadtviertel erhalten und entwickelt werden. Ganz akut müssen Zwangsumzüge von HartzIV Betroffenen verhindert werden und das gerade in Quartieren, in denen ihre Zahl unterdurchschnittlich ist.

Bisher, wie erwähnt, ist der  Landes- und Kommunalpolitik diese ganze Thematik zu heiß beziehungsweise in Zeiten der Spardiktate zur Bankenrettung viel zu teuer. Ironischer weise wird ein steigender Mietspiegel für die Kommunen eine Steigerung der Kosten für die Unterkünfte von Transferleistungsbeziehern mit sich bringen.

Trotz der politischen Ignoranz, hätte ich es -gleichwohl Sie sicher nicht mit meinen politischen Analysen und Rückschlüssen konform gehen- als journalistischen Auftrag verstanden, diese drängenden Probleme der Mehrheit der Menschen in Kiel zu thematisieren, anstatt sich darauf zu konzentrieren ästhetische Mängel in der Innenstadt zu beklagen. Grade in dem Sinne, dass Sie für die kommenden Oberbürgermeisterwahlen thematisches Juckpulver liefern wollen, wäre dieser Ansatz sicher gewinnbringender gewesen.

Mit freundlichen Grüßen

Marco Höne

Mitglied des Landesvorstandes DIE LINKE. Schleswig-Holstein