WG: Timmendorfer Skiffle Group/ Benefiz-Konzert /Dr,med.Gie Vandehult /Lübeck/Bad Schwartau
Helfen wo der Pfeffer wächst – Ihr wollt schon wieder nach Madagaskar? Es muss doch langweilig werden, immer wieder auf dasselbe Inselchen zu reisen, oder? Die Fragen sind einfach zu beantworten: Ja, wir fahren wieder nach Madagaskar, und nein es wird nie langweilig. Es handelt sich hier nicht um ein Inselchen, sondern um die viertgroesste Insel der Welt, deutlich größer als Deutschland. Hier leben über 20 Millionen Menschen, zum Teil in bitterster Armut. Das durchnittliche Jahreseinkommen beträgt weniger als 400 Dollar was bedeutet, dass Madagaskar zu den ärmsten Ländern der Welt gehört. Die medizinische Versorgung sieht nicht wirklich rosig aus. Nur Derjenige, der genügend Geld hat, kann sich medizinische Hilfe leisten, wer keines besitzt, hat und ist verloren. Leider gibt es sehr viele Verlierer…
Wir sind nun zum achten Mal nach Madagaskar gereist, um in der Hauptstadt Antananarivo und in dem kleinen Ort Manambaro, die Ärmsten der Armen zu operieren. Da wir nur wenig Verbrauchsmaterial vor Ort kaufen können, müssen wir fast alles was wir zum Operieren brauchen mitnehmen, wie zum Beispiel Operationsinstrumente, Narkosematerial, Tupfer, Kompressen, Sprizen, Pflaster, Medikamente und – nicht zu vergessen – Kuscheltiere und Spielzeugautos. Da kommen schnell über 300 kg zusammen.
Unsere erste Station war das Ambohibao Krankenhaus in Antananarivo. Tanja Huck, eine deutsche Hebamme, die seit vielen Jahren mit ihrer Familie auf Madagaskar lebt, hatte zuvor die Sichtung gemacht und das Op-Programm zusammengestellt. Vorgesehen waren kleine und große Patienten mit Lippen- und Gaumenspalten, Bewegunseinschränkungen nach Verbrennungen, angebohrenen Fehlbildungen sowie Leisten-, Nabel- und Wasserbrüchen. Insgesamt standen über 40 Patienten auf dem Plan. Alles Kinder und junge Erwachsene, wobei jeder Einzelne einen ganz besonderen Schicksalsschlag erlitten hatte und auf Hilfe hoffte. Wir konnten leider nicht allen helfen. Es tut in der Seele weh, wenn die Hoffnung, die einem entgegengebracht wird in den Augen der Hilfesuchenden erlischt. Das Leben kann so ungerecht sein.
Das erste Kind war eine Herausforderung. Die kleine Roaminsoa war drei Monate zuvor mit einer doppelten Lippenspalte geboren und wog jetzt knapp 3kg. Wegen der massiv gespaltenen Lippe war das Stillen nicht möglich, da sie keinen Sog an der Brust aufbauen konnte. Die junge Mutter musste Milch aus der Brust drücken und es dem Kind tröpfchenweise geben. Bei so einem kleinen untergewichtigem Kind ist alles sehr fein und zart. Es war nicht ganz einfach unter den dort herrschenden Bedingungen die Narkose zu machen und die Lippe zu verschließen. Sowohl der Anästhesist, als auch die Chirurgin sind gut ins Schwizten gekommen – und das nicht nur wegen der Hitze… Um so größer war die Freude, als die Mutter kurz nach der Operation erfolgreich das kleine Mädchen an die Brust legen konnte und es endlich „normal“ trinken konnte.
Dadurch, dass wir regeläßig kommen, verlassen sich die Patienten darauf, dass sie wiederkommen können, um weitere Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wir hatten letztes Jahr bei einem kleinen Jungen eine riesige Brandwunde am Brustkorb verschlossen. Dieses Jahr war die linke Schulter dran. Durch die Verbrennung hatte sich eine derbe Narbe gebildet, sodass der linke Arm nicht gehoben werde konnte. Durch das Lösen der Narbe und das Anlegen einer Schiene konnte die Beweglichkeit weitgehend wiederhergestellt werden.
Nach insgesamt xxx Operationen in 4 Tagen verabschiedeten wir uns aus Tana und flogen mit unserem, nun etwas leichterem, Gepäck nach Fort Dauphin im bitterarmen Süden der Insel. Unser Ziel, das Krankenhaus in Manambaro, liegt etwa 30 km westlich von Fort Dauphin. Um dort hinzukommen, bedarf es Allradantrieb, viel Geduld und Zeit. Auf dem Weg sind wassergefüllte Schlaglöcher, so gross, das es kein Problem ist, darin Schwimmunterricht zu geben. Eine der Brücken hatte das Zeitliche gesegnet und wird seit einem Jahr erneuert. Um über den Fluss zu kommen hat man einige Gusseisenelemente zusammengedengelt und eine Art „Autofähre“ gebastelt. Der Weg zum Krankenhaus ist Abenteuer pur, dagegen erscheint Indiana Jones ein reiner Anfänger!
Das Krankenhaus in Manambaro wurde 1952 von norwegischen und amerikanischen Missionaren gebaut und galt bis Mitte 1970 als eines der bekanntesten Krankenhäuser Madagaskars. Nach der Revolution hat es viel von seinem Glanz verloren, geniesst aber nach wie vor einen sehr guten Ruf. Die dort ansässigen Ärzte (zwei Chirurgen und drei Internisten) arbeiten ohne fließend Wasser und oft ohne Strom. Wasser gibt es nur aus Eimern und Strom nur, wenn der Generator läuft und nicht gerade kaputt ist. Es werden Operationen wie Kaiserschnitte und Blinddärme operiert und das ganze Register der Tropenerkrankungen behandelt. Unser Team unterrichtet das Personal vor Ort in Kinderchirurgie und -Anästhesie sowie in in plastischer Chirurgie.
Es stellten sich etwa 100 Patienten am ersten Tag zur Sichtung vor. In einem kleinen stickigen Flur, wo eine Glühbirne von der Decke baumelt, werden Patienten vom Chirurgen, Anästhesisten und dem Orthopädietechniker untersucht und daraufhin die Operation sowie die Weiterbehandlung geplant. Innerhalb weniger Stunden war der Op-Plan für die nächsten 10 Tage weitgehend gefüllt. In Manambaro operieren wir auf zwei Op-Tischen in einem Op-Saal.
Von den knapp 90 Patienten, die wir in Manambaro operierten, sind uns zwei besonders in Erinnerung geblieben:
Die 16 Monate alte Varananianasoa wurde über 40 km auf dem Rücken ihrer Mutter getragen um sie zu uns zu bringen, nicht wissend, ob sie es zeitlich schaffen würde, bevor wir abreisen. Die Kleine lächelte uns scheu an und ihre gespaltene Lippe flatterte dabei in allen Richtungen. Die Mutter hielt uns ihre Tochter hin und flüsterte ”Misotra” (Bitte). Es wurde nicht lange diskutiert. Eine Op-Planänderung wurde vorgenommen und die Kleine bekam am nächsten Tag einen Op-Termin. Das Leben des Mädchens wurde binnen weniger Stunden drastisch verändert. Durch den Verschluss des Gaumens und der Lippe wurde ihr die Möglichkeit gegeben ein ”normales” Leben auf Madagaskar zu führen. Das Kind, welches nach der Operation in den Armen der Mutter gelegt wurde, hat ein Gesicht bekommen. Die Mutter schaute es glücklich an und ein paar Stunden nach dem Eingriff hob sie ihre kleine Tochter auf den Rücken, nahm ihre größere Tochter an die Hand und lief die 40 km zurück in ihr Dorf.
Der fünfjährige Julien lief uns breitbeinig entgegen. Wir dachten erst, dass er eine Verletzung am Knie oder an der Hüfte hatte, aber nach dem der Vater das Höschen herunter gezogen hatte, war klar, was das Laufen behinderte. Ein Teil des Darmes hatte sich in das Skrotum verlagert, was zu einem grotesk vergrößerten Hodensack führte. Vater und Sohn baten eindringlich um Hilfe. Nach dem der Darm operativ wieder in den Bauchraum verlagert worden war und der Hodensack auf ein normales Maß gebracht wurde, war das Glück groß. Sowohl Vater als auch Sohn schauten immer wieder nach, ob alles in richtiger Größe und an richtiger Stelle saß.
Wir haben in zwei Wochen 133 Patienten operiert, davon waren 61 Kinder jünger als 10 Jahre. Es wurden unter anderem 36 Gaumen und Lippen verschlossen, 32 Narben nach Verbrennungen behandelt und 22 Hernien operiert.
Es ist eine Freude hier arbeiten zu dürfen, um den Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens geboren wurden, ein wenig Licht zu bringen.
Um unsere Arbeit zu ermöglichen, haben viele geholfen! Wir danken Frau Huck – pro-interplast Seligenstadt e.V., Tanja Huck in Antananarivo, Maria Damer, Norbert Determann und Przemko in Fort Dauphin, dem Rotary Club Lübecker Bucht – Timmendorfer Strand, Michael Triebig – 3T-Reisen e.K., Herrn Rixen und Herrn Behrens, den Firmen Klindwort-Medical GmbH und prima-med GmbH und Co. KG sowie allen anderen Spendern.
Das Team: Dr. Volker Galle, Dr. Susanne Glasner, Dr. Michel Sasieta von Ameln, Dr. Marlies Burmeister, Alfred Klindwort, Gabi Pfeiffer, Axel Holland und Dr. Gie Vandehult.