Chaos, Rätselkanons und Bohrmaschinen – Auftaktkonzert zur Konferenz „Musik und die Ordnung der Welt“
„Von Chaos, Rätselkanons und Bohrmaschinen“ erzählt am Donnerstag, 13. Oktober um 19.30 Uhr das Auftaktkonzert zur internationalen Konferenz „Musik und die Ordnung der Welt“, die bis zum 15. Oktober in der Musikhochschule Lübeck (MHL) stattfindet. Dozierende, Studierende und Gäste werden unter Leitung von Pieter-Jan Belder das Spannungsfeld zwischen Chaos und Ordnung musikalisch ausloten. Das Konzert spiegelt das Thema der interdisziplinären Konferenz „Musik und die Ordnung der Welt von der Antike bis zum 19. Jahrhundert“, die in Kooperation mit der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der University of South Florida veranstaltet wird. Der Abend bringt eine spannende Auswahl selten aufgeführter Stücke für Klavier, Schlagzeug und Kammerorchester zu Gehör, mit Werken von Johann Sebastian Bach, György Ligeti, Jean-Féry Rebel, Alexander Scriabin und Claus-Steffen Mahnkopf, in denen die Komponisten Chaos und Ordnung auf je eigene Weise thematisieren.
Das Kammerorchester der MHL präsentiert unter der Leitung von Pieter-Jan Belder die 1737 komponierte Symphonie „Les Éléments“ des französischen Barockkomponisten Jean-Féry Rebel, ein Schlüsselwerk des 18. Jahrhunderts. Mit einem heftigen Cluster als Abbild des Chaos beginnt das Stück, erst nach und nach schälen sich aus dem tönenden Durcheinander die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde heraus.
Johann Sebastian Bach konstruierte mit seinem Kanon „Trias Harmonica“ BWV 1072 in nur zwei Takten ein ganzes Weltgebäude in C-Dur: ein kühl kalkuliertes Experiment, das wie andere Kompositionen aus seiner Hand scharfe Kritik hervorrief, oder ein Beispiel für die Schönheit seiner Kunst als Zeichen der Vollkommenheit der Schöpfung?
In ihren Etüden für Klavier von 1903 und 1985 spielen Alexander Scriabin und György Ligeti auf der Mikroebene mit Ordnung und Chaos: Takte, Tonfolgen und rhythmische Muster verschieben sich auf faszinierende Weise gegeneinander – eine immense Herausforderung an die Virtuosität der jungen Pianistin Hyerin Hwang.
In Arbeitsschutzkleidung ist MHL-Schlagzeugprofessor Johannes Fischer im zehnminütigen Spektakel „metalized void“ zu erleben, das der Leipziger Komponist Claus-Steffen Mahnkopf 2015/16 für Schlagzeug und Elektronik geschrieben hat. Mit Alltagswerkzeugen wird Fischer nach den Anweisungen der Partitur auf der Bühne im Großen Saal eine Granitplatte bearbeiten. Zu den Klängen von Bohrmaschine, Hammer, Meißel, zerschlagenen Gläsern und Zimbeln tritt eine Zuspielung, die Mahnkopf selbst an diesem Abend betreut. Ordnung und Chaos, Musik in Realzeit und elektronische Klänge, exakt notierte Aufführungsanweisungen und improvisatorisch gestaltete Zuspielung überlagern einander dabei fortwährend.
Auf der sich anschließenden Konferenz „Musik und die Ordnung der Welt von der Antike bis zum 19. Jahrhundert“ am Freitag, 14. Oktober ab 10 Uhr und am Samstag, 15. Oktober ab 9.30 Uhr im Kammermusiksaal der MHL stellen fast zwanzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Europa und Übersee neue Erkenntnisse vor. Themen sind unter anderen die antike Vorstellung der Sphärenharmonie, Musik und Alchemie im siebten Jahrhundert, die klösterliche Gesangspraxis und Rechtstheorie im Hochmittelalter sowie die Darstellung von Naturkatastrophen in der Oper des 19. Jahrhunderts. Die Keynote Lecture „Recht harmonisch. Musikalische Ordnungsvorstellungen im Rechtsdenken seit der Antike“ hält die Juristin und Leibniz-Preisträgerin Prof. Dr. Marietta Auer (Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie Frankfurt am Main und Justus-Liebig-Universität Gießen).
Die Tagung wurde konzipiert von der Wissenschaftsphilosophin Prof. Dr. Christine Blättler (Kiel), dem Philosophen Prof. Dr. Mor Segev (Tampa, FL) und der Musikwissenschaftlerin Prof. Dr. Christiane Tewinkel (Lübeck). Der Eintritt zum Konzert und zur Konferenz ist frei. Weitere Informationen zum Konferenzprogramm gibt es auf der MHL-Website unter https://www.mh-luebeck.de/forschung/aktuell/.