Allheilmittel Grüne Infrastruktur?
Allheilmittel Grüne Infrastruktur? Bäume und Pflanzen wirken auf natürliche Weise der Luftverschmutzung und dem Artensterben in Städten und Gemeinden entgegen. Insektensterben, Artenrückgang, CO2- und Feinstaubbelastung: in jüngster Zeit mehren sich die Hiobsbotschaften und Statistiken, die belegen, wie stark unsere Lebensräume aus dem Gleichgewicht geraten sind. Um das Allerschlimmste sozusagen in letzter Minute abzuwenden, kommen nun auch in Schleswig-Holstein zahlreiche technische Lösungsvorschläge auf den Tisch. Zum Beispiel feinstaub- und stickstoffreduzierende Straßenbeläge, Landstromversorgung für Schiffe und Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in Städten, die ab heute auch vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt werden. Beim Fachverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Schleswig-Holstein (FGL) favorisiert man dagegen einen anderen Ansatz. „Grüne Infrastruktur“ lautet das Schlüsselkonzept, mit dem laut der Experten gleich mehrere Probleme gleichzeitig wirkungsvoll angegangen, wenn nicht sogar behoben werden können.
Jede sechste Nachtigall lebt in Berlin
„Wenn wir das natürliche Grün zurück in die Städte und in die ländlichen Wohngebiete holen, anstatt es immer mehr zu reduzieren, schaffen wir wieder Lebensräume für die aussterbenden Tierarten und sorgen im selben Atemzug dafür, dass die Luft sauberer wird“, sagt der FGL-Präsident Mirko Martensen und ergänzt: „Eine ein Meter dicke Buche filtert pro Jahr 1,3 kg Feinstaub, und ein Laubbaum bindet in 80 Jahren bis zu einer Tonne CO2. Jede sechste deutsche Nachtigall lebt inzwischen in Berlin, da es dort so viele Grünflächen gibt. Das sind nur einige Zahlen, die veranschaulichen, wie wichtig natürliches Grün für die Artenvielfalt und den Umweltschutz ist“.
Bundesregierung fördert grüne Infrastruktur mit 50 Millionen Euro
Trotz der offensichtlich positiven Effekte von Grünflächen, so die Kritik des Verbandes, käme das Grün in der Städteplanung nach wie vor zu kurz. „Dabei fördert das Bundesumweltmi-nisterium seit diesem Jahr im Rahmen des Förderprogramms ´Zukunft Stadtgrün` städtebauliche Maßnahmen zur Verbesserung der urbanen grünen Infrastruktur. Allein für das Jahr 2017 hat der Bund hierfür 50 Millionen Euro Fördergelder bereitgestellt“, argumentiert Frank Chr. Hagen, der für den FGL Mitglied im Ausschuss Stadtentwicklung des Bundesverbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BGL) ist. Hagen appelliert an die schleswig-holsteinischen Städte und Kommunen, diese Fördergelder zu beantragen und mit ihrer Hilfe das natürliche Grün zu fördern bzw. zu erhalten.
Es grünt so grün: Dachbegrünungen und vertikale Gärten
Möglichkeiten, mit vergleichsweise geringem Aufwand viel zu erreichen, gibt es viele. Wo immer mehr Flächen versiegelt und bebaut werden, schaffen zum Beispiel Dachbegrünungen Ausgleich. Ob pflegeleicht begrünt oder bepflanzt mit Wildblumen und Kräutern, jedes Gründach bietet Insekten und anderen Tierarten einen Lebensraum und fördert gleichzeitig ein gutes Klima in der Stadt. Darüber hinaus verlängern begrünte Dächer die Lebenszeit von Dächern deutlich und wirken isolierend. An einem heißen Sommertag ist es in Gebäuden mit einem Gründach um bis zu acht Grad kühler als in Häusern ohne Dachbegrünung. Zu guter Letzt speichern Dachbegrünungen Regenwasser, so dass dieses nicht unmittelbar in die Kanalisation fließt. Hierdurch können Starkregenereignisse wirkungsvoll abgepuffert werden. Da Dachbegrünungen so viele positive Effekte haben, werden sie von immer mehr Städten und Gemeinden öffentlich gefördert. „In Hamburg hat die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt bis 2020 Fördermittel für Dachbegrünungen in Höhe von drei Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Aufgrund der Rückhaltefunktion von Wasser wird darüber hinaus die Niederschlagswassergebühr für Gründachflächen um bis zu 50 Prozent gemindert. Derartige Modelle wären auch für Schleswig-Holstein sinnvoll“, so Mirko Martensen.
Als Alternative zum Gründach empfiehlt der FGL die Begrünung von Innenhöfen und Fassaden. „Viele Innenhöfe in Städten sind reine Betonwüsten. Mit wenig Aufwand kann man hier kleine grüne Oasen schaffen, in denen sich Mensch und Tier wohlfühlen“, sagt Frank Chr. Hagen. Hauswände können mit Rankpflanzen wie Efeu oder Kletterrosen begrünt werden. Eine gute Lösung für Straßen und Plätze mit viel Autoverkehr ist vertikales Grün an Lärmschutzwänden oder Mauern. Je nach Einsatzort werden für die begrünten Module, die es als fertige Systeme gibt, passende Pflanzen ausgewählt. Diese filtern besonders effektiv Feinstaub oder binden CO2.
Initiative „Rettet den Vorgarten“
Mit ihrem Appell für mehr natürliches Grün richten sich die Experten vom FGL aber nicht nur an die Stadt- und Kommunalverwaltungen und die Großstädter. „Wir beobachten unter Hausbesitzern in Neubaugebieten und in gewachsenen Einzelhaussiedlungen seit geraumer Zeit den Negativtrend, Gärten komplett zu verkieseln, also mit Stein aufzufüllen. Grün sucht man hier, mit Ausnahme von vielleicht einer Alibipflanze in der Mitte der Kiesflächen, vergebens“, sagt der Geschäftsführer des FGL, Achim Meierewert. Ganze Gärten würden zurückgebaut, Bäume gefällt, weil ihr Laub angeblich zu viel Schmutz mache oder die Arbeit im Garten zu arbeitsintensiv sei. „Mit so einer Einstellung kann man nicht erwarten, dass sich weiterhin genauso viele Tiere in den Wohngebieten tummeln und die Luft noch genauso gut ist, wie es früher der Fall war“, bringt es der Fachmann auf den Punkt.
Um dieser für die grünen Verbände besorgniserregenden Entwicklung entgegenzuwirken, hat der Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Anfang des Jahres die facebook-Kampagne „Rettet den Vorgarten“ initiiert und damit bundesweit für Aufsehen gesorgt. „Wir möchten aufklären und zeigen, dass es auch anders geht, anderes gehen muss“, sagt Mirko Martensen als Präsident des schleswig-holsteinischen Landesverbandes und fährt fort: „Ein grüner Garten und auch Straßenbegleitgrün müssen nicht zwingend viel Arbeit machen. Wenn sie mit einer entsprechenden Pflanzenauswahl geplant und dadurch pflegeleicht angelegt werden, kann man ihn mit wenig Aufwand in Schuss halten“. Martensen rät zum Beispiel zu Staudenmischungen, die wenig Pflege benötigen.