Umgang der Nordkirche mit der Initiative Missbrauch in Ahrensburg
Umgang der Nordkirche mit der Initiative Missbrauch in Ahrensburg · Betroffene fordern Entschädigung für Missbrauchsopfer und eine „Gauckbehörde-für-Missbrauch“. Heute findet das Fachforum Missbrauch der evangelischen Nordkirche in der Apostelkirche in Hamburg statt.
Im Vorfeld wurde Kritik daran geübt, dass die Betroffenen von der Kirche nicht einbezogen wurden. In der Tat: Nicht mal einen ganzen Tag vor Veranstaltungsbeginn wurde ein Sprecher von MiA per eMail nachträglich zur Teilnahme an der Veranstaltung eingeladen, eine aktive Rolle wurde ihm nicht angeboten.Dazu erklärt die Initiative Missbrauch in Ahrensburg: „Das aktuelle Agieren der Nordkirche entspricht dem, was wir seit 2010 gut kennen (leider): Budenzauber auf der einen Seite:
- Die Kirche stellt ihre Betroffenheit mit hochemotionalem Habitus / Verhalten ihrer Repräsentanten öffentlichkeitswirksam dar, allen voran die Hamburger Bischöfin und EKD-Beauftragte, Kerstin Fehrs.
- Bischöfin Fehrs gesteht jederzeit pauschal Schuld und Mitverantwortung der Institution für das Ermöglichen der Taten ein und proklamiert einen dringlichen Bedarf der Kirche nach Vergebung durch die Opfer.
Andererseits: Die Realität zeigt, dass die Kirche hauptsächlich ihre Image-Interessen verfolgt:
- Dem Lippenbekenntnis folgen kaum Taten.
- Wir Betroffene werden untereinander und gegeneinander ausgespielt.
- Wir werden in Einzelgesprächen systematisch ausgehorcht und anschließend mundtot gemacht.
- Einzelne von uns werden von der Kirche für die eigene Imagepflege benutzt und wenn wir nicht mehr nützlich sind abserviert und kaltgestellt.
Eine Gesellschaft, die ernsthaft den Missbrauch verurteilt, darf das nicht durchgehen lassen.
Forderung nach angemessener Entschädigung für Missbrauchsopfer
Aktuell ist der Vorschlag einer pauschalen Entschädigungssumme von 300.000 Euro für jeden Betroffenen sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich im Gespräch. Die Deutsche Bischofskonferenz diskutiert dieser Tage den Vorschlag.
Der von der Betroffenengruppe Eckiger Tisch eingebrachte Vorschlag wird von der Initiative Missbrauch in Ahrensburg unterstützt – mit einer Einschränkung: Diese Summe darf nicht als Deckel betrachtet werden, sondern muss im besonderen Einzelfall nach oben offen bleiben (Experten der Bischofskonferenz empfehlen einen Höchstbetrag von bis zu 400.000 Euro).
Bisher ist die Lage in Deutschland – auch im internationalen Vergleich – ein Fiasko. Erst vor kurzem wurden Zahlen bekannt gemacht, die in anderen Ländern für Entschädigungen aufgewendet oder bereitgestellt werden. Die USA, mit ihrem tendenziell opferfreundlichen Haftungs- und Entschädigungsrecht, ist keineswegs die Ausnahme, wie die veröffentlichten Summen zeigen: Irland 2,1 Mrd., USA über 2 Mrd., Kanada: 1,45 Mrd., Australien 2,5 Mrd. (Quelle: Katholische Nachrichtenagentur (KNA) am 23.9.2019)
Die evangelische Kirche weicht dem Thema Entschädigungsleistungen regelmäßig aus und versucht mit sonderbar deklarierten Leistungen für einzelne Betroffene (und vor allem für Betroffenenvertreter), für sich Druck aus dem Kessel zu nehmen. Die evangelische Kirche muss endlich eine Diskussion über echte Entschädigungen führen und Betroffenenvertreter im Entscheidungsprozess einbinden.
Ausgerechnet die evangelische Kirche, die stets die kollektive Verantwortung für das von Deutschland ausgegangene Unrecht angemahnt hat und (mit anderen zusammen) umfassende Entschädigungsleistungen für Opfer des Dritten Reichs erkämpfte, verhält sich in eigener Sache völlig anders und verweigert den heutigen Opfern schwerer Menschenrechtsverletzungen (durch Täter aus ihren eigenen kirchlichen Reihen) die angemessene Unterstützung.
Forderung nach „Gauck für Missbrauch“
Viele Missbrauchstaten können nicht aufgeklärt werden, weil Dokumente und Unterlagen aus kirchlichen Einrichtungen und Archiven nicht verfügbar sind. Dadurch wird vielen Betroffenen die Möglichkeit genommen, ihr Schicksal zunächst aufzuklären, aber auch die gesellschaftliche Aufarbeitung von Missbrauch wird dadurch behindert.
Abhilfe könnte eine Art Gauckbehörde für Missbrauch schaffen, die Informationen und Daten zusammenträgt und verfügbar hält.
Wir werden in Kürze ein Thesenpapier „Gauck-Behörde für Missbrauch“ veröffentlichen.
Konzept des „Bundesbeauftragten“ ist fragwürdig
Die Bundesregierung setzt seit einigen Jahren einen Bundesbeauftragten für sexuellen Missbrauch ein, der ausdrücklich keine Partei ergreifen soll. – Wo gibt es das? Eine Gleichstellungsbeauftragte, einen Datenschutzbeauftragten oder einen Behindertenbeauftragten, die nicht die Interessen der Gleichstellung, des Datenschutzes oder von Behinderten vertreten dürfen? Aber bei sexuell Missbrauchten verfährt man so.
Der Bundesbeauftragte organisiert kontroverse wissenschaftliche Debatten und moderiert den Dialog höchst ungleicher Kontrahenten (Betroffene – Kirchen), er berät in alle Richtungen und soll alle Interessen berücksichtigen – die der Täterorganisationen ebenso wie die der Opfer. Das Konzept wird nicht besser, wenn dieser Beauftragte einen Betroffenenrat einrichtet, der ebenso wenig substanziell zu sagen hat wie er selbst. Zumal dieser Rat nicht von den Betroffenengruppen beschickt wird, sondern seine Mitglieder durch den Bundesbeauftragten (mit dem oben dargelegten Aufgaben- und entsprechenden Interessenprofil) handverlesen werden. Die Kirchen würden sich das nicht bieten lassen!
Aus unserer Sicht zeigt der Beauftragte außer markigen Sprüchen keine ausreichende Haltung. Vielmehr dokumentiert er in erster Linie neutral die bestehenden Ungerechtigkeiten. Auf diese Weise kann den Betroffenen im Lande nicht geholfen werden, das Gegenteil ist der Fall: es wird anschaulich vermittelt, wie schwer das Leid der Betroffenen ist, wie aalglatt sich die Täterorganisationen herauswinden, aus denen heraus Missbräuche in unvorstellbarem Ausmaß geschehen sind, und es wird die bittere Erkenntnis im ganzen Land verbreitet, dass sich zu wehren für die Opfer nicht lohnt, weil es zu zusätzlichem Leid und Nachteilen führt, und ihnen ohnehin dauerhaft eine angemessene Kompensation verweigert wird.
Schleichender Trend zur Banalisierung und Relativierung sexuellen Missbrauchs in den Medien
Erschreckend und verstörend ist für uns, dass zunehmende Tendenzen in den Medien zur Relativierung des Missbrauchs durch kirchliche Stellen und Teile der Presse nachzuweisen sind. Wir werden dazu nicht schweigen.“
Betroffenengruppe Missbrauch in Ahrensburg fordert von EKD Entschädigung für Missbrauchsopfer.
Im Namen der Betroffenen fordern wir von der evangelischen Kirche in Deutschland, die Verantwortung für das von den Betroffenen erlittene Unrecht zu übernehmen. Den Betroffenen sollte die Möglichkeit gegeben werden, eine angemessen Entschädigung zu erhalten.
Es reicht nicht aus, dass einzelne Kirchenvertreter eine globale Schuld eingestehen, die für die Betroffenen ein Abstraktum bleibt. Das schafft wenig Linderung für die sehr konkreten und vielfach lebenslänglichen Folgen sexueller Gewalt, die ihnen von Pastoren der evangelischen Kirche zugefügt wurde. Auch Leistungen der Kirche nach dem Opportunitätsprinzip, die als Anerkennung erlittenen Leides gewährt werden, sind ungeeignet der Verantwortung zu entsprechen – als Akte der Gnade stellen sie stets eine andere Form der Abwertung dar.
Wir regen an, dass sich die EKD mit den fundierten Empfehlungen zu diesem Komplex auseinander setzt, die sich die Deutsche Bischofskonferenz im September 2019 von Betroffenenvereinigungen aus dem katholischen Bereich hat zuarbeiten lassen. Nach unserer Einschätzung sind beide dort diskutierten Varianten grundsätzlich geeignet: die Pauschalvariante mit einer Entschädigungssumme von 300.000 Euro pro Betroffener/m ebenso wie die gestaffelte Variante mit einem Ausgangsbetrag von 40.000 Euro und einem oberen Rahmen von 400.000 Euro.
Nach unseren negativen Erfahrungen aus dem Missbrauchsskandal in Ahrensburg und den von der evangelischen Nordkirche praktizierten Verfahren („Unterstützungsleistungen in Anerkennung erlittenen Leides“) geben wir jedoch einer pauschalen Lösung eindeutig den Vorzug. Nur so kann verhindert werden, dass Betroffene durch ein entwürdigendes Verfahren erneut geschädigt werden. Es entfallen das Motiv und der Anreiz für die kirchlichen Vertreter, in den Gesprächen oder Verhandlungen mit Betroffenen mit zweifelhaften Methoden auf die Akzeptanz möglichst geringer Summen hinzuwirken. Wir haben als fragwürdig bis anmaßend erlebt, dass kirchliche Vertreter in detaillierten persönlichen Verhörsituationen das Leid von Betroffenen sezierten und bewerteten, um dem eine Zuwendung zuzuordnen.