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Braucht es heute noch Arbeiterlieder? Zur neuen CD von Kai Degenhardt „Arbeiterlieder“

Zugegeben, als ich die neue Platte von Kai Degenhardt in den Händen hielt und auf der schwarz-weißen Hülle einen langen Zug von Proleten mit erhobenen Fäusten sah, dachte ich spontan an eine ehemalige DDR-Produktion. Wenn man vom augenblicklichen Ist-Zustand der nur marginal auftretenden deutschen Arbeiterbewegung ausgeht, fallen einem alle möglichen anderen unaufschiebbaren Notwendigkeiten des kulturellen Handelns ein – aber nicht unbedingt die Wiederbelebung der Chor-Tradition des gemeinschaftlichen Absingens von historischen Arbeiterliedern im Nebenraum einer (nicht mehr verrauchten) Gaststätte.Das ist auch nicht der Fall. Beim ersten Anhören der von Kai Degenhardts eingespielten Liedern hat man andere Assoziationen.

Es ist übrigens auch nicht der Stil, wie ihn Zupfgeigenhansel, Liederjan oder andere Gruppen aus den Siebzigern – damals im neuen Gewand als fortschrittliche Volksmusik – einfallsreich präsentiert hatten.

Nein, es sind (weitere vierzig Jahre später) eben bekannte Arbeiterlieder, an die zu erinnern es immer an der Zeit ist, weil sie zeitlos sind. Kai präsentiert sie verjazzt, manchmal rockig und Blues-lastig – aber immer an das Original angelehnt. Kämpferisch, manchmal mit schnoddrigem oder nachdenklichem Gesang.

Die Auswahl beinhaltet früheste historische Lieder wie „das Blutgericht“ (1844), den Klassiker „Bet‘ und arbeit‘ (1863 mit dem Text von Georg Herwegh), und das durch Zupfgeigenhansel bekanntgemachte Antikriegslied „Ich bin Soldat“.

Mit Liedern der zwanziger und dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts („Der Revoluzzer“ von Mühsam, „in Hamburg fiel der erste Schuss“, „Der rote Wedding“ von Erich Weinert und – dem unverzichtbaren Solidaritätslied von Brecht) spannt Kai auf dem Album den Bogen bis zum beginnenden Faschismus.

„Mein Vater wird gesucht“ (Drach / Kohlmey) ist eines der bekanntesten und auch heute noch auf vielen Kundgebungen gegen rechts präsentiertes Lied gegen den Terror des Nazi-Regimes ab den dreißiger Jahren.

Eines der bekanntesten Lieder von Franz Josef Degenhardt beschreibt schon Mitte der sechziger das Elend, das Los und die Perspektivlosigkeit der sogenannten deutschen „Gastarbeiter“. Für „Tonio Schiavo“ aus dem Mezzogiorno gab es – wie für viele tausend andere Italiener aus dem Süden keine Perspektive in dem Wirtschaftswunderland. Das Lied besticht musikalisch auch durch die identische Gitarrenbegleitung wie beim Original von FJD – und ist damit auch ein schönes Stück Erinnerung an ihn.

Das Album ist eine Bereicherung in der heutigen Zeit. Nicht nur für die Generation, die in den Sechzigern und Siebzigern mit dem historischen Liedgut aufgewachsen ist, sondern gerade auch für Jüngere, die diese Lieder – von Kai eben modern präsentiert und mit seinem unverwechselbar jazzigen, manchmal harten, aber immer stimmigen Gitarrenstil bereichert.

Und die seit Jahrzehnten längst überfällige Korrektur beim Bundeslied findet sich endlich auch offiziell: „Frau der Arbeit aufgewacht“.

einheiztext@t-online.de