Presse soll kannibalistische Weltordnung entlarven
Wien (pte015/25.09.2012/13:40) – „Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gibt es keinen strukturellen Mangel mehr. Jedes Kind, das stirbt, wird ermordet. Der Hunger ist menschengemacht und kann deshalb auch besiegt werden. Es ist die Verantwortung der Medien, die Kausalitäten der kannibalistischen Weltordnung freizulegen“, sagt der Soziologe und Globalisierungskritiker Jean Ziegler in seiner Keynote auf den Österreichischen Medientagen http://www.medien-tage.at , die heute, Dienstag, in Wien ihre Pforten öffnen. |
Jean Ziegler: „Medien müssen Hunger erklären“ (Foto: Wikipedia, cc D. Schneider) |
„Verwalter der Utopie“
„Die Journalisten sind die Verwalter der Utopie, die bezeichnet, was auf der Erde fehlt: einklagbare Gerechtigkeit. Edmund Burke hat gesagt, alles was nötig ist, damit das Böse siegt, ist das Schweigen guter Menschen. Journalisten müssen dieses Schweigen brechen“, fordert Ziegler. Medien tendieren seiner Ansicht aber oft dazu, die komplexen Ursachen für den Hunger zu vereinfachen und Zusammenhänge zu übersehen. Ziegler führt als Beispiel einen Artikel an, der die hohen Lebensmittelpreise auf die Dürre in den USA zurückführt. „Ein Bericht, der die Spekulationen auf dem Lebensmittelmarkt nicht berücksichtigt, ist Desinformation“, so der Soziologe.
Es sei ein Wunder, dass es die Pressefreiheit angesichts der wachsenden Macht einzelner Oligarchien überhaupt noch gebe. „Viele große Presseorgane gehören den Herren der kapitalistischen Weltordnung. Die Pressefreiheit garantiert, dass Journalisten, die dem kategorischen Imperativ verantwortlich sind, ein Gegengewicht zum Einfluss der Oligarchen bilden können“, erläutert Ziegler. Diese Journalisten müssen sich die Ernährungssituation auf der Welt genau anschauen, um die Zivilgesellschaft zu informieren, die es in der Hand hat, etwas gegen Leichenberge zu unternehmen.
Hunger beginnt in Europa
„Der Hunger beginnt in der EU. In Spanien sind über zwei Mio. Kinder unterernährt, aufgrund der Austeritätspolitik der aktuellen Regierung. Am schlimmsten ist die Situation in absoluten Zahlen gesehen in Asien, den höchsten Anteil an Hungernden an der Bevölkerung gibt es aber nach wie vor in Afrika“, so Ziegler. Die Landbevölkerung in den 122 von strukturellem Hunger betroffenen Entwicklungsländern leide vor allem an den Agrar-Exportsubventionen der Industrienationen, insbesondre der EU, die es lokalen Bauern unmöglich mache, auf dem Markt zu bestehen, weil sie gegen die künstlich niedrig gehaltenen Preise nicht bestehen können.
„Die Kommissare in Brüssel fabrizieren den Hunger. Der Landraub an afrikanischen Bauern, deren Grund an ausländische Investoren verschachert wird, treibt die Landbevölkerung in die Slums der großen Städte und einige auch an die europäischen Außengrenzen, wo sie mit militärischen Mitteln abgewiesen werden. Die EU-Politiker sind Heuchler. Das Argument, dass die Landwirtschaft in Afrika von potenten Investoren produktiver betrieben wird, ist nur ein Vorwand. Der Grund, weshalb die Landwirtschaft in Entwicklungsländern nicht modernisiert werden kann, ist die Überschuldung der betroffenen Staaten, die keinen Spielraum für Investitionen lässt“, erklärt Ziegler.
Marktmacht der Großen brechen
Die hungernde urbane Bevölkerung ist auf andere Probleme zurückzuführen. „Die Preisexplosion bei Grundnahrungsmitteln macht Mahlzeiten vielerorts unerschwinglich. Die Treibstoffgewinnung aus Lebensmitteln und die subventionierte Verbrennung von Nahrung verschlimmert die Situation zusätzlich. Unter diesen Problemen leidet zeitweise auch die Landbevölkerung, wenn sie sich am Markt versorgen muss“, sagt Ziegler.
Die Hoffnung gibt der Globalisierungskritiker aber nicht auf: „Es gibt keine Ohnmacht in einer Demokratie. Konsumenten haben mit ihren Kaufentscheidungen großen Einfluss und können die Macht der Konzerne, von denen gerade einmal zehn Player 85 Prozent der gehandelten Lebensmittel kontrollieren, zurückdrängen. Eine freie, kritische Presse kann helfen, die Zivilgesellschaft zu mobilisieren, die es in der Hand hat, die Ungleichheit zu beenden.“